Wörtlich sagte er: „Es ist keine Frage, dass wir in hohem Maß in unserer zerrissenen Gesellschaft, in der oft nur einzelne Interessen und Bedürfnisse vorherrschen, eine ganz neue Solidarität brauchen, in der eine echte Wechselseitigkeit des Einsatzes füreinander vorherrscht, wo man überhaupt die Situation der anderen unvoreingenommen und sensibel wahrnehmen muss." Dann erst werde der Mensch fähig zu konkret gelebter Solidarität.
Der Gottesdienst war Auftakt zum traditionellen Empfang am „Vorabend des 1. Mai" der in diesem Jahr unter Überschrift stand: „Gute Arbeit - Solidarisch mit Herz und Verstand - Gemeinsam Wege aus der Krise finden". Der Kardinal würdigte das Thema des Abends als „gerade in wirtschaftlich schlechteren Zeiten notwendig". Er sagte: „Arbeit darf in solchen Situationen nicht verkommen. Es ist das Ziel des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB) und auch der Sozialverbände in der Kirche sowie auch der Betriebsseelsorge, dass dies bei den vielen Wandlungen nicht aus den Augen verloren wird." Veranstalter waren das Referat Berufs- und Arbeitswelt des Bischöflichen Ordinariates, die Katholische Arbeitnehmer-Bewegung (KAB) und das Kolpingwerk.
Lehmann ging in seiner Predigt auf den Begriff Solidarität ein und betonte, dass „soziale Solidarität" nicht einfach an die Stelle christlicher Nächstenliebe treten könne. Gerade die katholische Soziallehre habe den Solidaritätsbegriff weiterentwickelt. Wörtlich sagte der Kardinal: „In der modernen Welt hängen die einzelnen Menschen trotz einer zunehmenden Individualisierung letztlich doch wieder sehr von der Gesellschaft ab. Deshalb empfindet man auch die Solidarität als ganz wichtig. Dabei geht es vor allem um eine Wechselseitigkeit unter den Menschen, die dieselbe Würde haben. Man kann also wohl sagen, dass die Kernbedeutung von Solidarität ‚Hilfe auf Gegenseitigkeit innerhalb einer Schicksalsgemeinschaft' ist. Weil die Solidarität nicht streng rechtlich geschuldet ist, sondern doch eine moralische Kategorie ist, bleibt sie in der Nähe der Menschenliebe, ist aber doch auch etwas anderes, weil es bei der Solidarität immer um eine Leistung und eine Gegenleistung geht. Die Wechselseitigkeit bleibt bestehen."
Solidarität sei in der katholischen Soziallehre „ein durchgehender Grundsatz der Gestaltung menschlicher Gesellschaft", betonte Lehmann. Deshalb sei damit mehr gemeint als nur ein Gemeinschaftsgefühl oder eine soziale Gesinnung, die sich an den Einzelnen richte. „Vielmehr ist ein ganz grundlegender Zusammenhang gemeint, der in der menschlichen Natur begründet ist: In der Natur des Menschen findet sich die Ausrichtung auf die Gesellschaft, in der sich die Anlagen des Einzelnen erst entfalten können. In diesem Sinne ist die Solidarität eine sittliche Pflicht."
Als Grundhaltung für die ganze Gesellschaft habe die Solidarität ihre Begründung aus dem Glauben im Wirken Jesu, sagte Lehmann. Indem er eine menschliche Natur angenommen habe, den Menschen in allem gleich war außer der Sünde und für alle sein Leben hingegeben habe, habe er damit „in besonderer Weise den Einsatz Gottes für alle Menschen bis zu seinem Sterben ‚für alle' gelebt. Dies ist auch das Lebensprinzip von Kirche." Konzelebranten waren Domdekan Heinz Heckwolf, KAB-Präses Dr. Friedrich Röper, Kolping-Präses Harald Röper und Kolping-Bezirkspräses Dieter Bockholt. Die Kollekte des Gottesdienstes ist für die Aktion „Sympaten" des Referates Berufs- und Arbeitswelt bestimmt, bei der Jugendliche in der Zeit zwischen Schule und Ausbildung von Paten begleitet werden.
Beim anschließenden Empfang im Erbacher Hof plädierte Ingrid Sehrbrock, stellvertretende Vorsitzende des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB), dafür, „der sozialen Marktwirtschaft zu einer neuen Renaissance zu verhelfen". Sie bedauerte, dass „der Primat der Politik abhanden" gekommen sei. „Die Solidarität ist in den letzten Jahren stetig unter die Räder gekommen", sagte Sehrbrock. Ein Ursache der Krise sei, dass Grundsatzprogramme in der Politik „praktisch keine Rolle mehr spielen", betonte Sehrborck. Die anschließende Diskussion wurde von Erich Michael Lang von der Allgemeinen Zeitung Mainz moderiert. Pastoralreferentin Ingrid Reidt, Leiterin der Regionalstelle Rüsselsheim der Betriebsseelsorge, hatte in ihrer Begrüßung im Ketteler-Saal des Erbacher Hofes rund 200 Teilnehmer willkommen geheißen.
Für besonderes Engagement im Bereich der Ausbildung verlieh Kardinal Lehmann am Ende des Abends zwei Preise der „Pfarrer Röper-Stiftung". Ausgezeichnet wurden die Mitarbeiter des „Ausbildungsrestaurants ina" in Offenbach und der Fliesenleger Joao Pombeiro, der sich in besonderer Weise für die Ausbildung sozial benachteiligter Jugendlicher engagiert hat. Das „Ausbildungsrestaurant ina" war Anfang des Jahres im Offenbacher Kolpinghaus für benachteiligte Jugendliche aus Offenbach und Umgebung eröffnet worden und wird vom Verein „Initiative Arbeit im Bistum Mainz e.V." getragen. Die Preise der „Pfarrer Röper-Stiftung" werden seit 2003 werden bei der Begegnung zum „Tag der Arbeit" verliehen. Dabei werden im Symbol einer vom Mainzer Bildhauer Karlheinz Oswald gestalteten kleinen „Caritas"-Bronzefigur Unternehmen geehrt, die sich für die Ausbildung von benachteiligten Jugendlichen besonders einsetzen.