„Die Nacht ist noch nicht vorüber, aber es tagt schon…“ (Dietrich Bonhoeffer)

Predigt zur Feier der Osternacht 2018 von Weihbischof Bentz im Mainzer Dom am 31. März

Datum:
Sa. 31. März 2018
Von:
Weihbischof Bentz
Henning Mankell hat nicht nur spannende „Schwedenkrimis“ geschrieben. Von ihm gibt es auch sehr nachdenkliche Literatur. In einem seiner letzten Bücher – „Treibsand“ – erzählt er von seiner Sicht auf das Leben. Es ist ein Bekenntnis. Er sagt: „Im Grund ist unser Dasein eine Tragödie. Ein Leben lang trachten wir danach, unsere Kenntnisse, unser Wissen und unsere Erfahrungen zu vermehren. Doch letzten Endes wird sich alles in Nichts auflösen. – Ich respektiere Menschen, die an ein Leben nach dem Tod glauben. Aber ich verstehe sie nicht. Mir kommt die Religion wie eine Entschuldigung dafür vor, dass man die Grundbedingungen des Lebens nicht akzeptiert. Hier und jetzt, mehr ist es nicht. Darin liegt … auch das Wunderbare.“1

Ist das wirklich so wunderbar? „Hier und jetzt, mehr ist es nicht.“ Tatsächlich leben viele mit diesem Blick auf ihr Leben. „Nimm mit, was mitzunehmen ist.“ – Carpe diem! Mit allen Konsequenzen dieses konsumistischen Denkens für Schöpfung und Ökologie, für das menschliche Miteinander und das Verantwortungsbewusstsein auch über Generationen hinweg: „Nimm mit, was mitzunehmen ist.“ Denn irgendwann ist es aus und es kommt nichts mehr nach.

Und was geschieht dann in dieser Nacht und in dieser Feier mit all ihrer Symbolik? Feiern wir mit Ostern tatsächlich nur die große Entschuldigung für die Endlichkeit des Lebens – ist der Gedanke der Auferstehung tatsächlich nur Trost für diejenigen, die die Realität von der Nichtigkeit des Lebens nicht aushalten?

Wahrscheinlich haben viele eine falsche Vorstellung von dem, was Auferstehung meint. Auferstehung ist gerade nicht die endlose Verlängerung von „hier und jetzt - nur schöner“… Auferstehung meint auch nicht das selbstverständliche Weiterleben einer unsterblichen Seele. Man muss das Sterben und den Tod eines Menschen wirklich ernst nehmen, um nicht zu banal von einem irgendwie gearteten Weiterleben einer Seele getrennt von der irdischen Leibeshülle zu denken. Ewigkeit ist „nicht eine immer weitergehende Abfolge von Kalendertagen.“ (Papst Benedikt XVI., Angelusgebet 1.11.2010)

Auferstehung liegt jenseits unserer Vorstellungskraft. Deswegen können wir nur in Bildern davon sprechen. Und es braucht verschiedene Bilder, denn kein Bild trifft es ganz. Und die Liturgie der Osternacht ist voll solcher Bilder. Bilder, die den Gegensatz von Tod und Leben bezeichnen: Am Osterfeuer habe ich schon davon gesprochen, dass man ursprünglich zum Entzünden des Feuers Funken aus Steinen geschlagen hat – aus toter Materie lebendiges Feuer. Das Licht der einen Kerze, die die Dunkelheit erhellt, der Kontrast von Licht und Dunkel. Oder: das Eintauchen der Kerze in das österliche Taufwasser – Feuer und Wasser, zwei Elemente, die eigentlich nicht zusammengehen… im Exsultet haben wir die paradoxen, fast ekstatischen Formulierungen gehört von der „wahrhaft heilbringenden Schuld des Adam“, die zum Segen wird. In der Lesung aus dem Buch Ezechiel hörten wir vom „Herz aus Stein“ und „Herz aus Fleisch“. Alle diese paradoxen und gegensätzlichen Bilder zeigen: Bei der Auferstehung geht es nicht darum, dass das Leben eben irgendwie weitergeht – nur anders. Sondern: Der Tod bedeutet wirklich das Aus. Wer einen Mensch sterben sieht, und wer den Leichnam eines Menschen betrachtet, der weiß, wie schnell diese sterbliche Hülle nur noch wenig mit dem Menschen zu tun hat, der kurz zuvor noch gelebt hat. Der Tod bedeutet tatsächlich das Aus. Deshalb: Auferstehung braucht wirklich den schöpferischen Akt Gottes. Auferstehung geschieht wirklich nur durch das Eingreifen Gottes, indem er etwas Neues schafft. Deswegen sagt Paulus: „In Christus sind wir eine neue Schöpfung.“ (2 Kor 5,17) Und deswegen sagen wir auch: Im Tod ruft Gott den Menschen zu sich – nicht: wir gehen. Er ruft – heraus aus dem Tod.

