Christus ist keine Idee, nicht nur ein Spender von Werten und Ideen, er ist eine lebendige Person. Eine Beziehung muss lebendig bleiben, sie wird durch Höhen und Tiefen gehen, durch Freuden, Fragen, Sorgen und Zweifel. Glaube ist ein Weg, wenn er als Liebe beschrieben wird.
Liebe Kandidatinnen und Kandidaten für die Sendung in den kirchlichen Dienst,
Sie haben sich auch inhaltlich intensiv mit Ihren Motiven auseinandergesetzt, die Sie bewegen, sich senden zu lassen. „Liebst du mich“, fragt der Auferstandene Petrus, und er fragt es drei Mal. Petrus bekennt dies ebenfalls drei Mal. Er will Christus wirklich lieben. Es ist gut, am Anfang eines Dienstes in der Nachfolge Christi und in der Gemeinschaft der Kirche danach zu fragen, was mich persönlich bewegt. Was motiviert mich? Als ich kurz vor der Priesterweihe stand, musste ich einen sogenannten Primizspruch wählen. Die Entscheidung für die ehelose Lebensform war bereits bei der Diakonenweihe gefallen, sie schien die größte Hürde zu sein. Dennoch war immer auch die Frage im Raum: Kann ich das, will ich das? Gibt es nicht bessere Alternativen? Ich habe mich dann für einen Satz aus der Apostelgeschichte entschieden, der für mich bis heute passt. Paulus steht auf dem Areopag in Athen und sieht seine Gemeinschaft im Glauben auch mit denen, die nicht an Christus glauben. Er bekennt: „In ihm leben wir, bewegen wir uns und sind wir“. (Apg 17,18). Das ist für mich ein starkes Wort. Wenn ich in ihm lebe, mich in ihm bewege und in ihm bin, kann ich mich auf den Weg der noch konkreteren Nachfolge begeben. Und bis heute trägt mich dieses Wort. Sie haben sich den Text aus dem Johannesevangelium gewählt. Ich bin sicher, dass auch dieser Text ein tragfähiges Fundament für Sie bietet. Sie bekennen sich zu einer Beziehung. Christus ist keine Idee, nicht nur ein Spender von Werten und Ideen, er ist eine lebendige Person. Eine Beziehung muss lebendig bleiben, sie wird durch Höhen und Tiefen gehen, durch Freuden, Fragen, Sorgen und Zweifel. Glaube ist ein Weg, wenn er als Liebe beschrieben wird. Er wird Phasen der Entwicklung durchlaufen. Er ist nicht Besitz, er beruht nicht auf einem Buch, sondern in der Beziehung zu einer Person – Christus, dem Auferstandenen. Wenn Sie Ihre Berufung darauf bauen, dann ist das ein gutes Mittel gegen jede Form von menschengemachtem Perfektionismus. Glauben, Verkündigung und kirchlicher Dienst basieren nicht auf menschlicher Leistung.
Vor kurzem ist die Kirchenmitgliedschaftsuntersuchung erschienen, die zeigt, dass Glaube und Kirchenbindung hierzulande abnehmen. Wir werden die Kirche und den Glauben nicht retten, und das ist bei aller Ernüchterung auch eine tröstliche Botschaft. Niemand von uns kann Heiland und Erlöser sein. Und dennoch ist jede und jeder von uns unverzichtbar, denn wir sind das lebendige Evangelium, das die Menschen lesen. Es ist daher keine Spielerei, wenn wir uns in Deutschland um eine glaubwürdige Gestalt der Kirche bemühen. Petrus bekennt, dass er seinen Dienst in Liebe aufnehmen will. Und er erhält den Auftrag, die Menschen „zu weiden“. Weiden kann heißen, jeden Menschen auf seinem je eigenen Glaubensweg zu begleiten und zu stärken. Jeder Mensch, der nach seinem Glaubensfundament sucht, muss seinen je eigenen Zugang und seine je eigene Christusbeziehung finden und leben. Wir sind nicht Seelsorgerinnen und Seelsorger, um Kopien von uns zu produzieren, sondern freie Menschen zu begleiten und zu unterstützen. Es lohnt sich, das Dokument der deutschen Bischöfe „In der Seelsorge schlägt das Herz der Kirche“ genau zu studieren und zu beherzigen. Wir dürfen Menschen auf der Weide des Lebens begleiten und sie auf gute Nahrung und auf die Fülle des Lebens hinweisen. Das Leben selbst aber ist Christus, nicht wir. Das entlastet und motiviert gleichermaßen.
