Wort des Bischofs am 4.11.2018 | Arbeit am Ideal nicht aufgeben

Bischof Peter Kohlgraf in „Glaube und Leben“ vom 4.11.2018

Bischof Kohlgraf (c) Bistum Mainz
Datum:
So. 4. Nov. 2018
Von:
Bischof Peter Kohlgraf
Durch das Thema Missbrauch stehen Katholiken vielfach unter dem Druck, sich für ihr kirchliches Engagement rechtfertigen zu müssen. Im "Wort des Bischofs" wendet sich Bischof Peter Kohlgraf an alle Engagierten mit einer Bitte.

In den vergangenen Wochen war das Thema sexualisierter Gewalt in der katholischen Kirche sehr präsent, und viele Menschen erwarten zu Recht ein konkretes und folgenreiches Handeln der Verantwortlichen in den Diözesen. Auch wir in der Diözese Mainz beginnen einen Weg, dieses  Thema konstruktiv anzugehen. Ich bitte um Ihr Vertrauen, dass wir dies nicht aussitzen, auch wenn wir nicht permanent mit Schlagzeilen an die Öffentlichkeit gehen. Wir werden Sie über weitere Schritte auf dem Laufenden halten. Im Moment erleben wir eine Situation, in der die Kirche, ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sich vielfach rechtfertigen müssen, warum sie denn noch für die Kirche arbeiten. Auch der persönliche Glaube und die Loyalität stehen vor bedrängenden Fragen. Es ist nicht leicht, sich derzeit zur Kirche zu bekennen. In einem Brief an die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, besonders auch an die Priester, habe ich meinen Dank für die Arbeit besonders in dieser Phase kirchlichen Lebens ausgedrückt. Es belastet mich auch als Bischof, wenn ich davon höre, dass die vielen engagierten und unbescholtenen Menschen jetzt die „Prügel“ abbekommen. Diesen Dank für das treue Mittun möchte ich auf diesem Weg nun ebenfalls an alle weitergeben, die sich in unserem Bistum ehrenamtlich engagieren, die zu den Gottesdiensten kommen, die in den Familien den Glauben leben und bezeugen. Sie geben auf vielfache Weise dem Evangelium Ihr Gesicht, Sie engagieren sich für andere Menschen, oft über ein normales Maß hinaus. Es relativiert nicht die Verantwortung der Kirche für die in ihr verübten Verbrechen, wenn ich darauf aufmerksam mache, dass viele Menschen in unseren Gemeinden, Verbänden und Gruppen unendlich viel Gutes im Geist des Evangeliums tun. Angesichts dieser vielen Menschen habe ich Hoffnung, dass uns eine Veränderung im Denken und Handeln gelingen kann. Ihnen allen danke ich von ganzem Herzen! Als Bischof trage ich die Verantwortung, aber ohne Sie alle können wir nicht die Kirche von heute sein.

Nicht wenige verlassen nun die Gemeinschaft der Kirche oder denken darüber nach. Ich verstehe den Ärger und die Enttäuschung vieler. Die Entscheidung muss ich respektieren, und über den persönlichen Glauben dieser Menschen habe ich nicht zu urteilen. Es tut mir sehr leid, dass sie die Kirche nicht als eine Gemeinschaft erlebt haben, die sie eben auch sein kann: eine Weggemeinschaft glaubender und suchender Menschen, die auf je eigene Weise fasziniert sind von Jesus Christus und in der Überzeugung leben, dass dem Leben ohne ihn etwas Wesentliches, oder besser gesagt: der Wichtigste fehlt. Vielleicht hat mich in den Phasen meines Lebens diese Erfahrung der glaubenden Gemeinschaft in der Kirche gehalten. Ich bin immer wieder Menschen begegnet, die für mich geglaubt haben, wenn es persönlich schwer war. Und ich bin persönlich vielen begegnet, die mich in ihrem Glaubenszeugnis begeistert haben. Und für mich war die Kirche immer mehr als eine menschliche Institution. In ihr empfange ich die Sakramente, Zeichen und Beweis der Nähe Gottes, in ihr höre ich das Wort Gottes, in ihr leben wir Caritas und Zuwendung zu anderen. Eigentlich wollte Gott in der Kirche eine Gemeinschaft haben, die Modell sein kann für die Gemeinschaft, wie sie zwischen Menschen insgesamt herrschen sollte: Einheit und Frieden in der Vielfalt, wo man aufeinander achtet und füreinander da ist, weil es einen Herrn, einen Glauben, eine Taufe gibt (Eph 4,5). Gott kennt eben keine Einzelkinder, wie es Papst Franziskus einmal formuliert hat. Es schmerzt sehr, dass es so oft nicht gelungen ist, diese Berufung der Kirche überzeugend zu leben. Diejenigen, die trotz Zweifels in der Kirche bleiben, bitte ich, auf den nun notwendigen Wegen der Umkehr mitzugehen. Wir werden wohl nie einen Idealzustand hinbekommen, aber die Arbeit an ihm sollten wir nicht aufgeben. Das Ganze wäre hoffnungslos, wenn es die Zusage Christi nicht gäbe, bei uns zu bleiben „alle Tage bis zum Ende der Welt“ (Mt 28,20).