„Der Diakon stellt in besonderer Weise den heilenden, sorgenden Christus dar, der den Menschen liebevoll betrachtet."

Predigt von Bischof Peter Kohlgraf beim Pontifikalamt zur Diakonenweihe von Bruder Severin Tyburski, OCarm Karmeliterkirche Mainz, Samstag, 4. Mai 2019

Datum:
Sa. 4. Mai 2019
Von:
Bischof Peter Kohlgraf

„Wählt aus eurer Mitte Männer von gutem Ruf und voll Geist und Weisheit“  (zu Apg 6,1-7)

Die Lesung dieses Tages passt hervorragend zu dieser Diakonenweihe von Bruder Severin. In der Tradition wird dieser Text aus der Apostelgeschichte als die Gründungsurkunde des Diakonats gelesen. Über Stephanus, der in der Namensliste erscheint, wissen wir mehr. Er zählt im Heiligenkalender zu den großen heiligen Diakonen der frühen Kirche. Er scheint mir ein guter Begleiter für unseren jungen neuen Diakon zu sein. Die Apostelgeschichte formuliert Eignungskriterien für einen Menschen, der im Diakonat wirken soll.

Ein Mann von gutem Ruf, voll Geist und Weisheit

Vielleicht werden Sie, lieber Bruder Severin, jetzt etwas unsicher. Passt das auf mich, können Sie fragen? Die Unsicherheit ist nicht schlimm, denn vielleicht ist genau dies ein Zeichen dafür, dass Sie gut geeignet sind. Wenn Sie beim ersten Hören sagen würden, Sie seien voll Geist und Weisheit, wäre das der Beleg für das Gegenteil. Es geht auch nicht einfach um Lebenserfahrung und eine bestimmte Form der Klugheit, die ein Mensch sich erwerben kann. Geist und Weisheit sind keine guten Eigenschaften, die man sich selbst zuschreiben kann. Ganz im Gegenteil: Es sind Gaben Gottes. Schauen wir uns biblische Berufungsgeschichten an, sind es oft diejenigen, die ausgewählt werden, die nach menschlichen Kriterien zunächst nicht im Blick gewesen wären. Als der Prophet Samuel aufgefordert wird, nach Bethlehem zu ziehen, um einen Nachfolger für den König Saul auszusuchen, lässt Isai seine Söhne aufziehen. Samuel schaut nach dem äußeren Anschein, nach der Kraft, nach dem Aussehen, aber Gott sieht das Herz. So wird der jüngste erwählt, an den zunächst niemand gedacht hatte (vgl. 1 Sam 16). Natürlich bringt David gute Eigenschaften mit, die Gnade der Berufung arbeitet immer mit der Natur zusammen. David kann Menschen gewinnen, er ist ein Mensch, der Charakter mitbringt, den er unter Beweis stellt, als er einmal di e Gelegenheit hat, seinen Feind Saul zu töten, es aber nicht umsetzt. Umso schwerer wiegt, dass auch ihm eines Tages die Macht zu Kopf steigt und er zum Mörder wird. Gott setzt auf schwache Menschen, nicht auf Helden. Derartige Erfahrungen durchziehen die Heilige Schrift. Der Prophet Jeremia wehrt sich gegen seine Berufung, weil er zu jung und unerfahren sei (Jer 1,7). Gott besteht auf seiner Wahl, Jeremia muss seiner Berufung nachkommen. Auch die Apostel sind nicht allein nach klar erkennbaren menschlichen Kriterien berufen. Paulus staunt über seine Berufung, und sieht in seiner Sendung den deutlichsten Beweis dafür, dass Gott nicht nach menschlichen Maßstäben beruft. Sie, lieber Bruder Severin, sind von Gott mit Gaben und Talenten beschenkt worden, sie sind eine wichtige Grundlage für den Dienst in der Kirche für die Menschen. Ihre Berufung ist aber nicht aufgrund besonderer Leistungen, sondern sie ist ein Geschenk Gottes, auf das sich niemand etwas einbilden darf. Vielleicht ist eine derartige Haltung die dem Stephanus zugeschriebene Weisheit: Erkennen, welche Gaben ihm geschenkt sind, welche Talente er mitbringt, aber auch die Einsicht in die eigenen Grenzen; das Bewusstsein, dass er nicht aus eigener Vollkommenheit berufen ist. Mit der Gnade zusammenarbeiten, sich der Gnade und Wahl Gottes zur Verfügung stellen, ist die Weisheit, die am Beginn eines Berufungsweges stehen soll. Dann kann der Geist Herausragendes mit einem Menschen bewirken. Darauf, lieber Bruder Severin, setzen wir heute auch. Gott wird das vollenden, was er in Ihnen grundgelegt hat.

