Ingelheim. Im Rahmen einer Eucharistiefeier hat der Mainzer Bischof Peter Kohlgraf am Samstagabend, 20. Januar, die Kirche St. Paulus in Ingelheim-West profaniert. „Wir werden heute gehalten, uns ehrlich zu machen“, sagte Bischof Kohlgraf in seiner Predigt. „Heute ist ein schmerzlicher Einschnitt zu begehen, wobei hier keine Bauruine stehen wird, sondern es entsteht ein Ort kirchlichen Lebens, der Kindern und Familien eine Heimat geben will. Für manche von Ihnen wird es dadurch nicht leichter, aber der heutige Einschnitt bedeutet nicht den Rückzug der Kirche aus diesem Ort und dieser Gesellschaft. Er markiert eine sich wandelnde Präsenz.“ Die Kirche St. Paulus soll künftig als Kindertagesstätte genutzt werden, wie Pfarrer Christian Feuerstein in seiner Begrüßung deutlich machte.
Weiter sagte Bischof Kohlgraf: „Vor Jahrzehnten hat ein Mainzer Bischof diese Kirche geweiht, heute muss ich mit Ihnen die Profanierung der Kirche gestalten. Die Gremien haben sich diese Entscheidung nicht leicht gemacht. Ich weiß um die Konflikte und auch um die Verletzungen, die viele davongetragen haben. Ich lade Sie ein, heute den Blick nach vorne zu richten. Ich nehme auch wahr, wie viele sich in dieser neuen Pfarrei für das kirchliche Leben, für den Glauben und die Gemeinschaft einsetzen. Vor ein paar Tagen haben wir den Gründungsgottesdienst der neuen Pfarrei gefeiert. Heute gehen wir gemeinsam einen Schritt, der zeigt, welche Konsequenzen es hat, sich der Realität zu stellen. Niemand geht als Verlierer vom Platz, wenn wir Trauer zulassen, aber gemeinsam in die Zukunft schauen und sie gestalten wollen. Ich bitte Sie herzlich, dies gemeinsam zu tun.“
Kohlgraf warnte davor, „mit Wehmut in eine scheinbar gute alte Zeit zurückzuschauen“. Wörtlich sagte er: „Die absteigende Kurve der Kirchlichkeit ist seit einigen Jahren zu beobachten. Wirksam reagiert hat man darauf meiner Erfahrung nach nicht. Und als Bischof muss ich auch feststellen, dass ein Großteil der schlimmen Probleme, die ich heute auf dem Tisch habe, gerade Themen dieser scheinbar so guten Jahre sind. Wir sind in umwälzenden Veränderungsprozessen, in Kirche und Gesellschaft. Die Augen verschließen und so zu handeln, als gäbe es diese qualitativen und quantitativen Veränderungsprozesse nicht, ist keine Lösung.“ Heute sollte die Kirche anerkennen, „dass sich in Deutschland weit mehr als die Hälfte der Bevölkerung weder als religiös noch als kirchlich bezeichnet. Auch wenn bestimmte Angebote der Kirche weiterhin eine hohe Bedeutung für die Gesellschaft haben, ist es für viele Menschen nicht notwendig, Religion und Kirche in ihrem Leben eine Bedeutung zukommen zu lassen“, betonte der Bischof.
Kohlgraf ging auch ausführlich auf das dritte Kapitel des Buches Kohelet („Alles hat seine Zeit“) ein: „Es ist eine für mich wichtige Glaubensaussage, die Kohelet formuliert: Alles hat zu seiner Zeit seine eigene Schönheit und seinen eigenen Sinn, der für uns Menschen nicht immer erkennbar ist. Die Erkenntnismöglichkeiten des Menschen sind begrenzt, das gilt für Sie hier vor Ort, das gilt auch für mich als Bischof, der sich selbst immer daran erinnern muss, dass auch diese Zeit, in der wir leben, Gottes Zeit ist, die er begleitet, in die er mich und uns gestellt hat.“
Weiter sagte der Bischof: „Weder der Bischof noch wir alle sind Herren und Herrinnen dieser Zeit. Dennoch sieht Kohelet diese Zeit als sinnvoll an, weil Gott sie mit Sinn erfüllt. Sinnlos wird die Zeit für den, der sich der Wirklichkeit entzieht, um gegen sie etwas ausrichten zu wollen. So darf der Pastorale Weg kein Aktionismus werden, sondern eine Auseinandersetzung mit der Wirklichkeit als der Zeit Gottes, in die er uns gestellt hat. Dabei werden immer wieder auch Konflikte aufkommen, wir werden ringen müssen. Niemand von uns hat den unfehlbaren Blick auf die Gegenwart und ihre Deutung. Daher ringen wir um gemeinsame Entscheidungen. Wer sich darin nicht wiederfindet, darf sich nicht als Verlierer fühlen, wessen Meinung sich durchsetzt, nicht als Gewinner. Wir reden nicht über Gegner, schon gar nicht über Feinde.“
