Schwestern und Brüder, die Liebfrauenkirche hier in Worms ist an diesem prächtigen Spätsommertag nicht der schlechteste Ort für diesen Schöpfungsgottesdienst mit dem Leitwort „(W)Einklang“: Diese Kirche steht seit Jahrhunderten inmitten eines altehrwürdigen und kostenbaren Weinbergs. So hat der Wein auch seinen Namen von dieser Kirche: Liebfrauenmilch.
Wir sind mitten drin im Leitwort dieses Schöpfungsgottesdienstes: „(W)Einklang“. Es geht um den Wein als altes biblisches Bild für die Schönheit und Fülle des Heils, das Gott seiner ganzen Schöpfung zu Teil werden lassen möchte. Und es geht um den Einklang zwischen dem Schöpfer und seiner Schöpfung. Um den Einklang zwischen dem Schöpfer und seinem Geschöpf „Mensch“. Und deshalb auch um den Einklang zwischen Mensch und Schöpfung. Dafür kann die Liebfrauenkirche mit ihrem Weinberg ein tiefsinniges Bild sein. Denn die Geschichte des Liebfrauenweins ist wechselhaft und steht für das fragile Verhältnis zwischen der Schöpfung und dem Menschen mit seiner Verantwortung für die Schöpfung. Vor etwas mehr als 100 Jahren war der Wein dieses Weinbergs kostbar und weltweit gefragt: Wormser Liebfrauenmilch zählte zu den teuersten Weinen überhaupt. Und wo der Mensch dem Geld und Gewinnmaximierung verfällt, da ist er oft genug bereit, Grenzen zu missachten: immer mehr Wein, längst nicht mehr aus diesem Weinberg – der auch Kirchenstück genannt wird – wurde als Liebfrauenmilch produziert, gemacht, aber eben nicht mehr kultiviert! Die Qualität ging verloren. Der half man nach. Mehrmals gab es Wein-Pansch-Skandale, die auch das Image der Liebfrauenmilch ins Bodenlose sinken ließ. Heute erleben wir eine unglaubliche Renaissance – eine Neubesinnung auf die Kultur des Weins – die mit großer Achtsamkeit und mit neuem Wissen gerade im Weinberg den Einklang von Schöpfung und der Schöpfungsverantwortung des Menschen sucht. Darüber dürfen wir dankbar sein!
Der Wein ist die Frucht der Kräfte und dem Potential der Natur und zugleich den Fähigkeiten des Menschen. Wir können vieles „machen“ – verlieren aber immer wieder den Bezug zu den Grenzen der Machbarkeit. Dann meinen wir, wir hätten wir alles selbst in der Hand. Wir greifen so grundlegend in die Schöpfung ein, dass wir die Risiken nicht mehr abschätzen können. Manche fühlen sich selbst „wie der Schöpfer“, weil sie keinen Schöpfer mehr über sich anerkennen. Überall da geraten die Dinge aus den Fugen. Der Einklang mit der Schöpfung geht verloren.
„Alles hängt mit allem zusammen“ – sagt Papst Franziskus in seiner Enzyklika „Laudato si!“ Wo die Natur zerstört wird, da geht auch die Zerstörung des menschlichen, des kulturellen, des wirtschaftlichen und sozialen Gefüges einher: Wir tragen nicht nur schöpfungsökologische Verantwortung. Es gibt auch eine soziale, eine ethische, eine ökonomische und eine kulturelle Ökologie. Wir brauchen ein neues Bewusstsein für dieses feine Gewebe der inneren Zusammenhänge. Die Folgen der Zerstörung dieses feinen Gewebes der inneren Zusammenhänge erleben wir mehr als deutlich an den vielen Krisenherden unsrer Gegenwart. Wir leben in dem einen Haus. Und so muss es die gemeinsame Sorge sein, diesen Einklang mit der Schöpfung in all seinen Dimensionen wiederzufinden: Der „Schrei der Natur“ (LS 117) ist nicht zu trennen vom Schrei der Armen, der Ausgegrenzten, der Entrechteten. Es braucht das Engagement von uns Christen für eine „ganzheitliche Ökologie“ (LS 137).
„(W)Einklang“ – kehren wir zum biblischen Bild des Weins zurück. Im Johannesevangelium spricht Jesus vom Weinstock – „Ich bin der Weinstock, ihr seid die Reben!“ Der Rebstock muss beschnitten werden, um gute Frucht zu bringen. Stutzen und beschneiden - ein Hinweis für uns: Wir müssen wieder lernen, uns begrenzen zu lassen und Grenzen zu respektieren. Die Mär der grenzenlosen Steigerung des Ökonomischen ist entlarvt. Verantwortungsvoller Verzicht führt uns zu einem ganz neuen Verständnis von Qualität in allen Lebensbereichen. Das bedeutet Mühe. Das Bild des Weinstocks blendet die Mühe und Anstrengung nicht aus, die die schöpferische Verantwortung den Menschen kostet. Nichts davon fällt einem in den Schoß.
Weiter sagt Jesus: „Bleibt in mir und ich bleibe in euch!“ Wie die Rebe aus sich keine Frucht bringen kann, so könnt auch ihr keine Frucht bringen, wenn ihr nicht in mir bleibt. Der Mensch, der sich innerlich von Gott trennt und ihn als seinen Schöpfer nicht anerkennt, der läuft Gefahr zu glauben, sich vor nichts und niemanden im Letzten verantworten zu müssen. Als Christen glauben wir: Erst aus der inneren Einheit mit Gott bekommt das Leben seine Tiefe und erahnen wir den Reichtum. Die Liebe des Schöpfers ist der eigentliche Lebenssaft, der Rebe und Weinstock leben lässt. Sich so als Geschöpf Gottes verstehen, heißt anerkennen: Das Entscheidende im Leben kann niemand selbst machen oder „produzieren“: Gesundheit, Vertrauen, Versöhnung, Geliebt sein – das alles ist uns geschenkt und macht Tiefe und Wert des Lebens aus. Und wenn ich verinnerlicht habe, dass nichts davon selbstverständlich ist, dann höre ich auch den Ruf zur Verantwortung.
„(W)Einklang“ – der Wein hat bis heute nichts verloren von seiner symbolstarken Kraft. In diesem biblischen Bild ist ein großer Bogen gespannt: Unser christlicher Glaube an den einen Schöpfer, der alles ins Dasein ruft, der den Menschen befähigt, die Schöpfung zu kultivieren, der uns aber auch zur Verantwortung ruft, wo wir sündhaft unseren Kultur-Auftrag verraten, der uns durch alles Versagen hindurch aber auch in Jesus Christus zu einer neuen Schöpfung führt – dieser Glaube ruft uns, in Dankbarkeit Verantwortung für die Gegenwart und Zukunft der Schöpfung wahrzunehmen.