Theodizee -

nicht zu harmonisieren

Engel (c) sensum

kurz:

Theodizee

„Wie einen Gott sich denken, der, die Güte selbst,
den Kindern, die er liebt, die Gaben spendet,
und doch mit vollen Händen Übel auf sie gießt.“

(Voltaire)

Die Begegnung mit dem Leid und dem Leiden ist eine Grunderfahrung des Menschen. In unserer Welt ist der Mensch Unrecht, Krankheit, Leiden und Tod ausgesetzt. Für den gläubigen Menschen stellt sich deshalb die Frage nach dem Sinn dieses Leidens im Heilsplan Gottes. Warum lässt Gott das zu? Warum muss ich leiden? Was habe ich getan, dass Gott mich so straft?

Besonders Naturkatastrophen werfen für uns Christen die Frage nach dem Zusammenhang von Gottes Handeln und dem Zustand der Welt auf. Dies gilt für den französischen Philosophen Voltaire (1694-1778) im Angesicht des Erdbebens von Lissabon (1755) genauso wie für uns heute beim Anblick der Tsunami-Bilder aus Asien (2005): Wenn Gott wirklich der Gott Jesu Christi ist und dieser sich durch unendliche Güte und absolute Vollmacht auszeichnet, warum lässt er dann das Leiden unzähliger unschuldiger Menschen überhaupt zu?

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Quelle: Voltaire, Pòeme sur le Désastre de Lisbonne. Übersetzt v. W. Breidert, in: Die Erschütterung der Welt, hg. v. W. Breidert, Darmstadt 1994, 68.

Autor(en): Clauß Peter Sajak

ausführlich:

Theodizee

Die Leidenserfahrung des Menschen bleibt rätselhaft

Das Nachdenken über diese Frage wird seit dem 17. Jahrhundert als „Theodizee“ (= griech. für „Gerichthalten über Gott“, später: „Rechtfertigung Gottes angesichts des Leidens“) bezeichnet, ein Begriff, den Gottfried Wilhelm Leibniz (1646-1716) in die philosophische Diskussion eingeführt hat. In diesem „Prozess“ schweigt Gott bis heute: Das Leid lässt sich nicht erklären, und es lässt sich nicht mit dem Bild vom guten Gott harmonisieren.

Bereits der antike, vorchristliche Philosoph Epikur (341-270) hat das logische Problem der Theodizee angedacht und in ein berühmtes Gedicht gefasst:

   Ist Gott willens, aber nicht fähig, Leid zu verhindern?
   Dann ist er nicht allmächtig.
   Ist Gott fähig, aber nicht willens, Leid zu verhindern?
   Dann ist er nicht gut.
   Ist Gott aber gut und allmächtig:
   Warum dann das Leid?

Leidenserfahrung und Kontingenzbewältigung (= Erfahrung und Deutung der eigenen Endlichkeit) gehören zu den Kernproblemen jeder Religion, die sich auf ein mit den Attributen von Güte und Allmacht verbundenes Gottesbild bezieht. Anders verhält es sich mit den asiatisch-weisheitlichen Religionen, die das Leid als Strafe und Läuterung im Kreislauf der Wiedergeburt verstehen. Noch immer gilt die Theodizee – die Rechtfertigung Gottes angesichts des Leidens in der Welt – als „Fels des Atheismus“ (Georg Büchner), an dem der Glaube leidender und geprüfter Menschen ‚zerschellt’. Über Jahrhunderte versuchte man die theologische Diskussion der Theodizee dadurch zu entschärfen, dass man das Leiden in ein durch das Freiheitshandeln der Menschen verursachtes Übel – das malum morale – und in ein durch die Kräfte der Natur geschaffenes Übel – das malum physicum – differenzierte. Damit wurde das durch menschliche Schuld und persönliches Versagen verursachte Leid als Preis für die Freiheit des Menschen erklärt. Problematisch war in diesen Epochen lediglich die Erfahrung von Naturkatastrophen, exemplarisch das Erdebeben von Lissabon 1755, das eine ganze Reihe von philosophischen Schriften über die Theodizee und die Frage nach Sinn und Zweck des malum physicum (von Pope, Voltaire, Rousseau, Kleist, Goethe) auslöste. Ein Grundmodell zur Erklärung dieses natürlichen Übels war die Vorstellung, dieses Leiden ergebe sich als nicht vermeidbare Konsequenz aus der Regelmäßigkeit der Naturgesetze, deren Ablauf alle Natur unterliegt und von denen der Mensch in der Regel bei seiner Lebens- und Wirklichkeitsgestaltung profitiert. Weil der Mensch auf die Verlässlichkeit der Naturgesetze vertrauen kann, z. B. durch den Kreislauf des Wassers oder Jahreszeiten, darf er auf der anderen Seite nicht ihre Aufhebung im Falle des persönlichen Nachteils erwarten, z. B. bei den Auswirkungen einer Dürre oder eines Erdbebens. Insgesamt stellt die Welt in ihrer Gesetzmäßigkeit aber die „beste aller möglichen Welten“ dar, ein oft zitierter und ebenso häufig kritisierter Ausdruck von Gottfried Wilhelm Leibniz (1646-1716).

Spätestens aber seit der Shoah – also dem industrialisierten Massenmord an den europäischen Juden zwischen 1942-1945 – hat auch das malum morale eine solch monströse Dimension angenommen, dass Erklärungsversuche mit einem wie immer gearteten Freiheitsmodell absurd erscheinen. Vielmehr hat die „Epiphanie des Bösen“ (Loris Sturlese), also der unübersehbare Einbruch des Bösen in die Welt, die Frage nach der Rechtfertigung Gottes in Christentum, aber natürlich auch im Judentum schier unerträglich verschärft. Bis heute bleibt die Frage, wie der „Hüter des Volkes Israel“ (Psalm 121), der Gott Abrahams, Isaaks und Jakobs dem Leiden seines auserwählten Volkes, dem er seinen Bund gestiftet hat, in den Konzentrationslagern und Ghettos zusehen konnte. Zwar sind inzwischen die Modelle einer „Tod-Gottes-Theologie“ (Richard L. Rubinstein) aus der theologischen Diskussion verschwunden, doch können auch die jüdischen (Elie Wiesel) wie christlichen (Walter Kasper) Antwortversuche, welche auf das Motiv der Stellvertretung rekurrieren – Gott selbst als Opfer des Holocaust –, nicht wirklich befriedigen. Die Frage nach dem malum physicum und des im vergangenen Jahrhundert ins Unfassbare gesteigerte malum morale ist weiter offen.

Die Leidenserfahrung des Menschen bleibt also rätselhaft. Zwar lässt sich im Leiden und Sterben Jesu eine einmalige und unüberbietbare Solidarität Gottes mit seinen Geschöpfen aufzeigen, doch beantwortet dies nicht die Frage nach dem Leid generell. Im Gegenteil: Oft sind Christen in ihrer Geschichte mit dem Vorwurf konfrontiert worden, was sei das doch für ein merkwürdiger Gott, der seinen Sohn von den Menschen in einem blutigen Kreuzesopfer schlachten ließ.

Dennoch zeigt uns Jesus in seinem Leben einen Weg, mit dem Leid umzugehen: Bedingungslose Nächstenliebe und Vertrauen auf Gottes Kraft. – Mehr lässt sich nicht sagen.

Autor(en): Clauß Peter Sajak