Wer die Liebe isst und trinkt, muss sich verwandeln lassen wollen

Predigt von Bischof Peter Kohlgraf beim Pontifikalamt am Hochfest des Leibes und des Blutes Christi (Fronleichnam) Hoher Dom zu Mainz, Donnerstag, 30. Mai 2024, 9 Uhr

Blumenteppich Fronleichnam 2022 (c) Pfarrei St. Rochus, Mainz-Kastel
Datum:
Do. 30. Mai 2024
Von:
Bischof Peter Kohlgraf

Das Fronleichnamsfest ist die Einladung, die Eucharistie noch einmal bewusst zu feiern und bewusst zu empfangen. Wir empfangen nicht etwas Brot, sondern er selbst schenkt sich uns, Christus, der uns bis zum Ende geliebt hat. Es ist nicht nur heiliges Brot, das wir empfangen, keine Erinnerung an jemand Vergangenen, sondern es ist Christus selbst, der unsere Nahrung wird. „Das ist mein Leib, das ist mein Blut, das für euch hingegeben wird.“ Wenn ich werden soll, was ich esse, kann die heilige Speise nicht ohne Konsequenzen bleiben. 

„Der Mensch ist, was er isst“, dieser Satz geht auf Ludwig Feuerbach zurück. In unseren Tagen sind wir noch sensibler dafür als früher, dass Nahrung Ausdruck von Lebenseinstellungen ist. Gesunde Ernährung, regionale Produkte, vegetarische oder gar vegane Lebensweisen können Ausdruck einer Gesamteinstellung zu Welt und Leben sein. Es ist eine gute Entwicklung, dass bei vielen Menschen ein Bewusstsein für die Schöpfungsverantwortung wächst, im Umgang mit den Nahrungsmitteln und auch mit den Tieren und ihren Lebensbedingungen. Menschen können sich krank essen, aber auch eine gesunde Ernährung garantiert nicht automatisch ein längeres Leben. Problematisch wird es zudem, wenn Nahrungsergänzungsmittel oder Medikamente eine ungesunde Lebensweise ausgleichen sollen oder die körperliche Gesundheit zur Ersatzreligion wird. „Der Mensch ist, was er isst“ – ganz falsch ist der Gedanke wohl nicht.

In den biblischen Überlieferungen geht es oft um Essen und Trinken. Mahl halten ist das zentrale Ritual im Christentum. Jesus lebt die Herrschaft Gottes, indem er bei den Menschen einkehrt und in ihr Leben tritt, besonders die Mahlgemeinschaften mit den Sündern und den Ausgegrenzten sind typisch für ihn. Gott tritt so in das Leben der Menschen, indem Jesus mit den Menschen isst. Es gibt Texte, die einen endgültigen Frieden der Menschen verheißen am Ende der Tage, indem alle teilhaben am Mahl des Friedens. Derartige Texte mögen uns in diesen kriegerischen Zeiten Mut machen und motivieren, die Hoffnung auf den Frieden und auf konkrete Schritte eines Endes der Gewalt nicht aufzugeben. Nicht mehr zu steigern ist die Hingabe Jesu im letzten Abendmahl, in seinem Sterben und seiner Auferstehung. Er gibt sich selbst zur Nahrung. Dieses Brot, dieser Wein steht heute im Zentrum der Verkündigung.

Wir sind, was wir essen (und trinken). In meinem Leben bin ich viele tausende Male zur hl. Kommunion gegangen. Als Priester und jetzt als Bischof feiere ich regelmäßig die Eucharistie und auch Sie, liebe Schwestern und Brüder, werden wahrscheinlich je nach Praxis die Eucharistie oft empfangen haben. Es stellt sich eine Alltäglichkeit ein, die auch gut sein kann. Christus will wirklich unser tägliches Brot werden, er selbst wird unsere Nahrung. Es gibt aber auch Routinen, die nicht guttun. Ich mache mir nicht mehr jeden Tag wirklich bewusst, was ich da feiere, wer sich mir in der Eucharistie schenkt. Solche Erfahrungen gibt es wohl in jeder Beziehung. Es gibt den normalen Alltag, den man gemeinsam lebt. Nicht immer kann man darüber nachdenken, was der andere für mich bedeutet. Aber an manchen Tagen im Jahr muss man sich wohl ausdrücklich sagen, dass man sich liebt.

