Blut und Herz des heiligen Bonifatius sind hier in Mainz. Das ist ein tröstlicher und wahrhaft geistlicher Gedanke.

Predigt von Bischof Peter Kohlgraf
beim Pontifikalamt zum Bonifatiusfest des Bischöflichen Priesterseminars
in der Seminarkirche Mainz am 6. Juni 2024

Bonifatius (c) Bistum Mainz
Datum:
Do. 6. Juni 2024
Von:
Bischof Peter Kohlgraf

Jedes Jahr versammeln sich die deutschen Bischöfe am Grab des heiligen Bonifatius in Fulda. Er wollte dort begraben werden. Von 746 bis zu seinem Tod 754 war er Bischof von Mainz. Leicht hatte er es hier wohl nicht, er musste im Auftrag des Papstes den hiesigen Bischof absetzen, der Klerus, den er verweltlicht und wenig geistlich wahrnahm, empfing ihn nicht mit offenen Armen. In seinen Mainzer Jahren war Bonifatius mit heute unglaublichem Einsatz an der Schaffung verlässlicher Kirchenstrukturen befasst. Daran erinnere ich gerne, wenn heute Bischöfen und auch mir von manchen Seiten vorgeworfen wird, wir seien zu wenig geistlich und zu sehr mit Strukturfragen beschäftigt, auch bei den Veränderungen im Bistum Mainz.

Bonifatius war ganz eindeutig ein geistlicher Mensch, aber um die Kirche geistlich zu leiten und zu gestalten, braucht es klare Strukturen. Diese müssen auch heute den Bedingungen von Raum und Zeit angepasst werden. Ohne verlässliche Strukturen kein kirchliches Leben, aber ohne Geist und Glauben helfen uns Strukturen nicht weiter.  Sie können darüber hinwegtäuschen, dass es nur wenig Geist gibt. Strukturen können zu groß werden, so dass wir sie nicht mehr mit geistlichem Leben füllen können. Ich mag auch die Rede von den vermeintlich guten alten Zeiten nicht mehr hören. Ich glaube, dass es eine kirchlich heile Welt nie gegeben hat. Während Bonifatius und viele seiner Nachfolger Strukturen aufbauen mussten, Klöster und Kirchen bauen konnten, um Seelsorge und Verkündigung in der Fläche des Bistums zu ermöglichen, muss ein Bischof, müssen die Gläubigen heute, Ressourcen konzentrieren, um dem Verkündigungsauftrag gerecht werden zu können. Das eine ist nicht leichter als das andere, aber wir leben heute in dieser Zeit.

Vor einigen Monaten musste ich erleben, dass ein Pfarrer am Ende eines Firmgottesdienstes ein langes Klagelied auf die heutigen pastoralen Veränderungen anstimmte. Wenn er gewusst hätte, was auf ihn zukomme, wäre er nie Priester geworden. Während der Rede hatte ich mit mir zu kämpfen, wie ich reagieren solle. Am Ende habe ich nur einen Satz gesagt: „Lieber Herr Pfarrer, niemand von uns beiden hat sich ausgesucht, in welche Zeit uns Gott hineingestellt hat.“ Am Rande sei bemerkt, dass hinterher Gemeindemitglieder zu mir kamen und sagten, ich solle mich nicht ärgern, dieses Lamento hörten sie jede Woche. Ich bewundere manchmal unsere Gläubigen und ihre Resilienz. Unsere Aufgabe ist es heute, Inhalt und Form der Kirche in Einklang zu bringen.

