MBN: Herr Professor Breitschaft, wie sind Sie zum Dirigieren gekommen?
Mathias Breitschaft: Ich war 18 Jahre alt und seit zehn Jahren Mitglied der Regensburger Domspatzen. Da hat mich der damalige Leiter, Georg Ratzinger, gefragt, ob ich nicht Lust hätte, mit einem der Konzertchöre zu arbeiten. Das habe ich dann gemacht und sogar Aufführungen dirigiert - beispielsweise eine Osternacht im Regensburger Dom.
MBN: Da haben Sie „Feuer gefangen"?
Breitschaft: Ja. 1970 bin ich zum Studium an die Musikhochschule Frankfurt und war gleichzeitig Assistent und Stimmbildner bei den Limburger Domsingknaben. Das hat aber nur funktioniert, weil ich eine so gute musikalische Ausbildung bei den Regensburger Domspatzen genossen habe. Und weil ich als junger Mann noch nicht viel Schlaf brauchte - meine Studienaufgaben habe ich meistens nachts erledigt.
MBN: Sie haben in Frankfurt Schulmusik und Sologesang studiert, haben aber ihr ganzes Berufsleben Chöre und Orchester geleitet.
Breitschaft: Ich hatte immer zwei Begabungen, das Singen und das Dirigieren. Und ich konnte gut mit Menschen umgehen. Das alles hat mir als Chorleiter sehr geholfen. Ich habe früh erkannt, dass man als gut singender Chorleiter bei Chorsängern stimmlich unglaublich viel erreichen kann. Ich habe den Kindern und den Erwachsenen einfach das beigebracht, was ich in meiner eigenen Gesangsausbildung gelernt hatte. Ein Chor bekommt so schnell einen guten „Sound".
MBN: Sie wurden 1973 Leiter der Limburger Domsingknaben, haben erste Rundfunkaufnahmen gemacht. Sie waren damals Mitte Zwanzig - hat Sie das nicht belastet?
Breitschaft: Nein, überhaupt nicht! Ich war Feuer und Flamme für meine Arbeit und hatte Lust und Freude am Dirigieren. Ich habe gemerkt: „Du packst das" und meine musikalische Begeisterung ist auf die Sänger übergegangen. Der Chor wurde immer besser, die Fachwelt auf uns aufmerksam. Die Limburger Domsingknaben wurden nach und nach ein richtiger Geheimtipp. Außerdem war ich immer bereit, mich von älteren Musikerkollegen aus den Orchestern beraten zu lassen. Oft habe ich anfangs meine Orchestermitglieder gefragt: „Jetzt sagt mir mal, was war falsch, was kann ich besser machen?". Das hat mich enorm weitergebracht.
MBN: 1985 wurden Sie Domkapellmeister in Mainz, arbeiten jetzt 25 Jahre hier. Wie lautet Ihre Bilanz?
Breitschaft: Ich habe hier in Mainz fast alles erreicht, was ich wollte. Ich habe neben dem bereits existierenden Mainzer Domchor einen gemischten Erwachsenenchor und einen Mädchenchor sowie das Mainzer Domorchester gegründet und die Mainzer Dombläser neu aufgestellt. Zudem konnte ich regelmäßige Domkonzerte etablieren. Alle Chöre am Mainzer Dom genießen weit über Mainz hinaus einen sehr guten Ruf - wir waren außerdem mit unseren Konzertreisen national und international in allen wichtigen Musikstädten präsent. Von diesem internationalen Austausch haben meine Sängerinnen und Sänger sehr profitiert. Hier in Mainz habe ich Chorensembles, mit denen ich alles machen kann, was es an kirchenmusikalischer Literatur gibt - von der Gregorianik bis zur Moderne. Auch hinsichtlich chorsymphonischer Kompositionen - beispielsweise Beethovens 9. Symphonie - haben wir fast alles aufgeführt. Das erfüllt mich mit Dankbarkeit und Stolz. Und vor allem: In der Domliturgie halten wir seit Jahrzehnten ein anspruchsvolles, hohes musikalisches Niveau, das viele Menschen berührt und anspricht.
MBN: Der Mainzer Dom wird wegen seiner Akustik oft als problematisch bezeichnet. Empfinden Sie das auch so?
Breitschaft: Natürlich hat der Mainzer Dom keine ideale Akustik für Konzerte. Aber wir haben gelernt, damit zu leben. Das Publikum scheint es übrigens nicht zu stören: Wir haben seit 25 Jahren volles Haus! Mir hat auch anfangs Kardinal Hermann Volk sehr geholfen, als es hie und da Kritik gab, der Dom sei kein Konzertsaal. Für Volk und Kardinal Lehmann war klar: Musik ist Verkündigung in höchstem Maße.
MBN: Viele Chöre klagen über Nachwuchssorgen. Sie auch?
Breitschaft: Nein, Nachwuchssorgen haben wir keine. Als ich 1985 nach Mainz kam, haben sich in den ersten zwei Jahren nur wenige Knaben für den Domchor angemeldet. So konnte das nicht weitergehen. Ich hatte dann die Idee, selbst in die Schulen zu gehen. Das ist zwar mühsam, seitdem haben wir aber keine Probleme mehr, Mädchen und Jungen für die Domchöre zu gewinnen: 40 bis 50 junge Sängerinnen und Sänger kommen jedes Jahr neu zu uns.
MBN: Sie haben angekündigt, mit 62 Jahren in den Ruhestand zu gehen. Was wollen Sie in den kommenden zwei Jahren noch machen?
Breitschaft: Es wird noch eine Uraufführung geben, ein „Magnificat" von Volker David Kirchner, außerdem werden wir erstmals die „Missa di Gloria" von Giacomo Puccini aufführen. Und dann möchte ich die Werke nochmals realisieren, die mir besonders am Herzen liegen: die „Matthäuspassion" und die „h-Moll-Messe" von Johann Sebastian Bach sowie die C-Dur-Messe von Ludwig van Beethoven.
Mathias Breitschaft wurde am 6. Mai 1950 geboren und erhielt seine erste musikalische Ausbildung als Mitglied und Solist der „Regensburger Domspatzen". Nach dem Schulmusikstudium an der Musikhochschule in Frankfurt studierte er einige Semester Sologesang bei Professor Martin Gründler. Seit 1970 war er zunächst als Assistent und Stimmbildner, seit 1973 als Leiter der Limburger Domsingknaben tätig. Seit dem 1. März 1985 ist Breitschaft Domkapellmeister am Hohen Dom zu Mainz und Leiter des Mainzer Domchores. In seine Amtszeit fallen die Gründung des Mainzer Domorchesters und der Mainzer Domkonzerte. Außerdem rief er 1987 die Domkantorei St. Martin (Erwachsenenchor) ins Leben, 1995 den Mädchenchor am Dom und St. Quintin; zudem arbeitet er seit 1990 regelmäßig mit dem Domkammerchor Mainz. Von 1991 bis 1994 war Breitschaft erst Lehrbeauftragter, dann Professor für Chorleitung an der Musikhochschule Frankfurt; 1994 wechselte er in gleicher Funktion an den Fachbereich Musik der Johannes Gutenberg-Universität Mainz. Unter Leitung Breitschafts liegen zahlreiche Einspielungen auf CD mit allen Ensembles am Mainzer Dom vor.
Hinweis: Die Chöre am Mainzer Dom im Internet unter http://www.mainzer-domchor.de/