Am Ende des Jahres stehen häufig Besuche bei der Familie, Freundinnen und Freunden und Menschen an, die man nicht regelmäßig sieht. Für manche ist das Zusammensein mit Verwandten und Bekannten, die man nicht regelmäßig sieht, eine Herausforderung. Ein Interview mit der Psychologin Donya Gilan. Sie arbeitet am Leibniz-Institut für Resilienzforschung in Mainz.
Guten Tag, stellen Sie sich doch einmal kurz vor, damit unsere Leserinnen und Leser wissen, wer Sie sind.
Donya Gilan: Ich bin Psychologin und beschäftige mich mit der psychologischen Anpassungsfähigkeit des Menschen. Zu meinen Forschungs- und Arbeitsschwerpunkten gehören die Entwicklung von Programmen zur Resilienzförderung, kulturvergleichende Emotionsforschung sowie der Themenkomplex Akkulturation. Aktuell forsche ich schwerpunktmäßig daran, welche Schutzfaktoren die psychische Gesundheit von Menschen stärken und aufrechterhalten und wie persönliche und globale Krisen bewältigt werden können. Dabei beschäftige ich mich zunehmend mit systemischen Schutzfaktoren und der Frage, was Gesellschaften in Zeiten von Krisen stärkt.
Das Jahresende steht vor der Tür. Für viele eine Zeit, zu der der Besuch der Familie ansteht. Aber nicht alle haben eine Familie, die sie besuchen können. Wie können wir Menschen durch diese Zeit begleiten, die sie wahrscheinlich alleine verbringen?
Donya Gilan: Einsamkeit am Jahresende, insbesondere, wenn sie auf das Fehlen einer Familie oder eines sozialen Netzwerks zurückzuführen ist, stellt ein Gesundheitsrisiko dar. Einsamkeit kann zu chronischem Stress führen, der wiederum eine Reihe von negativen Auswirkungen auf das Nerven- und Immunsystem hat. Dies kann zu einer erhöhten Anfälligkeit für Krankheiten und anderen Gesundheitsproblemen führen. Langfristige Einsamkeit kann das Selbstwertgefühl und das Selbstvertrauen beeinträchtigen. Das Gefühl der sozialen Isolation kann dazu führen, dass sich Menschen ungeliebt oder nicht wertgeschätzt fühlen. Während der Feiertage gibt es oft erhöhte soziale Erwartungen, Zeit mit Familie und Freunden zu verbringen. Für Menschen, die sich einsam fühlen, kann diese Betonung sozialer Verbindungen einen zusätzlichen Druck erzeugen. Das Jahresende kann auch Erinnerungen an Verluste oder vergangene traumatische Ereignisse hervorrufen, was bei einigen Menschen das Gefühl der Einsamkeit verstärken kann. Auf der anderen Seite bieten die Feiertage am Jahresende auch zahlreiche Gelegenheiten für soziale Interaktionen, sei es durch familiäre Treffen, Feiern mit Freunden oder gemeinnützige Aktivitäten. Diese können dazu beitragen, soziale Unterstützung zu stärken und Einsamkeit zu verringern. Hilfsstrategien sind in erster Linie soziale Unterstützung, empathische Kommunikation, positive Verstärkung durch gemeinsame Aktivitäten und das Gefühl der Zugehörigkeit zu einer Gemeinschaft. Indem man diese psychologischen Prinzipien berücksichtigt, kann man effektiv dazu beitragen, einsamen Menschen während der Weihnachtsfeiertage zu helfen. Um Menschen während der Weihnachtsfeiertrage zu helfen sind in erster Linie soziale Unterstützung, empathische Kommunikation, positive Verstärkung durch gemeinsame Aktivitäten und das Gefühl der Zugehörigkeit zu einer Gemeinschaft, wirksam.
Das Thema Einsamkeit ist ja ein sehr sensibles. Gibt es Tricks, wie wir es ansprechen können, ohne dabei Personen ein schlechtes Gefühl zu geben?