Wie ist die dreifache Frage an Petrus zu verstehen? In einer traditionellen Auslegung knüpft Jesus an den dreifachen Verrat durch Petrus an, sicher ist das eine mögliche Interpretation. Die dreifache Frage nach Ostern kann aber auch darauf hinweisen, dass die Szene des Evangeliums einen lebenslangen Prozess wie in einem Brennglas zusammenfasst. Jeden Tag müssen wir die Frage beantworten, und im besten Fall können wir jeden Tag zustimmen: Herr, du weißt, dass ich dich liebe. Und die Verantwortung, die Jesus einem Menschen überträgt, muss sich jeden Tag bewähren. In den frühchristlichen Petrusakten, einer sogenannten apokryphen Schrift, die nicht Eingang in das Neue Testament gefunden hat, läuft Petrus aus Rom davon, er will seiner Aufgabe entfliehen. Auf dem Weg begegnet er Christus: „Quo vadis?“, fragt Petrus, „wohin gehst du, Herr?“. Er gehe nach Rom, um sich von Neuem kreuzigen zu lassen. Petrus kehrt daraufhin nach Rom zurück, er kann seiner Nachfolge nicht entfliehen. Es ist seine Aufgabe, die Sendung Christi weiter zu führen. Unser Weg wird wohl nicht ins Martyrium führen. Aber jeden Tag werden wir uns daran erinnern müssen, dass wir im Auftrag Jesu unterwegs sind, der darin besteht, in der gleichen Haltung zu leben wie er: In der Liebe zu Gott, zu Christus und den Menschen. Die dreifache Frage bleibt eine lebenslange Frage, die es in Tat und Wort zu beantworten gilt. Liebe ist dabei nicht eine hohe moralische Forderung.
Im 15. Kapitel des Johannesevangeliums spricht Jesus seine Einladung an seine Kirche aus, in seiner Liebe zu bleiben. Er hat uns zuerst geliebt. Das ist die Grundlage unserer Nachfolge. Dieser Liebe wollen Sie sich nicht schämen, so sagt es die erste Lesung aus dem 2. Timotheusbrief: „Ich schäme mich nicht“, d.h. ich weiß, wem ich vertraue. Das Evangelium ist tatsächlich kein Grund, sich zu schämen. Wir können vertrauen, glauben, lieben, hoffen, weil Gott selbst gezeigt hat, dass er an uns glaubt, uns vertraut, uns liebt, auf uns hofft. So kann ich nachfolgen, glauben, vertrauen, lieben, und in seinem Namen und Auftrag auch „weiden“, Verantwortung übernehmen, Menschen begleiten und die selbst geglaubte Liebe anbieten. Dass die kirchliche Anbindung nicht immer einfach ist, haben Sie in der Vorbereitung ehrlich angesprochen. Ich will aber nochmals auf die Kirchenmitgliedschaftsuntersuchung hinweisen. Die Gemeinschaft erweist sich als notwendig für den persönlichen Glaubensweg. Es braucht die Stütze, die Begleitung, die unterschiedlichen Sichtweisen, immer wieder auch die Korrektur durch die Glaubensgeschwister, um die Geister wirklich unterscheiden zu können. Christ zu sein ohne Kirche geht wohl tatsächlich schwer. Es gibt die dunklen Seiten der Kirche, das wissen wir wohl alle. Wenn Sie zum „Weiden“, zur Verantwortung gerufen werden, dann ermutige ich Sie, diese beherzt wahrzunehmen, sich aber gleichzeitig auch zu relativieren und zurückzunehmen. Wir sind nicht die Erlöser, wir sind nicht der Heiland, und doch ruft uns der Auferstandene mit all unseren Fähigkeiten und Möglichkeiten. Wir haben keinen Grund, uns des Evangeliums zu schämen. Wir wissen, wem wir vertrauen, wem wir glauben. Er vertraut uns, er glaubt an uns und unseren Dienst. Die Eigenschaften, die Paulus an anderer Stelle nennt, mögen Sie leiten: Kraft, Liebe und Besonnenheit. Ich bin als Bischof dankbar für Ihre persönliche Antwort, Christus und die Menschen lieben zu wollen und auf den Ruf Gottes zu vertrauen. Letztendlich ist jeder und jede in der Nachfolge Christi das Evangelium, das die Menschen unserer Tage noch lesen, und dass sie motivieren und begeistern kann, nach der eigenen Berufung zu fragen.