Hainburg. Wer auf den Katholikentagen in Ulm, Saarbrücken, Osnabrück oder Leipzig war, hat seine Musik sicher schon gehört. Auch auf dem Weltjugendtag in Köln ist sie erklungen, die Musik von Thomas Gabriel. Der Musiker und Komponist arrangiert und schreibt nicht nur für Großveranstaltungen, sondern komponiert auch Oratorien, Musicals und Messen. Ende März geht der Kirchenmusiker und Kantor aus Seligenstadt in den Ruhestand.
Am liebsten komponiert Thomas Gabriel zu Hause, in seiner Wahlheimat Seligenstadt, früh morgens zwischen vier und acht Uhr an seinem Flügel. Sein Arbeitsplatz ist das Musikzentrum St. Gabriel in Hainburg, das er noch bis Ende März leiten wird. Dann verabschiedet er sich in den passiven Teil der Altersteilzeit. Doch er wird auch weiterhin komponieren. Gabriel freut sich schon auf die Aufführung seiner Neuvertonung von Johann Sebastian Bachs „Matthäus-Passion“. Diese sollte eigentlich schon in diesem Jahr aufgeführt werden, doch Corona kam dazwischen.
Mit 13 Jahren wollte Thomas Gabriel Konzertpianist werden. Als er seinen Wunsch seinem damaligen Klavierlehrer verriet, lachte dieser ihn nur aus. Dieses Ziel sei nicht lebensnah, sagte der Lehrer zu ihm. Gabriel beschloss, es mit der Kirchenmusik zu versuchen. Sein nächstes Ziel war es, Domorganist zu werden. Doch auch daraus wurde nichts: „Ich habe gemerkt, das klappt nicht, weil ich mich nicht aus vollem Herzen darum bewerbe“, sagt er. An einem Dom würde jeder seiner Schritte beobachtet werden, mehr musikalische Freiheit war ihm lieber. Außerdem: „Die Musik, die ich machen wollte, funktioniert nicht in großen Kathedralen“, erkannte er bald.
Er studierte in seinem Heimatort Essen katholische Kirchenmusik an der Folkwang-Hochschule und arbeitete danach für drei Jahre beim Westdeutschen Rundfunk als freier Pianist. Nach einer Stelle als Regionalkantor in Saarbrücken wechselte er 1998 ins Bistum Mainz, und arbeitete als Regionalkantor mit dem Schwerpunkt Neues Geistliches Lied in den Dekanaten Offenbach, Rodgau und Seligenstadt.
Im Oktober 2016 übernahm Thomas Gabriel eine neu geschaffene Stelle als Kantor für Neue Geistliche Musik und Sozialmusik und als Leiter des Musikzentrums Haus St. Gabriel. Eine „Paradiesvogel-Stelle“, wie er selbst sagt. Sie ist dem Institut für Kirchenmusik im Bistum Mainz zugeordnet, und es gibt eine Kooperation mit dem Theresien Kinder- und Jugendhilfezentrum in Offenbach.
Die Verbindung mit dem Jugendhilfezentrum passt gut, denn ein weiterer Bereich, der Gabriel sehr wichtig ist, ist seine Arbeit mit Jugendlichen. Bei einem Workshop mit Kindern und Jugendlichen des Theresienheims machte er eine wichtige Entdeckung: „Die Kinder dort haben komplett anders auf die Musik reagiert, als Chöre mit Kindern gut situierter Eltern“, sagt er. Er erkannte bei diesen Jugendlichen ein „existentielles Bedürfnis nach Musik“. Diese Arbeit hat er bis heute fortgesetzt. Etwa bei den „Ketteler-Musiktagen“ in Offenbach. Zunächst war er skeptisch, weil das Projekt in diesem Jahr nur digital stattfinden konnte. Doch einer der Mitwirkenden, Reza Solhi, erinnerte ihn daran, dass an jedem Ende der Leitung letztlich ein Mensch sitze. „Ich habe staunend zugesehen, wie die Kinder von halb zehn Uhr morgens bis um halb vier am Nachmittag hoch konzentriert bei der Sache waren.“
Ein spannender Ort, das Musikzentrum in Hainburg. Hier machen Jugendliche gemeinsam Musik, exotische Instrumente hängen an den Wänden des ehemaligen Klosters, Gabriel spielt ein Neues Geistliches Lied an einem Flügel. Dort kommen Jugendliche mit (Kirchen-) Musik in Kontakt, die sonst vielleicht nicht zu dieser Art der Musik gefunden hätten. Über die Musik bringt er sie auch mit dem Glauben in Berührung. In Gottesdiensten zum Beispiel. „Ich finde es ganz toll, wenn junge Leute rausgehen und erst im Nachhinein merken, das war ein Gottesdienst.“
Gäbe es den Zölibat nicht, wäre er wahrscheinlich Priester geworden. Stattdessen wurde er zu einem Musiker, der Welten verbindet. Zum Beispiel die klassischen Werke von Johann Sebastian Bach und Jazz-Musik. Schon seit 40 Jahren spielt Gabriel in einem Jazz-Trio. „Wir haben schon viel Spaß gehabt und sind auch ein bisschen in der Welt herumgekommen“, blickt er zurück. „Ich versuche immer, die Kraft, die in der Konstruktion der klassischen Musik steckt, auf ein modernes Genre zu übertragen“, erklärt er.
Gabriel hat es stets verstanden, sozialpolitische Themen mit Musik und dem Glauben zu verbinden. Etwa in seinem Rock-Oratorium „Daniel“ aus dem Jahr 1996, in dem es um Flucht und Vertreibung geht. Oder in seinem sozialkritischen Musical „Broken Hartz“, das er 2017 auf die Bühne brachte, und indem die Rolle der Langzeitarbeitslosen von Betroffenen gespielt wurde.
Was kommt danach? Gabriel hat immer komponiert, mit Chören geprobt, mit anderen musiziert. „Ich habe immer viel aus mir selbst geschöpft“, sagt er. Jetzt sei es an der Zeit, sich Impulse von außen zu holen. Musik zu hören, zu lesen. Zeit mit der Familie zu verbringen. Und „ins Gespräch zu kommen mit Leuten, die auf der Suche nach Formen für ihren Glauben sind“, sagt er. Außerdem möchte er weiterhin komponieren und Konzepte entwickeln für Gottesdienste. Sein Hund „Danger“, ein schwarzer Pudelmischling, wird ihn sicher auf seinem Weg begleiten.
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hoff (MBN)