Meine Vision

Ansprache des neu geweihten Mainzer Bischofs Professor Dr. Peter Kohlgraf

Bischofsweihe2 (c) Stefan Sämmer
Datum:
So. 27. Aug. 2017
Von:
Internetredaktion
Sehr geehrte Mitbrüder im Bischofs-, Priester- und Diakonenamt, liebe hauptamtliche Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, geschätzte Ehrengäste, liebe Verwandte und Freunde, verehrte Schwestern und Brüder hier in Mainz im Dom und auf den Plätzen rund um den Dom, und die vielen, die im Radio, Internet oder Fernsehen mitgefeiert haben.

Vielen Dank für Ihr und Euer Mitfeiern und Mitbeten! Das ist für mich und unser Bistum eine große Stärkung und Ermutigung.

„Wer Visionen hat, sollte zum Arzt gehen" – dieses Wort wird einem mittlerweile verstorbenen deutschen Politiker zugeschrieben. Das mag ich als Bischof nicht unterschreiben. Im Prophetenbuch Joel sind die Visionen sogar ein Zeichen für das Wirken des Heiligen Geistes: Der Prophet Joel beschreibt die kommende Heilszeit, auf die das Gottesvolk hofft, mit folgenden Worten: „Ich werde meinen Geist ausgießen über alles Fleisch. Eure Söhne und Töchter werden Propheten sein, eure Alten werden Träume haben, und eure jungen Männer haben Visionen" (Joel 3,1).

Als Ihr neuer Bischof erlaube ich mir, eine Vision zu haben und sie mit Ihnen zu teilen. Meine Vision für das heilige Volk Gottes im Bistum Mainz gründet auf meinem bischöflichen Wappenspruch: Das Reich Gottes ist nahegekommen. Mit dieser Verheißung schickt Jesus seine Jünger los. Sie sollen dieses Versprechen überall verkünden. Gott ist unter euch am Werk, die Welt ist nicht gottlos, Gott hat die Welt nicht verlassen, ganz im Gegenteil. Jesus ist nicht naiv. Er spricht dieses Wort nicht in eine heile Welt. Die Menschen damals waren nicht schlechter oder besser als die Menschen unserer Welt heute. Jesus geht durch diese Welt und viele Dinge werden für ihn zum Hinweis auf Gottes Gegenwart. Er selbst vermittelt die Liebe Gottes in der Zuwendung zu den Schwachen, den Kranken, den Armen, den Sündern. Er spricht in Gleichnissen von dieser Gottesherrschaft, die man suchen und finden kann wie einen kostbaren Schatz. „Die Welt ist Gottes so voll", sagt der Jesuitenpater Alfred Delp in der dunkelsten Epoche deutscher Geschichte kurz vor seiner Hinrichtung. Auch er war nicht naiv, aber er wusste, dass Gott die Welt und seine Menschen nicht aus seinen guten Händen lässt. In seinem Sohn Jesus hat uns Gott dies auf greifbare Art und Weise bewiesen. Jesus ging mit sehenden Augen durch diese Welt, und er hat bis heute seinen Platz mitten unter den Menschen mit ihren Freuden und Hoffnungen, ihrer Trauer und ihren Ängsten. Wenn wir als Kirche das Reich Gottes heute finden wollen, muss unser Platz mitten in unserer Welt, unter unseren Zeitgenossen, sein. Jedes Mitglied der Kirche ist berufen, sich einzumischen in politische Debatten, mitzumachen, wo Hilfe gebraucht wird, den Mund aufzumachen, wo andere schweigen, eine respektvolle Sprache zu sprechen, wo andere Hass säen. Und hinzuschauen und zu hören, was der andere Mensch braucht. Unsere Welt ist ein Buch, in dem wir lesen können, was Gott heute von uns will. Nicht selten gibt es die Versuchung des Rückzugs in die kleine glaubensstarke Gruppe. Natürlich bleiben die Heilige Schrift und die Tradition der Kirche die entscheidenden Fundamente kirchlichen Lebens, aber doch nicht hinter den verschlossenen Türen unserer Kirchen. Wenn wir nicht lernen, unseren Glauben in Tat und Wort hinauszutragen und in einem wirklichen Gespräch und Begegnung mit unserer Welt zu bezeugen, werden wir blind für Gottes Reich. „Wir" – das sind alle Getauften. In diesem Auftrag müssen wir ökumenisch unterwegs sein. Er/unser Gott ist oft schon längst da, bevor wir kommen.

