Geschichtliches zum Domkapitel

1. Spätantike und Mittelalter
Schon in der Frühzeit des Bistums Mainz bestand ein Kreis von Geistlichen, der den Bischof beriet, unterstützte, ihn bei Abwesenheit vertrat und nach Erledigung des Bischofsstuhls ersetzte. Daraus ging das Domkapitel hervor, das als eigene Körperschaft seit der karolingischen Zeit existiert haben dürfte. Geschichtlich nachweisbar ist es seit dem Jahr 970.

Gemeinschaft mit festen Regeln
Der Kreis von Geistlichen lebte ursprünglich als (Kapiteln) zusammen, deren liturgisches Leben dem eines Klosterordens ähnelte. Bereits die Mainzer Synode von 813 bestimmte diese sogenannte kanonische (gemeinsame) Lebensführung. Die "Aachener Regel", unter Ludwig dem Frommen auf der Reichssynode von 816 beschlossen, übernahm Teile der Mainzer Beschlüsse als fortan für alle Domkirchen verpflichtendes Gesetz.

Die Aachener Regel war Teil einer umfassenden Klerusreform und schrieb den gemeinsamen, täglichen Gottesdienst, die Mitarbeit in der Diözese, wissenschaftliche Tätigkeit der Kanoniker und das Gemeinschaftsleben vor. Auch der Mainzer Domklerus lebte wahrscheinlich seit dem 9. Jahrhundert nach der Aachener Regel. Das gemeinsame Leben löste sich im 13. Jahrhundert jedoch auf.

 

Martinuskrümme am Mainzer Bischofsstab (c) Bistum Mainz / sensum

Das Hochmittelalter

Seit dem Laterankonzil von 1215 hatten die Domkapitulare das alleinige Recht zur Bischofswahl. Dadurch verstärkte sich das politische Gewicht der Domherren: so musste der neuzuwählende Erzbischof gegenüber dem Kapitel vorher bestimmte Versprechen ablegen (sog. Wahlkapitulationen). Das Domkapitel sicherte sich damit einen großen Einfluss auf die geistliche und weltliche Regierung im Erzbistum und Kurfürstentum Mainz. Gleichzeitig schützten die Wahlkapitulationen den Klerus und die Bevölkerung vor allzu großen Belastungen oder Willkür durch den Kurfürst-Erzbischofs.

Seine Vollmachten nahm der jeweilige Erzbischof regelmäßig nur nach Beratung oder mit Zustimmung anderer Personen wahr. Seit dem 13. Jahrhundert nahm diese Mitwirkung formell nur noch das Domkapitel wahr. 

Papst Alexander III. bestimmte, dass der Bischof bei allen Handlungen den Rat des Kapitels einzuholen hatte.

Recht, Sitz und Ordnung
Die Sitzungen des Domkapitels fanden in den Kapitelräumen am Domkreuzgang statt. Seit 1450 wurden die Beratungsergebnisse in einem Protokollbuch festgehalten. Das Rechtsstatut von 1469 blieb bis zur Auflösung des erzbischöflichen Domkapitels 1805 als Geschäftsordnung gültig.

Die vollberechtigten Domherren (capitularis) hatten Stimmrecht in den Kapitelsitzungen, einen festen Platz in der Domkirche und ein festes Einkommen. Die Zahl der Domkapitulare wurde 1405 von Erzbischof Johann II. auf 24 festgelegt. Erzbischof und Domkapitel erwirkten im Jahr 1713 von Rom die Erlaubnis, 14 Stellen zugunsten der Aufbesserung der Professorengehälter an der Universität nicht mehr zu besetzen.

Bereits 1252 gewährte Papst Innozenz IV. dem Domkapitel das Recht zur Selbstergänzung. Dies begünstigte das Nachrücken von Verwandten. Seit 1326 wurden nur noch Adelige ins Kapitel aufgenommen. Papst Alexander VI. bestätigte 1501 dieses Adelsstatut, verlangte aber, dass auch Doktoren bürgerlicher Herkunft der Zugang offen stehen sollte.

Besondere Ämter und Aufgaben
Unter den Mitgliedern im Kapitel nahmen einige durch Rang und Funktion eine besondere Stellung ein:
Dem Domkantor war die Vorbereitung und Durchführung der Liturgie übertragen. Der Domscholaster leitete die Domschule, eine Vorgängerin der 1477 gegründeten Universität, und bildete den geistlichen Nachwuchs aus. Der Domkustos betreute den Domschatz und war für die Pflege der Reliquien, Gewänder und Geräte sowie für die Instandhaltung der Kathedrale und der Glocken verantwortlich. Durch päpstlichen Erlass wurde der Domkustos 1478 zugleich Kanzler der Universität. Der Domdekan war Vorsteher des Kapitels und leitete die Sitzungen und inneren Angelegenheiten des Gremiums. Er war zuständig für die Disziplin und den Gottesdienst. Der Dompropst stand an der Spitze des Kapitels und verwaltete das Vermögen des Kapitels.

 

Wappen Domkapitel (c) Bistum Mainz

2. Neuzeit und Gegenwart

Die Reformation
Das Domkapitel berief auf Wunsch von Kardinal Albrecht von Brandenburg 1520 Wolfgang Capito, einen engen Freund Martin Luthers, zum Domprediger. Seine Tätigkeit führte dazu, dass die Reformation in Mainz schon sehr früh Eingang und Sympathien fand. Nachdem sich der in der Religionsfrage unentschlossene und wankelmütige Albrecht schließlich gegen die neue Lehre wandte, wurde Capito bereits wenige Jahre später wieder abberufen.

