Studientag: Dialog statt Schweigen

Historische Spuren am Dom

Seit mehr als 700 Jahren prägt sie das Südportal des Wormser Doms: eine Frauengestalt mit verbundenen Augen, gedemütigt und besiegt, auf einer Ebene mit der selbstsüchtigen „Frau Welt“. Es handelt sich um die allegorische Darstellung der Synagoge, ein Symbol für das Judentum. Nur wenige Jahre nach der Errichtung dieses Portals zogen Wormser Bürger im schweren Pestpogrom des Jahres 1349 mordend und plündernd durch die Stadt; die wenigen überlebenden Juden wurden aus Worms vertrieben. Darstellungen wie diese haben einen klaren antijüdischen Hintergrund, machen sie doch den Triumph der christlichen Kirche über das Judentum allzu deutlich. Aber auch scheinbar subtilere Bilder, wie die stereotype Kennzeichnung durch Judenhüte, die noch einzelne Glasfenster des 20. Jahrhunderts im Wormser Dom zeigen, können als antijüdisch gedeutet werden. Diese und anderen Spuren am Wormser Dom aber auch an anderen Kirchen wurden durch die Veranstaltung in den Blick genommen. Ziel war es, diese historischen Zeugnisse auf wissenschaftlicher Grundlage einzuordnen und über ihre Wirkung bis in die Gegenwart zu diskutieren. „Gerade angesichts der weiter wachsenden Bedrohung durch Antisemitismus wollten wir mit diesem Tag nicht nur auf ein belastendes Erbe aufmerksam machen, sondern Denkanstöße geben, wie wir heute verantwortungsvoll mit diesen Zeugnissen umgehen können“, betonte Dr. Andreas Linsenmann, Co-Direktor der Akademie des Bistums Mainz bei seiner Begrüßung. Probst Tobias Schäfer führte weiter aus: „Spätestens mit der Anerkennung der SchUM-Stätten Speyer, Worms und Mainz als UNESCO-Welterbe wurde deutlich: Auch wir als Domgemeinde müssen uns mit den Spuren antijudaistischer Theologie im und am Dom auseinandersetzen. Wegschauen oder Verschweigen dürfen wir nicht“.
Impulse aus Wissenschaft und Kirche
Der Einstieg in den Nachmittag wurde fundiert von Dr. Felicitas Janson (Akademie des Bistums) moderiert. Harald Schlüter (DOMFORUM Köln) und PD Dr. Birgit Wiedl (St. Pölten) beleuchteten Beispiele mittelalterlicher Darstellungen von Antijudaismus aus kunsthistorischer Perspektive. Sie zogen dabei auch Parallelen zur neuzeitlichen Bildsprache und deren gesellschaftlicher Wirkung. „Wir [Christen] müssen mit diesen bleibenden Wunden leben, damit umgehen und darüber offen reden“, betonte Schlüter.
Eigens aus Israel angereist war Prof. Dr. Galit Noga-Banai (Hebräische Universität Jerusalem). Sie erläuterte die jüdische Perspektive und schlug für künftige Kunstprojekte vor, Christentum und Judentum als „Twin Brothers“ – Zwillingsbrüder – zu betrachten.
Thomas Frings (Erzbistum Köln) präsentierte die Ergebnisse eines internationalen Künstlerwettbewerbs am Kölner Dom, der sich als kooperatives Dialogverfahren mit dem christlich-jüdischen Verhältnis heute auseinandersetzte. Zudem stellte er die kürzlich veröffentlichten Leitlinien zu antijüdischen Darstellungen in den Bistümern und Landeskirchen Nordrhein-Westfalens vor. Diese sollen einerseits als „Sehhilfe“ dienen, um antijudaistische Bildwerke erkennen zu können, und andererseits Gemeinden generell für das Thema sensibilisieren. „Viele Darstellungen sind nicht auf den ersten Blick als antijudaistisch zu erkennen und müssen von Experten beurteilt werden“, erklärte Frings.
Bischof Dr. Ulrich Neymeyr (Erfurt), gebürtiger Wormser, berichtete von seinen Erfahrungen mit Darstellungen der sogenannten „Judensau“ am Erfurter Dom, wo seit 2024 ebenfalls eine künstlerische Reaktion zu sehen ist. Er hob hervor, dass Kunst mit Kunst beantwortet werden müsse: „Wir müssen dem Antisemitismus den Boden wegziehen. Es ist eine große Aufgabe, aber wir müssen Position beziehen und [mithilfe der Kunst] Gesprächsimpulse in Gang setzen.“
Podiumsdiskussion und Verantwortung
In der abschließenden Podiumsdiskussion, moderiert von Volker Gallé, diskutierten Ulrich Schwemer (EKHN), Dr. Peter Waldmann (Jüdische Kultusgemeinde Mainz-Rheinhessen), Birgit Kita (SchUM-Städte e.V.), Bischof Dr. Ulrich Neymeyr (Erfurt) und Propst Tobias Schäfer gemeinsam mit den Teilnehmenden, wie sichtbare Zeichen von Antijudaismus kritisch kontextualisiert und vermittelt werden können. „Vor allem in solch geschichtsträchtigen Städten wie Worms und Mainz, in denen jüdisches und christliches Erbe eng miteinander verflochten sind, ist es wichtig, dass wir dieses belastende Erbe der Vergangenheit gemeinsam aufarbeiten und offen darüber sprechen“, betonte Birgit Kita, Geschäftsführerin des SchUM-Städte e.V. und Site-Managerin des UNESCO-Welterbes SchUM-Stätten Speyer, Worms und Mainz. Dr. Peter Waldmann führte aus Sicht der jüdischen Gemeinde weiter aus: „Wir können froh sein, in einer säkularen Gesellschaft zu leben. Und dafür ist es wichtig, den Menschen didaktisch klug die Traditionen und auch die dunklen Traditionen in den Religionen nahezubringen. Zum Christentum gehört der Antijudaismus“. Die lebhaften Diskussionen und zahlreichen Resonanzen der Teilnehmenden zeigten, dass interreligiöser Austausch ein wichtiges Signal setzt: Erinnerung, Selbstkritik und Dialog bleiben zentrale Aufgaben, vor allem in den Welterbe-Städten. Weitere Veranstaltungen und Begleitprojekte sollen den Dialog fortführen. „Ziel ist es, vor allem die jüdische Gemeinde aber auch die breite Öffentlichkeit in den weiteren Prozess miteinzubeziehen. Dieser Nachmittag war ein inspirierender Auftakt“, fasste Propst Tobias Schäfer zum Abschluss zusammen.