Im Jahr 754 bricht Bonifatius zu einer letzten Missionsreise nach Friesland auf. Er wird in Dokkum erschlagen. Auf dem Weg nach Fulda macht der Leichenzug auch in Mainz Halt. Die Überlieferung berichtet, dass hier sein Blut und sein Herz geblieben sei, während der übrige Leichnam dann in Fulda seine letzte Ruhestätte gefunden habe. Blut und Herz des heiligen Bischofs sind hier in Mainz. Das ist für mich als Nachfolger des Bonifatius ein tröstlicher und wahrhaft geistlicher Gedanke. Er wird auch in diesen Tagen sein Bistum mit seiner Fürbitte begleiten. In einem Brief beschreibt er die Kirche als ein Schiff in stürmischen Zeiten. Gerne wäre er geflohen, aber er sieht es als seine Aufgabe, das Schiff zu lenken, sich seiner Verantwortung nicht zu entziehen. Ich gebe zu, dass ich dieses Bild und die Versuchung des Heiligen manchmal gut nachvollziehen kann. Zumal es ja nicht nur die Anfechtungen von außen sind, die das Schiff zum Schwanken bringen, es ist nicht nur eine feindliche „Welt“, die uns durchschüttelt. Es sind die Zustände im Inneren des Schiffs, die es oft in eine Situation bringen, nicht mehr steuerbar zu sein. Es gibt systemische Ursachen des kirchlichen Versagens, Papst Franziskus hat sie immer wieder klar benannt. Manchmal müssen Bischöfe und auch andere in der Seelsorge Verantwortlichen ertragen, dass ihnen Glaubens- und Führungsschwäche vorgeworfen wird, während die großen Heiligen wie Bonifatius etwa Tacheles geredet hätten. Bereits Bonifatius schaut mit „Furcht und Zittern“ auf die großen Vorbilder, und bekennt seine eigene Schwäche und Sündhaftigkeit.

Ich meine, dass diese Grundhaltung nicht so schlecht sein kann, um eigenem Machtdünkel und Klerikalismus, den wir heute zu Recht als Ursache mancher Übel in der Kirche identifizieren, vorzubeugen. Heilige Vorbilder lassen sich jedoch von niemandem instrumentalisieren, um eigene kirchenpolitische Vorstellungen heute gegen die Verantwortlichen in der Kirche heute zu positionieren. Jede und jeder im Schiff der Kirche trägt auf ihre und seine Weise Verantwortung dafür, dass Einheit gelebt wird und die eigene Rolle in Klarheit und Gottvertrauen ausgefüllt wird. Zu viel unfehlbare Selbsteinschätzung verhindert, dass das Schiff der Kirche auf einen klaren Kurs kommen kann. Bonifatius leidet am „Zögern Gottes“, das heißt, er leidet unter der scheinbaren Abwesenheit Gottes. Und dennoch vertraut er auf Gottes Treue. Auch hier bin ich, sind wir, dem Heiligen sehr nahe.

Wo ist er denn in diesen Zeiten? – diese Frage geht mir manchmal durch den Kopf. Bonifatius erinnert an Psalm 90: „Herr, du warst unsere Zuflucht von Geschlecht zu Geschlecht.“ Dieses Vertrauen möge uns auch heute tragen. Und er formuliert sein starkes Gottvertrauen: „Was wir aus eigener Kraft nicht tragen können, das wollen wir tragen durch ihn.“ Immer wieder beschäftigt ihn seine Aufgabe als Hirte. Er will kein „stummer Hund“ sein, er will nicht vor dem Wolf fliehen, sondern allen Menschen das Evangelium verkünden. Er hat für seine Zeit eine Form der Verkündigung und der Glaubensverbreitung gefunden, die den Bedingungen der Menschen und ihrer Lebenswelt entsprachen. Er hat nicht in „fremden Zungen“ geredet. Bekannt ist er geworden durch die Fällung der Donar-Eiche, er hat damit symbolisch den Anspruch des einen wahren Gottes bezeugt. Unsere Methoden haben sich verändert, aber der Anspruch Gottes bleibt der Kern unserer Verkündigung. Allerdings werden wir den Menschen diese Forderung hoffentlich nicht lieblos um die Ohren hauen, sondern in einen Dialog treten müssen, der ihre Lebenswelten zu verstehen sucht. Heute werden wir den Glauben anbieten müssen, nicht mit Gewalt aufzwingen. Denn wir selbst tragen den Schatz des Glaubens in zerbrechlichen Gefäßen, wenn wir ehrlich sind. Das gilt auch für den Bischof und die Hirten der Kirche. Dieses Zugeständnis macht sie nicht zu „Mietlingen“. Das Zugeständnis der eigenen Grenzen und das ehrliche Bemühen um Glaubwürdigkeit ist heute wohl der angemessene Weg des Zeugnisses, nicht das gewaltsame Zerschlagen der Götterbilder anderer. Dafür tragen wir viel zu viel eigenen Götzenkult auch mit uns selbst mit. Bonifatius sieht sich unter dem Anspruch des Wortes Gottes. Darin sollten wir ihm nacheifern. Er hat hier sein Blut und sein Herz gelassen. Wenn das so ist, dürfen wir auf seine Fürsprache setzen. Gott wird auch unserer Schiff heute lenken und begleiten.