Von besonderer politischer Tragweite war die Bischofswahl von 1545. Die Großmächte Sachsen und Brandenburg kämpften für eine protestantische Mehrheit im Kurfürstenkollegium, dem regelmäßig der Mainzer Erzbischof vorstand. Trotz großen Drucks auf das Kapitel wählte die Domherren dennoch mit Sebastian von Heusenstamm einen katholischen Bischof. Der erste Bischof nach der Glaubensspaltung wurde vom Domkapitel zu strenger Katholizität verpflichtet. Das Erzstift Mainz blieb fortan beim alten Glauben.

Die Wahl mussten Kapitel und Kurstaat jedoch teuer bezahlen: Johann Friedrich von Sachsen hauste mit seinen Truppen im Aschaffenburger Land fürchterlich und Markgraf Albrecht Achilles von Brandenburg verwüstete 1552 die Stadt Mainz, zerstörte Stifte und Klöster und raubte zahlreiche Kunstschätze.

Während der Pest von 1666 organisierte Dompropst Johann von Heppenheim den Krankendienst und bemüht sich um die Bekämpfung der Seuche.

Folgen der Französischen Revolution
Die Auswirkungen der Französischen Revolutionskriege auf das linksrheinische Gebiet des Reichs führten zum Zusammenbruch des Erzbistums und Erzstifts Mainz. Das Domkapitel folgte dem Erzbischof 1797 zunächst nach Aschaffenburg und nach der Verlegung des Mainzer Erzstuhls nach Regensburg (1805). Auf dem von französischen Truppen beschlagnahmten Dom wehte seit 1798 die französische Trikolore.

1803 errichtete Bischof Joseph Ludwig Colmar im neugeschaffenen (linksrheinischen) Bistum ein neues Domkapitel mit zwei Generalvikaren, acht Domkapitularen und zwei Ehrendomkapitularen. Das Adelsstatut für die Domherren war abgeschafft. Im gleichen Jahr gab die französische Regierung den Dom wieder in die Obhut des Bistums.

Nach dem Ende der französischen Herrschaft wurde Mainz 1821 einfaches Bistum mit neuen Grenzen in der Oberrheinischen Kirchenprovinz (zuständiges Erzbistum ist seither Freiburg). Das Domkapitel erhielt neue Rechtsgrundlagen und wurde auf den Domdekan, sechs Domkapitulare und vier Dompräbendaten beschränkt. Es behielt das Recht zur Bischofswahl.

Mit der Amtseinführung des neuen Bischofs Joseph Vitus Burg wurde am 12. Januar 1830 auch das neue Domkapitel eingerichtet. Erster Domdekan war Johann Jakob Humann. Der Großherzog ließ den Kapitelsmitgliedern Brustkreuze überreichen.

1866 wurde der Mainzer Domchor an der Kathedrale unter Domkapellmeister Georg Viktor Weber gegründet. 1925 öffnete in den Räumen des Domkreuz-gangs und des Kapitelsaals das Bischöfliche Dom- und Diözesanmuseum .

 

Geburtstage Bentz-Heckwolf (c) Bistum Mainz / Blum

Das 20. Jahrhundert
Im gleichen Jahr begann unter Federführung des Domkapitels die Verstärkung der Domfundamente. Während des Zweiten Weltkriegs und der Beschädigung des Doms durch Fliegerbomben wurden die Stiftsgottesdienste mit Domkapitel und Domchor in anderen Gotteshäusern der Stadt weitergeführt. 1956-1960 und 1971-1974 konnten die letzten Kriegsschäden behoben und der Dom insgesamt restauriert werden.

1987 wird die Domkantorei St. Martin als gemischter Chor gegründet. Im Herbst 2000 hat eine umfassende Domrenovierung zur denkmalpflegerischen Substanzerhaltung begonnen. 

3. Kapitelräume
Die historischen Kapitelräume liegen im südlichen und westlichen Teil des Domkreuzgangs. Bis in das 19. Jahrhundert hinein wurden hier die Bischöfe gewählt. Die Anlage erinnert als Ganzes daran, dass das Domkapitel ursprünglich als Gemeinschaft organisiert war, deren geistliches Leben dem eines Klosterordens ähnelte. Bereits um 1200 entstand die Memorie, einst Kapitelsaal und später Gedächtniskapelle mit Altären und Denkmälern für die verstorbenen Domherren. Der Raum ist von einem über zwölf Meter weiten Rippengewölbe überspannt. Der Wandsitz, aus römischen Inschriftensteinen zusammengesetzt, war vielleicht der Sitz des Dompropstes im alten Kapitelsaal.

Der Kreuzgang und der sich anschließende Große Kapitelsaal (23,4 x 9,8 Meter) wurden um 1410 fertiggestellt. Dreimal jährlich tagten hier die Generalversammlungen (25. Mai, 7. September und 3. November). Für die wöchentlichen Sitzungen der Domherren wurde die 1489 vollendete Kapitelstube (Stuba maior ) benutzt. Heute ist das kleine Zimmer mit historischen Möbeln, einem Rokoko-Ofen (um 1750) und Erinnerungsstücken ausgestattet. Gemäldeportraits zeigen die letzten sechs Kurfürsten und Erzbischöfe von 1695 bis 1802 sowie Bilder späterer Bischöfe.

Beim Besuch von Papst Johannes Paul II. 1980 in Mainz trafen sich Vertreter der Evangelischen Kirche und des Rats der Juden in Deutschland in den Kapitelräumen mit dem katholischen Kirchenoberhaupt. Heute sind die Räume Teil des Dom- und Diözesanmuseums.