Donya Gilan: Die Sensibilität beim Ansprechen von Einsamkeit erfordert ein einfühlsames Vorgehen. Man kann vorschlagen, Zeit miteinander zu verbringen oder eine direkte Einladung aussprechen, ohne direkt auf das Thema Einsamkeit einzugehen. Dies schafft eine unterstützende Umgebung, in der die Person sich ermutigt fühlt, über ihre Gefühle zu sprechen, ohne Angst vor Beurteilung oder Kritik haben zu müssen. Durch das Angebot, Zeit zusammen zu verbringen, sei es mit Spieleabenden, gemeinsamem Kochen oder dem Teilen von positiven Erfahrungen, können positive soziale Verbindungen entstehen. Auch kleine Gesten der Freundlichkeit, wie das Schenken von Aufmerksamkeiten oder Karten, können zudem das Gefühl von Wertschätzung und Zugehörigkeit stärken. Auch die Einbindung von digitalen Verbindungen, wie Videotelefonaten oder gemeinsamen Online-Aktivitäten, bietet eine Möglichkeit zur sozialen Teilhabe, insbesondere wenn persönliche Treffen nicht möglich sind. Aktives Zuhören und empathische Gespräche über ihre Erlebnisse ermöglichen einsamen Menschen, sich verstanden zu fühlen und ihre Gefühle zu teilen. Zudem können einsame Menschen auch durch praktische Hilfen bei der Planung der Feiertage, sei es durch Einkaufshilfen oder organisatorische Aufgaben, entlastet werden. Es ist wichtig, die individuellen Präferenzen zu berücksichtigen und im Vorfeld zu erkunden, welche Form der Unterstützung am besten zu den Bedürfnissen der einsamen Menschen passt.
Auch für diejenigen, die im Kreis der Familie feiern, ist die gemeinsame Zeit oft mit Stress und manchmal mit Streit verbunden. Wie kommt man entspannter durch diese Zeit?
Donya Gilan: Eine klare Kommunikation und das offene Besprechen von Erwartungen und Plänen im Vorfeld, können Stress minimieren. Individuelle Bedürfnisse können unterschiedlich aussehen. Zudem ist es wichtig, bewusst kleine Time-out Phasen einzuplanen, z.B. durch Spaziergänge oder ruhige Momente. Auch durch eine Prise Humor können Spannungen abgebaut und eine positive Atmosphäre geschaffen werden.
Nicht immer sind die Themen, die in der Familie besprochen werden, für alle Beteiligten einfach. Dabei gibt es ja viele Fragen oder Aussagen, die verletzend sein können oder als übergriffig empfunden werden. Gibt es Übungen oder Gedanken, die es erleichtern, damit umzugehen?
Donya Gilan: Der Umgang mit Familienmitgliedern, die verletzende oder konflikthafte Kommunikation zeigen, erfordert Achtsamkeit und Strategien zur Selbstbewältigung. Eine Schlüsselkomponente ist die Selbstreflexion, um die eigenen Reaktionen zu verstehen und bewusster darauf zu reagieren. In stressigen Momenten ist es wichtig, Achtsamkeit zu praktizieren und im gegenwärtigen Moment zu bleiben, um nicht in alte Konflikte abzurutschen. Das Setzen klarer Grenzen ist entscheidend. Wenn die Kommunikation unangemessen wird, kann man höflich, aber bestimmt erklären, dass man nicht in eine konfliktreiche Diskussion einsteigen möchte. Übungen wie aktives Zuhören, bei dem man die Perspektive des anderen versucht zu verstehen, können helfen, Spannungen abzubauen. Vermeidung von konfliktgeladenen Themen und Fokussierung auf positive Interessen sind ebenfalls effektive Strategien. Es ist wichtig, Gelassenheit zu üben, sei es durch tiefe Atemübungen oder kurze Pausen, um Stress abzubauen und einen klaren Kopf zu bewahren. Ein Beispiel könnte darin bestehen, dass ein Familienmitglied provozierende Kommentare abgibt. In solchen Momenten kann man versuchen, durch aktives Zuhören und Gelassenheit die Eskalation zu vermeiden, und gegebenenfalls höflich aber bestimmt klare Grenzen setzen, um eine respektvolle Kommunikation aufrechtzuerhalten.
