Wie sieht die Kirche der Zukunft aus? Sie wird sich dem Gespräch mit „der Welt“ stellen müssen.

Predigt in der Eucharistiefeier anlässlich der Verabschiedung von Pfarrer Dr. Tonke Dennebaum als Regens des Priesterseminars Mainz


Weltkirche (c) Bistum Mainz
Datum:
Do. 30. Nov. 2023
Von:
Bischof Peter Kohlgraf

Vor kurzem ist die neue Studie zur Kirchenbindung der Deutschen erschienen. Sie ist wissenschaftlich seriös, ca. 6000 Menschen unterschiedlicher Religion und Herkunft sind intensiv befragt worden. Unsere Gesellschaft wird immer säkularer, nicht nur die Kirchenbindung lässt nach, sondern der Gottesglaube insgesamt.

Menschen sind offenbar nicht von Natur aus religiös. Katholische Kirchenmitglieder verlassen die Kirche oder denken über einen Austritt nach wegen mangelnder Reformbereitschaft, wobei auch klar ist, dass der Trend durch Reformen nicht aufzuhalten ist. Der Missbrauchsskandal tut sein Übriges. Docht gibt es auch positive Wahrnehmungen: Sakramentenfeiern, Seelsorge, Religionsunterricht und caritative Angebote sind gute Begegnungsmöglichkeiten auch distanzierter Menschen mit der Kirche.

„Wie sieht für Sie als Bischof die Kirche der Zukunft aus?“ – fragen mich Medienleute bei der Präsentation der Studie. Ich stelle mir eine Kirche vor, die kleiner und internationaler sein wird. Wir dürfen nicht in die Resignation gehen, und wir müssen mehr die Schätze der Glaubensgeschwister der Weltkirche wertschätzen lernen. Auch hier im Haus studieren und leben Menschen aus anderen Ortskirchen, die uns bereichern.

Wie sieht die Kirche der Zukunft aus? Sie wird sich dem Gespräch mit „der Welt“ stellen müssen. Papst Franziskus ermutigt die Theologie jüngst, eine innovative und gleichzeitig lernende Kraft in der Gesellschaft zu sein. Dass es Äußerungen der jüngsten Zeit gegenüber der Kirche in Deutschland gibt, die dieses Anliegen konterkarieren, sei wenigstens benannt. Was wäre die Alternative? Es gibt Ortskirchen in Europa, die einen anderen Weg gegangen sind und gehen. Dort rechnet man mit dem Rückgang der Gläubigenzahlen, erhofft sich eine Erneuerung dadurch, dass sich die Kirche durch die Konzentration auf die kleine Gruppe der Überzeugten und Reinen erneuert und dann irgendwann die Kraft haben wird, neu auszustrahlen.

Ich halte dies für einen Irrweg. Ein Blick in die Kirchengeschichte hilft. Dieser Weg scheint mir nicht nur fruchtlos, sondern auch gefährlich. Der Traum von einer Kirche der Reinen ist uralt. Bereits im 3. Jahrhundert gibt es eine Gruppe, die sich die Reinen nannten. Sie hatten in der Verfolgungszeit standgehalten, sie setzten sich ab von denen, die schwach geworden waren und ihren Glauben verleugnet hatten. Sie sind ihrem Selbstverständnis zufolge die richtigen Christen. Sie haben ihr Leben aufs Spiel gesetzt. In ihren Gemeinden in dieser Zeit ist kein Verständnis für die Schwachen. Im Mittelalter tauchen erneut die „Reinen“ auf. „Katharer“ wurden sie genannt. Sie stehen radikal zum Armutsideal, sie behaupten den direkten Draht zu Gott, die Amtskirche galt ihnen als verweltlicht, sie sahen sich als die wirklichen Nachfolger des armen Christus. Es gab immer auch ein Gespür dafür, dass der Rückzug in eine kleine Gruppe, die sich sauber vor den Einflüssen dieser Welt bewahren will, Häresie ist, d.h. Verrat am Evangelium.