Das Fronleichnamsfest ist die Einladung, die Eucharistie noch einmal bewusst zu feiern und bewusst zu empfangen. Wir empfangen nicht etwas Brot, sondern er selbst schenkt sich uns, Christus, der uns bis zum Ende geliebt hat. Es ist nicht nur heiliges Brot, das wir empfangen, keine Erinnerung an jemand Vergangenen, sondern es ist Christus selbst, der unsere Nahrung wird. „Das ist mein Leib, das ist mein Blut, das für euch hingegeben wird.“ Wenn ich werden soll, was ich esse, kann die heilige Speise nicht ohne Konsequenzen bleiben. Sie wird mich prägen müssen. Ich kann mich nur bemühen, der Lebensweise Jesu immer ähnlicher zu werden. Indem ich so wie er Menschen zugewandt bin, indem ich Frieden lebe, indem ich Gott Raum gebe, indem ich auch den Mut habe, Gutes zu tun und Böses zu unterlassen. In der Eucharistie feiern wir seine Hingabe bis zum letzten, seinen Gehorsam bis zum Tod, ja bis zum Tod am Kreuz. Ich werde sicher nie derart hingebungsfähig werden, aber ich kann es mit seiner Hilfe versuchen. Jedes Mal, wenn wir Eucharistie feiern, wird seine Hingabe für uns neu aktuell. Und indem ich ihn zur Nahrung nehme, werde ich ihm immer ähnlicher werden können.

In der Eucharistie feiern wir Verwandlung. Brot und Wein werden verwandelt in seinen Leib und sein Blut. In den ersten Jahrhunderten hat man zur Gabenbereitung Ungetaufte und Büßer aus der Kirche geschickt, weil man überzeugt war, dass nur diejenigen mitfeiern dürfen, die Christus auch empfangen, d.h. diejenigen, die sich selbst verwandeln lassen wollen. Das tun wir heute aus guten Gründen nicht mehr. Aber es bleibt: An der Eucharistie kann man nicht nur als Zuschauerin oder Zuschauer teilnehmen. Man kann nicht die Eucharistie empfangen und meinen, dass mich das nicht weiter berühren muss. Wer ihn empfängt, wird ebenfalls verwandelt und gesandt. Wenn wir den Leib Christi empfangen, werden wir selbst zum Leib Christi. Wir sind dann selbst Christus in unserer Welt. Deswegen warnt Paulus einmal davor, die Eucharistie gedankenlos und lieblos zu empfangen. Er geht sogar so weit zu sagen: Wer die Eucharistie ohne Liebe empfängt, isst und trinkt sich das Gericht. Wer die Liebe isst und trinkt, muss sich verwandeln lassen wollen und kann nicht nur zuschauen. Wir empfangen Christus selbst, der uns bis zum Letzten geliebt hat. Wir empfangen Christus, der uns zur Speise wird und uns verwandeln will.

„Empfangt, was ihr seid: Leib Christi. Und werdet, was ihr empfangt: Leib Christi“, sagt einmal der heilige Augustinus. Er nimmt auch die Kirche in den Blick. Das eine Brot macht uns zu einem Leib. Wir erleben auch in der Kirche Konflikte, Neid und andere Formen der fehlenden Gemeinschaft. Wenn wir Eucharistie feiern, müssen wir dies in der Bereitschaft tun, zu einer tieferen Einheit zusammen zu wachsen und gleichzeitig die Vielfalt der Kirche als Reichtum zu erfahren und zu gestalten. Das gilt für jede Gemeinde und Gemeinschaft, das gilt für das Bistum, das gilt für die Weltkirche.

„Der Mensch ist, was er isst.“ – Heute feiern wir Christus im Brot, der unsere wahre Speise ist. Die Feier wird dann sinnvoll, wenn wir den Mut mitbringen, uns verwandeln zu lassen.