Das ist die Freude am Evangelium, die Sie bezeugen dürfen, eine große und schöne Aufgabe.

Predigt von Bischof Peter Kohlgraf bei der Priesterweihe 2019 Hoher Dom zu Mainz, Samstag, 22. Juni 2019, 9.30 Uhr

Mainz, 22.6.2019: Bischof Peter Kohlgraf weiht Maximilian Eichler durch Handauflegung und Gebet zum Priester. (c) Bistum Mainz / Matschak
Datum:
Sa. 22. Juni 2019
Von:
Bischof Peter Kohlgraf

Liebe Schwestern und Brüder, lieber Herr Diakon Eichler!

In einem Interview haben Sie, lieber Herr Diakon Eichler, davon gesprochen, dass Sie oft die Freude am Glauben im Leben der Kirche und im Leben der einzelnen Gläubigen vermissen. Sie erinnern an das Evangelium, die „Frohe“ Botschaft, die tatsächlich Grund zu einer tiefen Freude ist, weil in ihr Gott den Menschen und der ganzen Welt seine Liebe zusagt. Wir verkünden die Freiheit und das ewige Leben, wir erfahren in den Sakramenten seine Nähe, Christus berührt uns selbst. Er tauft und nimmt uns in seine Gemeinschaft, er vergibt die Schuld, er gibt uns Anteil an seinem Geist, er reicht sich als Nahrung, er heiligt die Ehe als Abbild seiner Liebe zu uns, er heilt und er ruft Menschen in einen Dienst an den Schwestern und Brüdern. Seine Gegenwart ist Grund zur Freude. Freude ist mehr als nur die kurze Begeisterung über eine punktuelle schöne Erfahrung. Man kann sie als „lebensbejahende (…) Grundstimmung“[1] beschreiben. Gott lässt mich mein Leben bejahen, weil er „Ja“ zu mir sagt. Dieses „Ja“ gilt allen Menschen und der ganzen Schöpfung. Freude ist mit der Erfahrung von Freiheit verbunden. Unsere Gottesdienste sind ein Ausdruck dieser lebensbejahenden Freude. Das erste Zeichen Jesu im Johannesevangelium ist nicht umsonst die Hochzeit, das Fest, und die Verwandlung des Wassers in den köstlichen Wein der Freude (vgl. Joh 2,1-11).

Lieber Herr Diakon Eichler, Sie werden heute zum Priester geweiht, zum Priester, der in besonderer Weise „Mitarbeiter eurer Freude“ zusammen mit den Schwestern und Brüdern sein soll (vgl. 2 Kor 1,24). Es ist der schönste und wichtigste priesterliche Dienst, den Menschen zu helfen, einstimmen zu können in den Dank an den Vater für seine Liebe, die er uns in Jesus schenkt: „Dankt dem Vater mit Freude“, lautet Ihr Weihespruch (Kol 1,12).

Die Freude des Evangeliums, oder auch: Die Freude am Evangelium – so lautet der Titel eines großen Schreibens, das Papst Franziskus veröffentlicht hat. Die Freude, um die es dem Papst geht, ist ein gutes Thema für diesen Gottesdienst und das Nachdenken über den priesterlichen Dienst. Freude ist ein Thema, welches die gesamte Heilige Schrift durchzieht. Verschiedene Menschen sind besondere Freudenboten: Die Propheten, die in den großen Texten die Freude verkünden, Maria, die freudig zu ihrer Verwandten Elisabeth läuft, die Hirten im Weihnachtsevangelium, die voll Freude von der Krippe zurückgehen, die Zeuginnen und Zeugen am Ostermorgen. Sie erfahren das „Ja“ Gottes geradezu hautnah und geben die Freude weiter. Sie sind für uns immer wieder Motivation, selbst zu solchen Zeuginnen und Zeugen zu werden. Der Papst stellt jedoch fest, dass mancher Christ aussieht, als wäre sein Leben eine permanente Beerdigung. Auch viele Christen sind, so der Papst, gereizte, unzufriedene, empfindungslose Zeitgenossen. Allein auf sich konzentriert kann man keine wirkliche Freude finden. Freude ist ein Geschenk, das man in der Begegnung mit anderen Menschen im Glauben finden kann:

„Ich lade jeden Christen ein, gleich an welchem Ort und in welcher Lage er sich befindet, noch heute seine persönliche Begegnung mit Jesus Christus zu erneuern oder zumindest den Entschluss zu fassen, sich von ihm finden zu lassen, ihn jeden Tag ohne Unterlass zu suchen. Es gibt keinen Grund, warum jemand meinen könnte, diese Einladung gelte nicht ihm, denn niemand ist von der Freude ausgeschlossen, die der Herr uns bringt. (…) Hier bin ich wieder, um meinen Bund mit dir zu erneuern. Ich brauche dich. Nimm mich noch einmal in deine erlösenden Arme.“ (Evangelii Gaudium 3) Auch Priester sind nicht selten in der Versuchung, unzufrieden und freudlos zu werden. Dass es dazu nicht kommt, ist auch eine geistliche Herausforderung. Lieber Herr Diakon Eichler, lassen Sie sich immer wieder von Christus in seine Freude hineinführen und von seiner Gegenwart berühren.

