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Einmal im Monat schreibt Bischof Kohlgraf die Kolumne „Perspektiven“ für das Magazin „Glaube und Leben“:Suche nach der Wahrheit

lupe
Am Morgen spricht der Papst von Respekt, gegenseitigem Hinhören, Demut, Lernen und gemeinsamer Wahrheitssuche – und schon kurz darauf wird in den sozialen Netzwerken Andersdenkenden von vermeintlichen „Wahrheitsbesitzern“ Heuchelei und Kirchenfeindlichkeit vorgeworfen. Haben sie dem Papst wirklich zugehört?
Datum:
Mo. 10. Nov. 2025
Von:
Bischof Peter Kohlgraf

„Niemand ist dazu berufen, zu befehlen – alle sind berufen, zu dienen. (…) Niemand besitzt die ganze Wahrheit; wir alle müssen sie in Demut suchen, und zwar gemeinsam.“ Diesen eindrücklichen Satz sagte Papst Leo XIV. in seiner Predigt zum Jubiläum der Synodenteams am 26. Oktober 2025 im Petersdom. Ich durfte mit einer Delegation des sogenannten Synodalen Ausschusses aus Deutschland an diesem Treffen teilnehmen. Drei Tage waren wir in Rom. Gemeinsam mit rund 2000 Menschen aus aller Welt erlebten wir intensive Begegnungen, Gespräche, Gebetszeiten und Gottesdienste. Synodalität – also die Beteiligung aller Gläubigen an der gemeinsamen Suche nach guten Wegen – prägt die Kirche überall, wenn auch in unterschiedlicher Gestalt und abhängig von den jeweiligen kulturellen Kontexten. Doch überall spüren Menschen eine große Motivation, ihren Glauben gemeinsam in der Kirche und mitten in der Gesellschaft zu leben.

Diese Tage in Rom haben mir Mut gemacht, weiter an einer synodalen Kirche mitzuwirken. Zugleich wurde mir bewusst: Deutschland steht mit seinem Synodalen Weg nicht allein da, auch wenn manche Gruppen genau das immer wieder behaupten. Ähnliche Prozesse haben etwa in Irland, Italien, Australien und anderen Ländern stattgefunden – mit vergleichbaren Ergebnissen. Deutschland geht also keinen Sonderweg, sondern ist Teil einer weltweiten Bewegung. Diese Bewegung löst allerdings auch Ängste aus. Vielleicht, weil niemand genau weiß, was am Ende der gemeinsamen Suche nach der Wahrheit, von der der Papst spricht, stehen wird. Dieses Risiko hat Papst Franziskus bewusst auf sich genommen, und Papst Leo führt diesen Weg offenbar konsequent fort. Der Papst betonte in seiner Predigt, dass Demut die Grundlage der Synodalität sein müsse. Das hat mich besonders angesprochen. Demut ist die Haltung, die bereit ist, sich selbst immer wieder zurückzunehmen. Ich finde es bezeichnend: Am Morgen spricht der Papst von Respekt, gegenseitigem Hinhören, Demut, Lernen und gemeinsamer Wahrheitssuche – und schon kurz darauf wird in den sozialen Netzwerken Andersdenkenden von vermeintlichen „Wahrheitsbesitzern“ Heuchelei und Kirchenfeindlichkeit vorgeworfen. Haben sie dem Papst wirklich zugehört?

Ich möchte optimistisch bleiben, aber ich frage mich, wie ich als Bischof mit solchen Menschen eine synodale Kirche im Sinne des Evangeliums und in der Gesinnung des Heiligen Vaters gestalten kann. Wenn ich den Satz des Papstes ernst nehme, werde ich immer kritischer gegenüber jenen, die genau zu wissen meinen, was Wahrheit ist und wie es zu funktionieren hat. Wir leben in spannenden Zeiten. Für die Einladung des Papstes bin ich sehr dankbar. Es lohnt sich, auf dem eingeschlagenen Weg weiterzugehen – und gemeinsam zu lernen, was Synodalität wirklich bedeutet.

// + Peter Kohlgraf