„Wo keine Liebe ist, da kann man nicht genug Lehren geben" (Martin Luther)

Zum 31. Oktober 2017

Bischof Kohlgraf (c) Bistum Mainz
Datum:
Mo. 30. Okt. 2017
Deutschland gönnt sich am 31. Oktober 2017 einen Feiertag. Darüber freue ich mich auch als katholischer Bischof. Mir geht es dabei um mehr als um die Freude über die freie Zeit. Unsere evangelischen Geschwister feiern 500 Jahre Reformation und sie haben sich lange und intensiv mit diesem Thema beschäftigt.

Zwischen evangelischen und katholischen Christen ist viel darum gerungen worden, ob man Reformation und die Folgen feiern könne. Natürlich gibt es aus verschiedenen Blickwinkeln dazu unterschiedliche Zugänge. Heute kann ich mich mit den evangelischen Schwestern und Brüdern freuen, weil wir alle neu gelernt haben, Christus und sein Wort in die Mitte zu holen. Ein Christusfest kann ich mitfeiern, und ich glaube und hoffe, dass aus diesem Reformationsgedenken bleibende Impulse für weitere Gespräche, weiteres gemeinsames Beten und notwendige Schritte zu einer Einheit der Kirchen folgen werden. In einem gemeinsamen großen Gottesdienst in Hildesheim haben sich die beiden Kirchen dazu verpflichtet.
Papst Franziskus macht darauf aufmerksam, dass theologisches Ringen die eine Seite der Medaille ist; im theologischen Dialog sind auch in den letzten Jahren viele Schritte aufeinander zu erfolgt. Trennendes wird und muss uns weiter beschäftigen.
Eine andere Seite ist die Erkenntnis, dass wir in der Theologie nicht weiterkommen, wenn das Gespräch nicht von gegenseitiger Wertschätzung geprägt ist:
„Die Christen aller Gemeinschaften der Welt möchte ich um ein Zeugnis brüderlichen Miteinanders bitten, das anziehend und erhellend wird (...) Wir sind im selben Boot und steuern denselben Hafen an! Erbitten wir die Gnade, uns über die Früchte der anderen zu freuen, die allen gehören" (Papst Franziskus, Evangelii Gaudium 99).
Dass Christen mit demselben Ziel unterwegs sind, hätten wir vor Jahrzehnten so nicht formuliert. Ich selbst durfte dieses gemeinsame Unterwegssein bei aller Unterschiedlichkeit im Detail in vielen Begegnungen in den Jahren meines priesterlichen Dienstes erleben. Durch sie hat sich mein Urteil über den Glauben der evangelischen Christen erheblich verändert. Der beste Weg, den anderen zu verstehen, ist die Begegnung, die Freundschaft und die Neugier auf den Glauben des anderen. Ich denke an persönliche Freundschaften zu evangelischen Pfarrern und Religionslehrern, bei denen ich einen tiefen und frohen Glauben kennenlernen durfte. In evangelischen Gottesdiensten habe ich erlebt, mit welcher Andacht und Aufmerksamkeit auch junge Menschen das Abendmahl empfangen haben. Befreundete evangelische Christinnen und Christen beschämen mich durch ihre Leidenschaft für das Wort Gottes und ihr soziales Engagement. Mir wird immer wieder deutlich, welche Kraft in der gemeinsamen Taufe steckt. Dieses gemeinsame Potential darf keine schöne Floskel bleiben.
In den Wochen vor der Bischofsweihe haben mich herzliche Glück- und Segenswünsche aus der evangelischen Kirche erreicht. Kirchenpräsidenten und evangelische Pfarrer waren willkommene Gäste bei der Bischofsweihe Darüber habe ich mich sehr gefreut und ich bin gespannt auf weitere persönliche Begegnungen in der Ökumene. Einige Geschenke zur Bischofsweihe sind für mich Begleiter zum 31. Oktober hin: Die Bibelübersetzung Martin Luthers liegt neben der Einheitsübersetzung für meine Bibelstudien griffbereit. Eine lateinisch-deutsche Studienausgabe von Werken Martin Luthers habe ich geschenkt bekommen, ich habe intensiv darin gelesen. Bewegt hat mich eine Biographie über Dietrich Bonhoeffer und seine bis heute aktuelle intensive Suche nach einem Glauben, der Gott nicht für die eigenen Zwecke missbraucht. Schließlich habe ich mich mit den vier „Lübecker Märtyrern" beschäftigt, drei katholische Priester und ein evangelischer Pfarrer (Eduard Müller, Johannes Prassek, Hermann Lange sowie Karl Friedrich Stellbrink), die durch ihre Freundschaft und den Glauben verbunden dem Nationalsozialismus Widerstand geleistet haben und am 10. November 1943 gemeinsam in den Tod gegangen sind. Angesichts eines solchen Lebenszeugnisses werden Unterschiede nichtig. Weltweit gesehen geben Christen heute auch ein derartiges Lebenszeugnis. Wir werden hierzulande über unser gemeinsames Zeugnis nachdenken müssen, denn wir haben das eine Evangelium in einer Welt zu bezeugen, die oft Gott und Jesus Christus nicht mehr kennt. Evangelische und katholische Christinnen und Christen beginnen selbst jeden Tag neu den Weg in der Schule Jesu.
Ich wünsche uns einen gesegneten Feiertag, der kein Abschluss des Weges sein möge, sondern Ermutigung, den kommenden Weg immer mehr gemeinsam zu gehen.


+Peter Kohlgraf
Bischof von Mainz