Rieth: Sorge um das gemeinsame Haus gehört zum Kernauftrag der Kirche

Wie Laudato si‘ heute noch wirkt – politisch, kirchlich, global

Mainz, 2. Oktober 2025: Die Bevollmächtigte des Bistums Mainz, Stephanie Rieth, der Leiter der ZDF-Redaktion Religion und Leben Jürgen Erbacher, der Hauptgeschäftsführer des Lateinamerika-Hilfswerks Adveniat Pater Martin Maier und die frühere Bundesumweltministerin Barbara Hendricks auf dem Podium zu 10 Jahre Laudato si‘ im Erbacher Hof in Mainz (v.l.n.r.). (c) Bistum Mainz / Nichtweiß
Datum:
Mo. 6. Okt. 2025
Von:
tob (MBN)

Mainz/Essen. „Laudato si‘ – großer Text, kleine Wirkung?“ Mit dieser provokanten Frage ist am Donnerstag, 2. Oktober, in der Akademie des Bistums Mainz im Erbacher Hof das prominent besetzte Podium mit der ehemaligen Bundesumweltministerin Barbara Hendricks, der Bevollmächtigten des Bistums Mainz Stephanie Rieth, dem Leiter der ZDF-Redaktion Religion und Leben Jürgen Erbacher und dem Hauptgeschäftsführer des Lateinamerika-Hilfswerks Adveniat Pater Martin Maier konfrontiert worden. Veranstaltet wurde der Abend als Teil einer Reihe „10 Jahre Laudato si‘“ von der Akademie des Bistums Mainz und der Geschäftsstelle Weltkirche, Gerechtigkeit und Frieden.

Mainz, 2. Oktober 2025: Die Bevollmächtigte des Bistums Mainz, Stephanie Rieth, auf dem Podium zu 10 Jahre Laudato si‘ im Erbacher Hof in Mainz. (c) Bistum Mainz / Nichtweiß

Nach einem Impulsreferat des Soziologen und ehrenamtlichen Mitarbeiters der Geschäftsstelle Weltkirche, Wolfgang Werner, der Diskrepanz zwischen Zielen und Handel verdeutlichte, diskutierte das Podium die Wirkung der Enzyklika Laudato si‘ zehn Jahre nach ihrem Erscheinen. „Auch wenn der Kapitalismus nicht durch Laudato si‘ abgeschafft ist – wir sind doch auf dem richtigen Weg!“ Mit klaren Worten reagierte Barbara Hendricks auf die kritischen Stimmen aus dem Publikum der Veranstaltung in der Mainzer Akademie, die längst eine Rolle rückwärts in der Klima- und Sozialpolitik sehen und mit dem Verweis auf das berühmte päpstliche Diktum „diese Wirtschaft tötet“ entschiedenere Anstrengungen von Kirche und Politik einfordern. „Mit Laudato si‘ hatten Papst Franziskus und die Kirche einen erheblichen Anteil daran, dass 2015 ein so immens erfolgreiches Jahr der internationalen Zusammenarbeit war: mit der Verpflichtung auf die Klimaziele von Paris und der Verabschiedung der 17 Ziele für eine global nachhaltige Entwicklung.“ Die damalige Umweltministerin hatte die deutsche Delegation geleitet, die auf der Pariser Weltklimakonferenz mit der gesamten Weltgemeinschaft völkerrechtlich verbindliche beschlossen hatte, dass die Erderwärmung im Vergleich zur vorindustriellen Zeit auf deutlich unter zwei Grad begrenzt werden soll.

Genauso klar kritisierte Barbara Hendricks Kampagnen von Politikern mit Bild-Zeitung und rechten Plattformen, die mit Schlagworten wie Heizungshammer und Radwege in Peru Klimapolitik verächtlich machen. „Die Bundesregierung hat in der peruanischen Hauptstadt Lima Radwege zu den U-Bahnhaltestellen gefördert, nachdem deutsche Unternehmen mit dem Bau der U-Bahn ordentlich verdient hatten“, erläuterte die ehemalige Bundesumweltministerin.