Wir finden dies auch in unserer Zeit. Am 7. Januar 2013 berichtet eine Zeitung von einem Prozess gegen Ordensschwestern in Spanien. Die Ordensschwestern, die in Katholischen Krankenhäusern tätig waren, hatten in den vergangenen Jahrzehnten Kinder kurz nach der Geburt ihren Müttern weggenommen, um sie an christliche Adoptiveltern weiterzugeben. Als Grund gaben die Ordensschwestern an, sie wollten verhindern, dass diese Kinder in Sünde aufwachsen. Ähnliches konnte man über Zustände in den von Ordensschwestern geleiteten sogenannten Magdalenenheimen in Irland lesen. Junge Frauen und Mädchen wurden monate-, manchmal jahrelang wie Sklavinnen gehalten, um die Familien wegen ihrer Lebensführung, etwa einer unehelichen Schwangerschaft, wegen Missbrauchs, oder wegen einer Behinderung vor übler Nachrede zu schützen. Diarmaid Ferriter, ein irischer Historiker, der mit der Aufarbeitung dieser Thematik befasst ist, formuliert so: „Die Wäschereien waren ein Mechanismus der religiösen Orden und des Staates, mit dessen Hilfe man sich Menschen entledigen konnte, die nicht konform gingen mit der sogenannten mythischen, kulturellen Reinheit, die für einen Teil der irischen Identität gehalten wurde.“ Böse Welt – wir, die Guten – kein seltenes Kirchenbild, das eine zerstörerische Kraft entfalten kann.

Der damalige Erzbischof von Dublin, Diarmaid Martin, hat vor einigen Jahren einen Vortrag in Würzburg gehalten und auch von der Versuchung gesprochen, die Theologie und den Glauben in Irland reinzuhalten von Anfragen der Aufklärung. Folge war ein engstirniger, wenig offener Glaube, der keinen Raum hatte für suchende und zweifelnde Menschen. Die Folge war, dass viele Menschen einen Glauben lebten, der reine Fassade war, um in der Öffentlichkeit gut dazustehen. Das ist nicht nur ein irisches Problem, ist aber sicher einer der Gründe für den erschreckenden Niedergang katholischen Lebens in Irland. Wir wissen heute auch aus anderen Kontexten um die fatalen Folgen von Macht, die sich religiös begründet und damit jeglicher Kritik und Kontrolle entzieht.

Wie schnell die Sehnsucht nach Reinheit der Kirche und einem Rückzug aus aller Weltlichkeit sich mit der Gewaltproblematik verbindet, zeigen diese Beispiele. Wer auf dieser Erde Unkraut vom Weizen scharf trennen will, muss sehen, dass er keine zarten Pflänzchen mit ausreißt. Papst Franziskus gebraucht nicht selten Bilder von einer Kirche, die sich in der Begegnung mit Menschen selbst auch die Finger schmutzig macht, die sich nicht ängstlich mit ihrem eigenen Ansehen beschäftigt und schon gar nicht die Welt und die Menschen einteilt in Gut und Böse.

Wir feiern heute den Apostel Andreas. Er steht für das klare Bekenntnis zu Christus, dem Gekreuzigten, aber eben nicht für den Rückzug hinter Mauern. Wir feiern diesen Gottesdienst im Haus der Theologie. Ich schließe mit einem Hinweis aus dem Schreiben „Ad theologiam promovendam“ von Papst Franziskus: Indem die Theologie sich der Welt und dem Menschen „mit ihren Problemen, ihren Wunden, ihren Herausforderungen, ihren Möglichkeiten“ öffne, müsse die theologische Reflexion „einem erkenntnistheoretischen und methodologischen Umdenken“ Raum geben und sei daher zu „einer mutigen Kulturrevolution“ aufgerufen. Notwendig sei „eine grundlegend kontextuelle Theologie“, schreibt der Papst. Die Theologinnen und Theologen sollten fähig sein, das Evangelium unter den Bedingungen zu lesen und zu interpretieren, „unter denen Männer und Frauen täglich leben, in den verschiedenen geographischen, sozialen und kulturellen Umgebungen“.

Nimmt man diese Forderungen ernst, haben wir gute Chancen, als Kirche eine ernstzunehmende Gesprächspartnerin zu sein und zu bleiben. Am heutigen Tag danke ich allen sehr herzlich, die sich in diesem Haus dieser Herausforderung gestellt haben und sich weiter stellen werden, dem scheidenden Regens Dr. Tonke Dennebaum, dem neuen Regens Sebastian Lang, Frau Lucia Kehr sowie Frau Sara-Marie Hüser und auch alle anderen, die engagiert mitarbeiten und zukünftig dazu stoßen werden. Mögen die weiteren Wege unter Gottes Segen stehen.