Zum Inhalt springen

Predigt im Rahmen des Ökumenischen Gottesdienstes zum Kriegsende Kathdedrale St. Sebastian Magdeburg, Samstag 10. Mai 2025, 14:00 Uhr :Sehnsucht nach Gerechtigkeit und Frieden wachhalten

Kathedrale St. Sebastian, Magdeburg
In seiner Friedensbotschaft zum Jahr 2020 hat Papst Franziskus einen Satz gesagt, an den ich heute erinnere: „Die Welt braucht keine leeren Worte, sondern glaubwürdige Zeugen, Handwerker des Friedens.“ Ich lese als Überschrift eines Kommentars zu den Gedenkfeiern zum Kriegsende vor 80 Jahren: „Spart euch die Plattitüden.“ Im Kommentar wird die Sorge ausgedrückt, dass die üblichen Sätze beim Gedenken fallen, gegen Hass und Rassismus, gegen rechte Parolen, gegen das Vergessen.
Datum:
Sa. 10. Mai 2025
Von:
Bischof Peter Kohlgraf

Vor 80 Jahren endete offiziell der II. Weltkrieg, der Millionen Tote hervorgebracht hat, unglaubliche Zerstörungen und nachhaltige Verwundungen und eine bis heute unabgeschlossene Geschichte des Leids. Ein Krieg ist immer die Niederlage alles Menschlichen. Am Ende bleiben nur Opfer. Auch auf Seiten der scheinbaren Sieger bleiben „immer nur von Mächtigen Benutzte“ übrig, so las ich in einem Kommentar in der Süddeutschen Zeitung dieser Tage. In dem Artikel[1] beschreibt ein ukrainischer Künstler seine Erfahrungen mit dem aktuellen Krieg in Europa. Das Leid des Krieges ist bis heute sichtbar, in der Architektur der damals zerstörten Städte, in den Familiengeschichten, die bis in heutige Generationen von den Kriegserfahrungen geprägt sind, in den Überlebenden und Zeitzeuginnen und –zeugen des Massenmords durch die Deutschen am jüdischen Volk und anderen Gruppen. Diese Generation wird bald nicht mehr da sein, aber wir müssen ihre Zeugnisse in eine neue Zeit mitnehmen, sie dürfen nicht vergessen werden. Viele von ihnen haben herausragende Beispiele für ein neues Deutschland und Europa gegeben, sie haben vom Lernen und von Versöhnung gesprochen und sich für ein neues Miteinander eingesetzt.

Ich denke an Margot Friedländer, eine Überlebende des Holocaust, die ihr Zeugnis so zusammengefasst hat: „Da ich für meine Mission nur wenige Worte brauche, sage ich nur: Danke, seid Menschen.“ Damit ist eigentlich alles Wesentliche gesagt, und doch war im Mai 1945 die Geschichte nicht abgeschlossen, das Ringen um die Deutung und die Konsequenzen blieben, bis heute.

Die verschiedenen Sichtweisen auf das Kriegsende haben das Nachkriegsdeutschland geprägt. 1985 hat der damalige Bundespräsident Richard von Weizsäcker in einer stark beachteten Rede zum Kriegsende von der Befreiung des deutschen Volkes gesprochen. Das war ein neuer Ton, gab aber auch nur eine notwendige Deutungsmöglichkeit wieder. Natürlich war es wichtig, dass er diesen Gedanken ausdrücklich betonte. Wir sehen heute etwa die Photographien der Überlebenden aus den Konzentrationslagern, für die die Befreiung eine Erlösung bedeuten konnte. In Westdeutschland endete die Diktatur, allerdings ging in Ostdeutschland der weitere Verlauf nicht in eine Geschichte der Freiheit über. Noch im August 1945 fielen Atombomben auf Hiroshima und Nagasaki, die zehntausende Menschen in den Tod rissen. Der 8. Mai als Tag der Befreiung ist kein Tag unbändigen Jubels. Auch Richard von Weizsäcker sprach von einer notwendigen Erinnerung, die bleiben muss, von Nachdenklichkeit und der gemeinsamen und bleibenden Verantwortung. Er sprach auch von einem gemeinsamen Tragen der Schuld nach 1945. Das hörte man 1985 nicht gerne.

Ich spreche hier weder als Historiker noch als Politiker, ich bin hier als Bischof und Theologe. Ich will meine Aufgabe wahrnehmen, zur aktiven Friedensgestaltung beizutragen und zu ermutigen.

Vor wenigen Tagen haben sich Menschen aus aller Welt von Papst Franziskus verabschiedet. Erstaunlich war die große Anteilnahme auch in der nichtkatholischen und nichtchristlichen Welt. Es gab dabei Kommentare, die ihn als Propheten des Friedens würdigten. Sie betonten, wie wichtig in dieser Welt, in der man sich an Krieg, Waffen, Debatten über Aufrüstung und Kriegstüchtigkeit gewöhnt, seine Stimme war, die Akzente dagegensetzte. Das war erstaunlich, denn nicht selten wurde ihm in den letzten Jahren Naivität und eine fehlende Positionierung gegenüber Kriegstreibern vorgeworfen. 