Der damalige Papst Benedikt XVI. hat Ostern und die Auferstehung einmal als die größte und alles umwälzende „Mutation“ in der Schöpfungsgeschichte bezeichnet. Auch das ist ein Bild: So wie bei einer Mutation der Gene wie durch einen Quantensprung wirklich etwas Neues und ganz Anderes möglich ist, so ist auch das österliche Leben wirkliches Leben, aber eben ein Quantensprung zu unserem bisherigen Leben.

Hat das Hier und Jetzt dann mit dem österlichen Leben nichts zu tun? Oh, doch! Seit der Auferstehung Jesu ist das Potenzial für dieses österliche Leben da. Das österliche Leben ist in die Schöpfung eingestiftet. Jesus lebt tatsächlich. Das ist das Zeugnis der Jünger. Oft aber ist es verborgen und überdeckt von den zerstörerischen Kräften, die in der Welt sind. Das österliche Leben ist zugedeckt und entstellt durch Schuld, Versagen, Egoismen, Gleichgültigkeit und Bosheit, Grausamkeit, die sich dem Leben entgegenstellen. Der Kampf des Lebens gegen den Tod geht weiter. Das können wir nicht leugnen.

Es ist aber die Frage: Ist das alles? Aus welcher Perspektive betrachten wir das Leben? Als Zeugen der Auferstehung, als diejenigen, die Ostern glauben, können wir mit „den Augen des Glaubens“ auf das Leben schauen, um zu entdecken, dass die alte Schöpfung zwar beherrschend ist, aber nicht mehr alles bestimmt. Das neue Leben wirkt längst. Papst Franziskus stellt diesen Optimismus immer wieder in den Mittelpunkt seiner Verkündigung: Wir haben keinen Grund, den Unheilspropheten mehr zu vertrauen als der Botschaft von Ostern. „Es mag viel Dunkles geben, doch das Gute neigt dazu, immer wiederzukommen, aufzukeimen und sich auszubreiten. Jeden Tag wird in der Welt die Schönheit neu geboren… die Werte tendieren dazu, immer wieder auf neue Weise zu erscheinen, und tatsächlich ist der Mensch oft aus dem, was unumkehrbar schien, zu neuem Leben erstanden. Das ist die Kraft der Auferstehung und jeder Verkünder des Evangeliums ist ein Werkzeug dieser Dynamik.“2

Österlich leben heißt: sich von diesem Optimismus leiten lassen. Schwestern und Brüder, das wünsche ich uns, dass durch die Feier dieser Osternacht diese Sicht auf die Welt, diese Hoffnung und Zuversicht und dieses Vertrauen wieder stark werden möge. Gleich werden wir an unsere Taufe erinnert. Jetzt gleich erneuern wir unser Taufversprechen. Die Taufe gehört untrennbar zu Ostern dazu. Taufe heißt ja nicht nur, zur Kirche zu gehören. In der Taufe wurden wir so mit Christus verbunden, dass er in uns lebt und durch uns wirkt. Wenn wir jetzt unser Taufversprechen erneuern, dürfen wir fest glauben und vertrauen: mit unserer Taufe hat Gott schon jetzt dieses Potenzial des österlichen Lebens und der Auferstehung in uns hinein gelegt. Durch das Sakrament der Taufe haben wir tatsächlich die Möglichkeit, österlich zu leben, Werkzeug dieser Dynamik und Kraft der Auferstehung zu sein. Wie sähe die Welt heute aus, wenn sie nicht diese Kraft der Auferstehung in sich tragen würde?

Es stimmt, was der evangelische Bekenner Dietrich Bonhoeffer einmal gesagt hat: „Der auferstandene Christus trägt die neue Menschheit in sich, das letzte herrliche Ja Gottes zum neuen Menschen. Zwar lebt die Menschheit noch im Alten, aber sie ist schon über das Alte hinaus. Zwar lebt sie noch in einer Welt des Todes, aber sie ist schon über den Tod hinaus. Zwar lebt sie noch in eine Welt der Sünde, aber sie ist schon über die Sünde hinaus. Die Nacht ist noch nicht vorüber, aber es tagt schon.“3

Anm.:
1: Henning Mankell: Treibsand. Was es heißt, Mensch zu sein. Wien: Zsolnay-Verlag 2015, 120.
2: Papst Franziskus: Evangelii Gaudium, Nr. 276.
3: Dietrich Bonhoeffer: Ethik. München: Kaiser Verlag. 6. Auflage 1963, 22.