Liest man den Text des Papstes – so geht es jedenfalls mir – erfasst einen eine eigenartige Unruhe. Vieles kann ich sofort unterschreiben: Die Realität unserer Kirche ist oft wenig von dieser Freude geprägt; Gewohnheiten und Traditionen stellen wir nur ungern in Frage; unterschiedliche Gruppen in der Kirche streiten geradezu unversöhnlich. Wir sind schon sehr mit uns selbst beschäftigt. Das betrifft ja nicht nur die großen Themen, über die gestritten wird. Wie schwer ist es für manchen Pfarrer, seine Gemeinden zusammenzubringen. Und hier legt der Papst schon einen Finger in die Wunde. Wir können es uns nicht leisten, uns permanent selbst zu bespiegeln. Er ruft uns weg von unseren scheinbar so wichtigen kircheninternen Themen und ruft, die Menschen in den Blick zu nehmen, die das Evangelium nicht kennen. Es geht nicht um die Bewahrung von Strukturen, sondern um den aktiven, gelebten Glauben – durch mich, durch Sie, durch jede und jeden einzelnen. Ich hoffe, dass unsere Botschaft, das Evangelium der Freude wieder stärker in die Gesellschaft strahlen kann. Zu lange und zu oft haben wir Moral gepredigt – und nicht zur Freude eingeladen.

Und spätestens jetzt wird es ungemütlich. Es gibt keinen Christen und keine Christin, der oder die nicht zuständig wäre. Das wissen wir oft theoretisch, aber wirklich angekommen ist die Botschaft längst nicht. Das „man müsste“ ist eine starke Versuchung. Auch das hat etwas mit der inneren Freude des Glaubens zu tun. Die Zeiten sind vorbei, in denen jemand sagen konnte, für die und die Aufgabe in Kirche und Welt gibt es Allzuständige. Für die Verkündigung des Glaubens sei der Pfarrer, der Kaplan oder die Gemeindereferentin zuständig. Nein, jeder kennt Menschen, denen das Evangelium noch unbekannt ist. Ist unser Glaube dann Thema? Es geht nicht mehr allein um den Erhalt von Gemeinden, sondern um den suchenden Menschen in unseren Dörfern und Städten. Es geht nicht mehr allein um Traditionen, sondern um das Neue des Glaubens. Alle Ebenen der Kirche werden vom Papst aufgemischt. Denn es geht beim Glauben nicht um ein gemütliches Sitzen und Verweilen, sondern um ein aktives Leben, um eine bewusste Gestaltung meines Glaubens, meiner Kirche, meines Lebens mit Gott. Und das kann ich nicht delegieren. Es kann eine manchmal herausfordernde Aufgabe des Priesters sein, die Gläubigen in den Verkündigungsauftrag mitzunehmen und den Gläubigen auch die Verantwortung zu lassen, sie darin zu begleiten und zu ermutigen. Auch dies ist priesterlicher Dienst am Volk Gottes und an der Welt, in der wir alle leben. Ich darf Papst Franziskus zitieren: „Ja, ich habe mich eingerichtet, ich bringe ein christliches Leben gut voran, ich gehe sonntags zu Messe, ich verrichte manches Werk der Barmherzigkeit, alles gut und da bleibe ich stehen?“[2] – Der Papst sieht, dass dies schon viel ist, aber dass es auch bedeuten kann: Diese Gläubigen bleiben beim ersten Schritt stehen. Da ist es Aufgabe eines Priesters, zu einem weiteren Schritt auf die größere Heiligkeit hin zu ermutigen. Es kann auch bei jedem Priester die Versuchung auftreten, selbst nicht mehr weiter zu gehen im Glauben und in der Liebe. Irgendwann strahlt dann auch die Freude nicht mehr.

Dass Sie, lieber Herr Diakon Eichler, ein Mensch der Freude bleiben, wünsche ich Ihnen von Herzen. Dass Sie Menschen motivieren, in den freudigen Dank an den Vater im Himmel einzustimmen, davon bin ich überzeugt. Helfen Sie den Gläubigen, im Glauben Schritte zu gehen, die tiefer in die Freude an Gott hineinführen. Helfen Sie den Menschen in unseren Gemeinden, freudig in die Zukunft zu gehen und oft aufzubrechen. Gehen Sie mutig auf Menschen zu, die Christus noch nicht kennen, und laden Sie sie ein. Setzen Sie auf die richtigen Themen, auf die Freude am Evangelium. Gott spricht sein „Ja“ zu Ihnen und zu den Menschen, zu denen er Sie sendet. Das ist die Freude am Evangelium, die Sie bezeugen dürfen, eine große und schöne Aufgabe.

 

[1] Gerfried W. Hunold, Art. Freude, in: LThK³ (1993) 130.

[2] Frühmesse am 12. März 2018, veröffentlicht in: L'Osservatore Romano, Wochenausgabe in deutscher Sprache, Nr. 12, 23. März 2018.

Links:

Text von Papst Franziskus "keine geparkten Christen sein"

Apostolisches Schreiben Evangelii Gaudium von Papst Franziskus

Mainz, 22.6.2019: Als Zeichen der Demut und Hingabe an Gott legt sich der Weihekandidat während der Allerheiligenlitanei vor dem Altar auf den Boden. (c) Bistum Mainz / Matschak
Mainz, 22.6.2019: Bischof Peter Kohlgraf spricht das Weihegebet. (c) Bistum Mainz / Matschak
Mainz, 22.6.2019: Erstmals feiert der neu geweihte Priester die Eucharistie. (c) Bistum Mainz / Matschak