Berufen zum Dienst an den Tischen

Die Apostelgeschichte erinnert die Kirche bis heute daran, dass die Diakonie, der Dienst an den Menschen, zum Kern ihres Handelns gehört. Der Mensch steht im Blick mit allen seinen Bedürfnissen. Christliches Arbeiten reduziert den Menschen weder allein auf seine leiblichen, noch allein auf seine geistlichen Bedürfnisse. Der diakonische Dienst wird beide Seiten des Menschen in den Blick nehmen. Aber Stephanus steht dafür, dass die Sorge um das Brot, die Gesundheit, die Beratung, und zahlreiche andere caritative Felder nicht sogenannte Vorfeldarbeit, sondern gelebtes Evangelium sind. Daran erinnert etwa Papst Benedikt XVI. in seiner Enzyklika „Deus caritas est“: „Die in der Gottesliebe verankerte Nächstenliebe ist zunächst ein Auftrag an jeden einzelnen Gläubigen, aber sie ist ebenfalls ein Auftrag an die gesamte kirchliche Gemeinschaft, und dies auf all ihren Ebenen: von der Ortsgemeinde über die Teilkirche bis zur Universalkirche als ganzer. Auch die Kirche als Gemeinschaft muss Liebe üben. Das wiederum bedingt es, dass Liebe auch der Organisation als Voraussetzung für geordnetes gemeinschaftliches Dienen bedarf. Das Bewusstsein dieses Auftrags war in der Kirche von Anfang an konstitutiv: ‚Alle, die gläubig geworden waren, bildeten eine Gemeinschaft und hatten alles gemeinsam. Sie verkauften Hab und Gut und gaben davon allen, jedem so viel, wie er nötig hatte‘ (Apg 2, 44-45). (Deus caritas est 20).

Oder auch Papst Franziskus: „Die eigene Schönheit des Evangeliums kann von uns nicht immer angemessen zum Ausdruck gebracht werden, doch es gibt ein Zeichen, das niemals fehlen darf: die Option für die Letzten, für die, welche die Gesellschaft aussondert und wegwirft.“ (Evangelii gaudium 195) – „Unser Einsatz besteht nicht ausschließlich in Taten oder in Förderungs- und Hilfspro­grammen; was der Heilige Geist in Gang setzt, ist nicht ein übertriebener Aktivismus, sondern vor allem eine aufmerksame Zuwendung zum anderen, indem man ihn ‚als eines Wesens mit sich selbst betrachtet‘. Diese liebevolle Zuwendung ist der Anfang einer wahren Sorge um seine Person, und von dieser Basis aus bemühe ich mich dann wirklich um sein Wohl. Das schließt ein, den Armen in seinem besonderen Wert zu schätzen, mit seiner Wesensart, mit seiner Kultur und mit seiner Art, den Glauben zu leben. Die echte Liebe ist immer kontemplativ, sie erlaubt uns, dem anderen nicht aus Not oder aus Eitelkeit zu dienen, sondern weil es schön ist, jenseits des Scheins.“ (Evangelii gaudium 199)

Der Diakon stellt in besonderer Weise den heilenden, sorgenden Christus dar, der den Menschen liebevoll betrachtet. Auch wenn später die Priesterweihe folgt, bleiben Sie, lieber Bruder Severin, Diakon. Der Diakon erinnert die ganze Kirche an ihren bleibenden Auftrag, eine diakonische Kirche, eine heilende, aufmerksame und sorgende Kirche zu sein.

Ein überzeugender Prediger

Stephanus beschränkt sich keineswegs nur auf den diakonischen Dienst, in den folgenden Kapiteln redet er zu seinen Zeitgenossen als begeisterter Zeuge des auferstandenen Christus. Er bezeugt, dass der Himmel offen steht und dass Christus zur Rechten Gottes sitzt (vgl. Apg 7, 56). Er nimmt dabei auch Anfeindung und am Ende gar den Tod in Kauf. Verkündigung erlebt Stephanus nicht als feierliche Sonntagspredigt, sondern als Hingabe des Lebens. Das, lieber Bruder Severin, wird bei Ihnen anders aussehen als bei Stephanus, aber Hingabe meint heute, dass wir in eine Welt gehen, die den Zeugen ebenfalls nicht überall mit offenen Armen und offenem Herzen erwartet. Ich darf Ihnen für Ihre Bereitschaft und auch den Mut danken, dass Sie durch Ihre Antwort auf Gottes Ruf ein persönliches Zeugnis geben. Eine Predigt allein mit Worten überzeugt heute weniger als je zuvor. Ein überzeugendes Leben, das Bemühen, das ins Leben zu übersetzen, was wir glauben, ist sicher die wichtigste Grundlage für die Weitergabe des Evangeliums. Stephanus sieht den Himmel offen. Der offene Himmel ist ein wunderschönes Hoffnungsbild auch für unsere Zeit. Der Himmel ist offen, und wir dürfen den Blick der Menschen auf diesen offenen Himmel lenken. Gott ist da, Jesus lebt, und seine Liebe leuchtet auch heute über den Menschen, ihren Fragen, Freuden und Sorgen. Das dürfen und sollen wir, das sollen Sie, lieber Bruder Severin, tun. In seiner Nachfolge, in seiner Freundschaft. Diese Freundschaft zu bezeugen, einzuladen, Anteil daran zu geben, sorgt dafür, dass wir uns nicht selbst verkünden, sondern Christus, der über und in uns leuchtet.

Sich geben, auf die Gnade vertrauen, Christus als Diener darstellen und glaubwürdig leben und Zeugnis geben. Ich wünsche Ihnen, dass Sie in dieser Freundschaft wachsen. Er ruft Sie, er bleibt bei Ihnen. Ihnen, dem Orden und den Ihnen anvertrauten Menschen wünsche ich von ganzem Herzen Gottes Segen!