Seine Hoffnung auf Versöhnung, auf Diplomatie, Gespräche und die ausgestreckte Hand scheint tatsächlich keinen Raum mehr zu haben. Weltweit scheint es jedoch mehr Menschen zu geben, die sich nach genau dieser Stimme gesehnt haben, als die täglichen Debatten vermuten lassen. Welche Aufgabe sollten denn glaubende Menschen haben, als die Sehnsucht nach Gerechtigkeit und Frieden wachzuhalten, auch in den möglicherweise anstehenden Verteidigungsmaßnahmen, die nie das letzte Wort sein können?

In seiner Friedensbotschaft zum Jahr 2020 hat Papst Franziskus einen Satz gesagt, an den ich heute erinnere: „Die Welt braucht keine leeren Worte, sondern glaubwürdige Zeugen, Handwerker des Friedens.“ Ich lese als Überschrift eines Kommentars zu den Gedenkfeiern zum Kriegsende vor 80 Jahren: „Spart euch die Plattitüden.“ Im Kommentar wird die Sorge ausgedrückt, dass die üblichen Sätze beim Gedenken fallen, gegen Hass und Rassismus, gegen rechte Parolen, gegen das Vergessen. Tatsächlich besteht bei derartigen Gedenken immer die Gefahr, dass man sich durch das Wiederholen von bestimmten Aussagen selbst auf die Seite der Guten stellt und damit scheint die Sache dann erledigt. Widerspruch ist dann kaum zu erwarten, auch keine kontroversen Debatten. Dennoch ist eine eigene klare Position wichtig, die aber nicht nur in Worten besteht. Wir brauchen nach diesem Gedenken glaubwürdige Handwerkerinnen und Handwerker des Friedens. Menschen, die sich nicht einfach als überlegen dünken, sondern im Kleinen und in dem ihnen Möglichen Frieden säen statt Spaltung, Verantwortung übernehmen, gewaltfrei leben wollen in Gedanken, Worten und Werken.

Als Bischof frage ich sowohl nach der Schuld als auch nach den Verdiensten der in der Kirche Verantwortlichen. Vieles ist in der Kirche nach 1945 an Versöhnungsarbeit geschehen.

Mit einer Gruppe von pax christi waren wir im Frühjahr 2024 unter anderem in Auschwitz. Wir haben auch Wroclaw/Breslau besucht und an die ausgestreckte Hand polnischer Bischöfe erinnert, die an die Deutschen schrieben: „Wir vergeben und bitten um Vergebung.“ Das war eine ganz große Geste vor 60 Jahren 1965. Aus Feinden sind in vielen Begegnungen Freunde geworden.

Ich denke an die vielen Partnerschaften zwischen Frankreich und Deutschland. Europa war ein Friedensprojekt, pax christi als Gebetsgemeinschaft gegründet aus der Versöhnungsarbeit zwischen Frankreich und Deutschland. 

Vor fünf Jahren, im April 2020, haben die deutschen Bischöfe zum Ende des II. Weltkriegs geschrieben, es war vor dem Ausbruch des Ukrainekriegs. Dort lese ich zum Verhalten der deutschen Bischöfe im II. Weltkrieg: 

„Bei aller inneren Distanz zum Nationalsozialismus und bisweilen sogar offener Gegnerschaft war die katholische Kirche in Deutschland Teil der Kriegsgesellschaft. (…) Ganz im Sinne der kirchlich tradierten Sicht des Krieges riefen sie die Soldaten und Gläubigen zu Treue, Gehorsam und Pflichterfüllung, zu Bewährung, Sühne und Opfersinn auf.“

Diese historische Sicht lese ich in Zeiten, in denen wir wieder über die Rolle der Kirche und ihrer Botschaft in Kriegszeiten debattieren. Wir können die Realität nicht schönreden. Friedensethik muss aber ihren Platz in den Debatten behalten. Nicht zuletzt Papst Franziskus stand für diesen Mut in diesen Zeiten. Seine Worte und sein Beispiel wurden jedenfalls nicht als Plattitüden wahrgenommen. Glaubende Menschen lesen die großen Friedensvisionen der Bibel. Sie ermutigen, eine Welt zu gestalten, in der Hass, Menschenverachtung, Krieg und Gewalt keinen Platz mehr finden. Die Bibel ermutigt, nicht nur das eigene Glück zu suchen, sondern das Glück aller. Möge dieser Tag der Erinnerung auch ein Tag des Mutes werden, heute manches anders zu machen, und Gott möge seinen Segen dazu geben, dass wir die richtigen Wege finden.

[1] Renate Meinhof, Ein Krieg ist ein Krieg ist ein Krieg; SZ vom 6. Mai 2025., S. 3.