Ihre Forderung an die Kirche, stärker die öffentliche Debatte positiv in Richtung Klimaschutz zu beeinflussen, fand im Publikum und auf dem Podium Zustimmung. ZDF-Redakteur Jürgen Erbacher betonte die Notwendigkeit des konkreten Handelns vor Ort und brachte dies auf die Formel: „Mehr solidarische Landwirtschaft statt Rosenkranz. Die Bewahrung der Schöpfung gehört doch zur DNA der Kirche“, so der Leiter der Redaktion Religion und Leben, der damit an seine Jugend in einer basisdemokratisch-ökologisch bewegten Kirche von unten erinnerte. „Wer auf die Bistumsleitungen wartet, wird lange warten müssen“, ist Erbacher überzeugt. „Auch Papst Franziskus hat den kirchlichen und politischen Eliten misstraut und darauf gesetzt, dass Veränderungen von unten angepackt werden.“

Damit Bewegungen und Initiativen für genau diese Veränderung von unten entstehen können und weiter gefördert werden, dafür biete das Bistum Mainz Gesprächs- und Begegnungsräume, erläuterte Ordinariatsdirektorin Stephanie Rieth. „Die Kirche darf sich nicht aufspielen und behaupten, für die großen Herausforderungen die Lösung zu haben. Das schafft nur eine Überforderungssituation.“ Als konkretes Beispiel für solche Gesprächsräume, die in diesem Kontext funktionieren, nannte sie den alle zwei Jahre ausgelobten Umweltpreis, der Gemeinden und Initiativen vor Ort motiviere und unterstütze, damit Klimaschutz und Klimaanpassung konkret gelebt wird. „Denn die Sorge um das gemeinsame Haus gehört zum Kernauftrag der Kirche“, stellte Ordinariatsdirektorin Rieth fest.

Weil Laudato si‘ für das Lateinamerika-Hilfswerk Adveniat ein Leitdokument ist, stellte Adveniat-Hauptgeschäftsführer Pater Martin Maier SJ die nachhaltige Wirkung des päpstlichen Schreibens heraus: „Die kirchlichen Hilfswerke unterstützen den Globalen Süden jährlich mit insgesamt 600 Millionen Euro für den Schutz des gemeinsamen Hauses und die Förderung der Armen.“ Dass im Gegensatz dazu die Bundesregierung den Haushalt des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung um eine Milliarde gekürzt hat, nannte Pater Maier einen Skandal. „Entwicklungspolitik von heute ist die Sicherheitspolitik von morgen“, mahnte der Adveniat-Hauptgeschäftsführer und forderte damit, dass der Etat für Entwicklungszusammenarbeit genau so ansteigen müssen wie der für Verteidigung.

Weil wir in einem „zutiefst ungerechtem System“ leben, habe der frühere Papst Franziskus in seiner Enzyklika eine „ökologische Bekehrung“ eingefordert. Pater Maier verwies darauf, dass für Papst Franziskus alles miteinander verbunden sei. Das bedeutet: Die Bewahrung der Umwelt könne nicht getrennt von der Gerechtigkeit für die Armen sowie von den strukturellen Problemen des globalen Wirtschaftens gesehen werden. Einen entscheidenden Hebel sehe Franziskus insbesondere in den Bewegungen der Zivilgesellschaft, um die Politik unter Druck zu setzen. Auch aufgrund dieser Wertschätzung von Zivilgesellschaft, Politik und Wissenschaft durch Franziskus habe Laudato si‘ wie noch kein päpstliches Schreiben zuvor als politischer Diskursbeitrag eingeschlagen und sei auch weit über die katholische Kirche hinaus beachtet worden. „Politisch hatte die Enzyklika einen bedeutenden Einfluss auf den Weltklimagipfel in Paris 2015. Innerkirchlich wurde sie zum Ausgangspunkt für die Amazonas-Synode 2019 im Vatikan und auf die vielen Initiativen vor“, so der Adveniat-Hauptgeschäftsführung.

Angesichts von zehn Jahren Laudato si‘ und der im November im brasilianischen Belém stattfindenden Weltklimakonferenz hat das Lateinamerika-Hilfswerks die diesjährige bundesweite Weihnachtsaktion der katholischen Kirche unter das Leitwort „Rettet unsere Welt – Zukunft Amazonas“ gestellt. Die Adveniat-Weihnachtsaktion wird am 1. Advent, dem 30. November 2025, im Bistum Mainz eröffnet.