Das Reich Gottes wächst – ist das nicht eine großartige Botschaft in eine kirchliche Erfahrung, dass wir kleiner und irgendwann auch ärmer werden? Als Jesus seine Jünger losschickte, war das Christentum keine Massenbewegung. Die Jünger, Männer und Frauen, ziehen los in aller Einfachheit, aber einer großen Glaubwürdigkeit und einer starken Hoffnung. Sie wussten: der Herr ist mit uns unterwegs. Er ist da, wo zwei oder drei in seinem Namen ver-sammelt sind. Er ist da, wo sich Menschen in Liebe einem anderen Menschen zuwenden, er ist da, wo Gottes Wort gelesen, gelebt und bezeugt wird. Wir werden neu lernen dürfen, dass wir das Heil nicht machen, aber sakramental anbieten und vermitteln können. Die Eucharistie möge die Quelle unseres Lebens bleiben. Meine Vision beinhaltet, dass Menschen neue Freude daran bekommen, ihre Taufberufung zu leben und dass daraus ein Boden entsteht, dass junge Leute erfahren, dass die Kirche ein Ort des Lebens sein kann. Das Reich Gottes ist in den Familien, die den Glauben praktizieren, bei den vielen Ehrenamtlichen, die das in die Kirche und die Welt einbringen, was sie können und was anderen dient. Die Kirche als Ort des Lebens wird dort konkret, wo in Gruppen und Begegnungen Menschen erfahren, dass sie nicht allein auf der Suche nach einem sinnvollen Leben sind. Neben der traditionellen Gemeinde müssen wir alles unterstützen, was Vielfalt fördert. Daraus mögen neue Berufungen erwachsen für einen geistlichen oder kirchlichen Beruf. Wir sollten uns nicht damit abfinden, dass man über den Glauben nicht spricht. Glauben und Lieben sind nichts Peinliches.

Mit dieser Vision möchte ich nicht allein bleiben. Ich bitte Sie alle, sich auf die Schönheit des Gottesreiches einzulassen, dem Evangelium zu glauben. „Das Reich Gottes ist nahegekommen", diese apostolische Botschaft möchte ich mit Ihnen gemeinsam leben.

Am Ende des feierlichen Weihegottesdienstes sind zwei wichtige Leitungsdienste für unser Bistum zu verkünden: Das Amt des Generalvikars wird Weihbischof Dr. Udo Bentz übernehmen. Ich bin ihm für seine Bereitschaft überaus dankbar und freue mich auf eine gute Zusammenarbeit.

Die Aufgabe des Offizials wird weiter Prälat Dr. Peter Hilger ausüben. Auch ihm einen herzlichen Dank und große Anerkennung für das bisher Geleistete.
Ein großes Anliegen ist es mir, Prälat Dietmar Giebelmann zu danken für die vielen Jahre, in denen er die aufreibende Arbeit des Generalvikars ausgeübt hat, und an dieser Stelle beson-ders für die letzte Zeit als Diözesanadministrator. Was Sie, lieber Herr Prälat, geleistet haben, wissen ganz viele Menschen, die hier sind – ich ebenfalls. Ich bin dankbar, dass Sie bereit sind, Ihre Erfahrungen auch weiterhin an entscheidender Stelle, der Flüchtlings- und Integ-rationsarbeit, in den Räten und im Feld der Stiftungen, mit einzubringen.

Ein Dank an den Heiligen Vater für die Ernennung, die mich berührt und auch ein wenig erschüttert hat. Ihre Anwesenheit, verehrter Herr Nuntius Eterović, ehrt die Diözese Mainz, aber auch mich persönlich sehr.

Danke an Kardinal Karl Lehmann für die Weihe und das brüderliche Miteinander. Danke an Kardinal Woelki aus Köln und Erzbischof Burger aus Freiburg, dem Vorsitzenden der deut-schen Bischofskonferenz, Kardinal Reinhard Marx, allen Bischöfen, die dabei sind und unse-re Gemeinschaft bezeugen. Den Pfarrern vor Ort, den Priestern, Diakonen, Pastoral- und Gemeindereferentinnen und -referenten, allen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in Pastoral und Caritas möchte ich sagen, dass ich mir eine große Nähe zu Ihnen wünsche und unendlich dankbar bin für das, was Sie leisten. Das gilt auch für alle, die in den letzten Wochen hier in Mainz Unglaubliches auf die Beine gestellt haben, damit dieses Fest gefeiert werden kann. Danke von Herzen!

Ein Dank dem Domkapitel für die Wahl und die Bitte um weitere Unterstützung.

Am Ende darf ich etwas unbescheiden sinngemäß Papst Leo den Großen zitieren (440-461): Gerne feiere ich mit Euch allen diese Wahl. Ich bitte euch nun, um der Barmherzigkeit Gottes willen, unterstützt mit euren Gebeten den Mann eurer Wahl, so dass die Gnade Gottes mir und dem Volk Gottes in Mainz erhalten bleibe.

(c) Bischof Peter Kohlgraf - Es gilt das gesprochene Wort.