Abschließend betonte Bischof Kohlgraf: „Jeder und jede muss lernen, die menschlichen Grenzen des Handelns und Entscheidens zu akzeptieren, auch ich als Bischof. Wir stehen in einem Ansturm der Realität, der uns manchmal zu überfordern scheint. Mit Gottes Hilfe gehen wir in eine andere Gestalt der Kirche und wir bauen auf seine Gegenwart. Diese Wege können wir nur gemeinsam gehen. Um dieses gegenseitige Vertrauen kann ich nur werben und dankbar wahrnehmen, dass dies uns vielfach gelingt. Der Geist Gottes hat uns nicht verlassen. Wir sind sein Bau, sein Tempel aus lebendigen Steinen. Lassen wir uns auch in Zukunft zu einem geistlichen Haus aufbauen, das seine Gegenwart in diese Welt strahlt.“
Seit 2017 gab es insgesamt acht Profanierungen (inklusive St. Paulus) von Kirchen oder Kapellen und eine Übernahme durch eine andere christliche Gemeinschaft im Bistum Mainz (was keine Profanierung zur Folge hat). Mit der Profanierung von St. Paulus in Ingelheim wurde eine Profanierung im Bistum Mainz im Rahmen des Pastoralen Weges erstmals durch den Mainzer Bischof vorgenommen. Die Pastoralraumkonferenz hatte das Gebäudekonzept der zum 1. Januar 2024 gegründeten Pfarrei St. Maria Magdalena Ingelheim im September 2023 endgültig beschlossen. Darüber hinaus wurde damals beschlossen, auch die Kapelle Maria Himmelfahrt in Nieder-Hilbersheim zu profanieren, da sie bei den weiteren Planungen der Pfarrei keine Rolle mehr spielt.
Pfarrer Christian Feuerstein sagte in seiner Begrüßung: „Es ist kein Tag der Freude oder des Feierns. Es darf aber ein Tag des Dankes sein, wenn neben dem Schmerz und der Trauer, die eine Profanierung mit sich bringt, der Blick auf das geht, was in dieser Kirche und den dazugehörigen Pfarrräumen alles erlebt wurde. Das alles darf jetzt in die Eucharistiefeier, die große Danksagung, zu der ich Sie willkommen heiße, hineinfließen.“ Und weiter: „40 Jahre diente dieses Gebäude den Menschen in Ingelheim-West und allen die sich verbunden fühlen. Wir haben das feste Vertrauen, dass die geplante pastorale Nutzung – nämlich als katholische Kita – sich in diesen Dienst einreihen wird. Die Kita als Kirchort, an dem Gottesdienste gefeiert werden, der Glaube verkündet, Nächstenliebe praktiziert und Gemeinschaft gelebt wird, ist auch weiterhin ein deutliches Zeichen der Präsenz von katholischen Kirche im Stadtteil.“ Feuerstein verabschiedete außerdem die Küsterin von St. Paulus, Edeltrud Bareis, mit dem Dank der Pfarrei und einer Urkunde von Bischof Kohlgraf in den Ruhestand.
Am Ende des Gottesdienstes verlas Bischof Kohlgraf das Profanierungsdekret, in dem der Umbau zu einer Kindertageseinrichtung ausdrücklich benannt wird. Wörtlich heißt es in dem Dekret: „Das Gebäude wird umgebaut, so dass die angrenzende katholische Kindertageseinrichtung, die bereits jetzt einzelne Räume des Gebäudes nutzt, dorthin umziehen kann, weil deren bisherige Räumlichkeiten marode, nicht mehr wirtschaftlich zu sanieren und deshalb nicht weiter nutzbar sind.“ Im Anschluss daran erfolgten die wesentlichen Elemente der Profanierung: die Entnahme der Reliquien aus dem Altar, die Entnahme des Sakramentes der Eucharistie aus dem Tabernakel und das Löschen des „Ewigen Lichtes”. Musikalisch gestaltet wurde der Gottesdienst von der Ingelheimer Kantorei unter Leitung von Thomas Höpp sowie Dr. Patricia Steinfeld an der Orgel. Eine Lesung und auch einige Fürbitten wurden auf Kroatisch vorgetragen, da die Kroatische Gemeinde St. Paulus regelmäßig für Gottesdienste genutzt hat.
Aktuell ist die Reduzierung des Gebäudebestandes im Bistum Mainz ein wichtiges Thema im Rahmen des Pastoralen Weges, bei dem bis zum Jahr 2030 insgesamt 46 neue Pfarreien im Bistum Mainz gebildet werden (www.pastoraler-weg.de). Im Rahmen des Pastoralen Weges im Bistum Mainz steht eine Reduzierung des Gebäudebestandes (insgesamt rund 1.700 Immobilien; neben den Kirchen natürlich vor allem Pfarrhäuser und Gemeindesäle) um etwa die Hälfte an. Grund dafür sind die geringer werdenden finanziellen Mittel der Kirche. Daher sind die Pfarreien in den neuen Pastoralräumen des Bistums aufgefordert, bis 2026 durch die Erstellung eines Gebäudekonzeptes zu entscheiden, welche Gebäude sie aufgeben.