Fragen, die als übergriffig empfunden werden, sind ja auch häufig ein Problem von Distanz und Nähe. Wie kann man Verwandte oder Bekannte, die man ja teilweise auch nicht so regelmäßig sieht, auf die eigenen Grenzen hinweisen?
Donya Gilan: Das Hinweisen auf Grenzen erfordern Sensibilität und eine klare Ausdrucksweise. Am besten wählt man einen geeigneten Zeitpunkt für die Konversation aus. Wichtig sind "Ich"-Aussagen, um auf die eigenen Gefühle und Bedürfnisse hinzuweisen, anstatt Vorwürfe zu machen. Je konkreter die Beispiele sind, die die eigenen Grenzen überschritten haben, desto einfach ist es für den gegenüber nachzuvollziehen, welche Verhaltensweisen gemeint sind. Auch der Wunsch nach positiver Kommunikation sollte betont werden und emotional aufgeladen Worte sollten vermieden werden. Ein konkretes Beispiel könnte sein, dass du einem Familienmitglied mitteilst, dass bestimmte persönliche Themen tabu sind. Du könntest sagen: "Ich fühle mich unwohl, wenn über dieses Thema gesprochen wird. Ich bitte dich darum, das zu respektieren und stattdessen über andere Dinge zu sprechen." Dies zeigt deine Bedürfnisse deutlich, während es Raum für einen respektvollen Dialog schafft.
Kommen wir noch einmal auf das Thema Einsamkeit zurück. Man kann sich auch in Gruppen einsam fühlen. Die Gründe hierfür können ja mannigfaltig sein. Haben Sie Tipps, wie man diese Situation lösen kann?
Donya Gilan: Das Gefühl der Einsamkeit inmitten von Menschen, trotz der Anwesenheit anderer oder in Gruppen, basiert auf verschiedenen psychologischen Mechanismen. Es kann durch fehlende emotionale Verbundenheit, soziale Isolation trotz physischer Nähe, ungünstige soziale Vergleiche, oberflächliche Interaktionen und individuelle Unterschiede entstehen. Eine innere Leere oder Unzufriedenheit kann dieses Gefühl verstärken. Strategien, die diesem Einsamkeitsgefühl entgegenwirken können, sind der Aufbau eine tiefere Beziehung durch das Teilen persönlicher Gedanken und Gefühle, die aktive gemeinsame Teilnahme an Gruppenaktivitäten und das Zeigen von Empathie und Mitgefühl für den Gegenüber.
Vielen Dank für diesen Einblick. Gibt es von Ihrer Seite aus noch Punkte, die Sie gerne abschließend ergänzen möchten?
Donya Gilan: Die festlichen Tage zum Jahresende bieten eine einzigartige Gelegenheit, gemeinsam mit Familie und Freunden eine tiefgehende Reflektion des vergangenen Jahres vorzunehmen. In diesem Rahmen können nicht nur persönliche Höhen und Tiefen geteilt werden, sondern auch die Fremdwahrnehmung der anderen Mitglieder des Kreises erkundet werden. Besonders bemerkenswert ist der Ansatz, schwierige Themen durch die Kraft von Narrativen in den eigenen Lebenskontext zu integrieren. Das Erzählen von Geschichten verleiht Herausforderungen einen Sinn und erleichtert die Betonung von positiven Entwicklungen. Diese kollektive Reflektion fördert nicht nur das Verständnis füreinander, sondern schafft auch Raum für Dankbarkeit, Empathie und gemeinsames Wachstum. Auf diese Weise wird die festliche Atmosphäre der Feiertage durch bedeutsame Gespräche bereichert.