Einführung in den Gottesdienst:
Eine neue Zeit beginnt. Keine Zeit der Griesgrämigen, sondern eine Zeit des Aufbruchs. Eine Zeit des Neuanfangs. Über dieser Zeit steht der Aufruf von Paulus aus der Lesung des heutigen Tages: „Wir bitten euch an Christi statt - lasst euch mit Gott versöhnen!“
Dabei ist es gar nicht so selbstverständlich zu sagen, sich mit Gott versöhnen zu lassen. Wir müssen dem erst auf die Spur kommen, wo denn solche Versöhnung angesagt ist. Deshalb ist die österliche Bußzeit auch immer eine Zeit der Besinnung, der Selbstreflexion, der Nachdenklichkeit. Sie eine Zeit, in der wir uns neu ausrichten und das Unversöhnte in unserem Leben in den Blick nehmen. Und im Vertrauen darauf, dass Gott uns die Versöhnung schenkt, können wir uns ermutigen lassen zu neuen Schritten.
Jetzt beginnt die österliche Bußzeit. Die Kirche predigt wieder über Umkehr, Sünde und Schuld und über Fastenvorsätze. Es ist wie in jedem Jahr - und doch anders: So leicht geht es uns doch nicht von den Lippen, zur Umkehr aufzurufen. Wird man uns nicht gerade jetzt in der öffentlichen Meinung vorhalten: Fangt erst einmal selbst an, ehrlich und konsequent umzukehren! Die Reaktionen auf den Missbrauchsgipfel im Vatikan vor gut einer Woche waren und sind immer noch verheerend. Man glaubt uns nicht. Man hatte sich radikale Zeichen der Umkehr und der Schuldanerkennung und vor allem ganz konkrete Zeichen erhofft.
Konkrete Maßnahmen, ganz konkrete Zeichen und Schritte erwartet man. Und das zu Recht. Denn zur inneren Umkehr – das gehört in jede Fastenzeit – gehören auch die äußeren Zeichen. Und zu den äußeren Zeichen und Vorsätzen gehört ein innerer Gesinnungswandel.
Heute werden wir als Bistum Mainz die Öffentlichkeit ein weiteres Mal informieren, was wir als Bistum bisher im Blick auf die Aufarbeitung der Missbrauchsfälle in unserem Bistum getan haben. Wir werden informieren, wozu wir uns als nächste Schritte entschieden haben. Das sind keine spektakulären Maßnahmen und keine Schlagzeilen produzierenden Erklärungen. Hoffentlich aber zeigen unsere Schritte, worauf es uns als Bistumsleitung ankommt: Dem Bischof und mir ist es wichtig, dass wir in einer veränderten inneren Haltung, mit einer veränderten Perspektive auf die Vorkommnisse schauen.
Deshalb ist es uns wichtig, in allem die Perspektive der Betroffenen und nicht der Institution zum Maßstab zu machen. Deshalb bitten wir externe Experten und Betroffene selbst, uns zu beraten und bei Entscheidungen mitzuwirken. Deshalb ist die Frage der Aufarbeitung und des weiteren Umgangs mit Vorkommnissen sexualisierter Gewalt nicht mehr nur die Aufgabe eines kleinen geschlossenen Zirkels. Wir binden nicht nur externe Fachleute sondern auch mehr Mitarbeiter mit ein, damit keine „einsamen Entscheidungen getroffen werden.“ Wir werden qualifizierte Standards für Prävention und für die Vorgehensweise im Krisenfall erarbeiten und wollen diese auch von außen regelmäßig überprüfen lassen. Wir werden nochmals alle unsere bisherigen Fälle überprüfen. Und wenn wir feststellen, dass es zu Unregelmäßigkeiten kam oder Verfahren nicht eingehalten wurden, dann werden wir diese nachholen. Wir wollen überprüfen, ob alle Sanktionen auch wirklich eingehalten und umgesetzt wurden. Mit den Generalstaatsanwaltschaften haben wir eine vollumfängliche Zusammenarbeit vereinbart. Wir wollen Gesprächsformate organisieren, in denen wir von den Betroffenen hören und lernen und Zusammenhänge verstehen können.
Da ist nichts „Spektakuläres“ dabei. Es kommt uns nicht auf die große Schlagzeile an. Dafür ist uns das Thema zu sensibel. Dafür geht es zu sehr um schweres Leid. Man kann nicht aus der Aufarbeitung von Versagen auch noch öffentlichkeitswirksam „Kapital schlagen“! Es geht nicht um Revolution, auch nicht um einen öffentlichen Pranger.
Unsere Linie als Bistum: Wir wollen unaufgeregt, an der Sache orientiert, Schritt für Schritt weiterhin Licht in ein noch nicht ganz geklärtes Thema bringen und dabei immer auch daran erinnern, was bereits unternommen wurde und was sich längst geändert hat. Denn das wird merkwürdigerweise auch manchmal vergessen bei all den Diskussionen.
Was aber noch wichtiger ist: Es wird hoffentlich auch für die Öffentlichkeit deutlich, dass wir mit einer anderen Grundhaltung, einer anderen inneren Einstellung und mit einem veränderten Blick an die Aufgaben gehen. Wird man uns glauben, dass wir da auf einem ehrlichen Weg der Umkehr sind? Oder braucht es die spektakuläre Aktion und die laute Geste nach dem Motto: „Seht ihr auch alle, wie sehr wir in Sack und Asche gehen?“
Die Liturgie des Aschermittwoch zeigt uns die richtige Richtung, wie wir als Kirche und wie jeder und jede von uns persönlich den Weg der Umkehr und Erneuerung gehen können:
Umkehr bedeutet innere Umkehr
Jesus sagt wiederholt: „Du aber geh in deine Kammer.“ Umkehr vollzieht sich nicht auf den öffentlichen Plätzen mit spektakulären Aktionen und Zeichen. Das wissen wir doch von uns selbst. Die großartigen Vorsätze sind oft von kurzer Dauer. Umkehr beginnt von innen. Und alle Zeichen der Umkehr, die wir setzen, sind hohl, wenn innerlich kein Sinneswandel geschieht. Und das heißt: Bin ich bereit, mit einem veränderten Blick die Dinge aus neuer Perspektive wahrzunehmen? Entwickle ich eine neue Sensibilität?
Umkehr bezieht sich auf die Gegenwart und Zukunft
Umkehr setzt Anerkennung der Vergangenheit voraus. Das erfordert einen ehrlichen und nüchternen Blick auf das in meinem Leben, was war und was nicht in Ordnung war. Umkehr bleibt nicht bei den alten Fehlern stehen. Umkehr vollzieht sich in der Gegenwart und richtet sich aus auf Zukunft hin: Was folgt aus meinen Fehlern? Was will ich anders machen? Was will ich in meinem Leben ändern? Gottes Geist wirkt in der Gegenwart. Gottes Geist führt in die Zukunft.
Umkehr vollzieht sich in Diskretion
Auch in unserem persönlichen Leben gilt: Umkehr vollzieht sich in Diskretion und nicht in lauten Gesten. Umkehr vollzieht sich im Alltäglichen und nicht in Sonntagsvorsätzen. Echte Umkehr macht nicht von heute auf morgen alles anders, bedeutet nicht immer die schlagartige Verwandlung und den schnellen Effekt sondern erfordert die Geduld und Bereitschaft, einen Weg (!) der Bekehrung zu gehen.
Eine jüdische Weisheit, die mir viel bedeutet und auf die ich oft und gerne zurückgreife, zeigt die inneren Zusammenhänge auf dem Weg der Umkehr von innen nach außen: Achte auf deine Gedanken, denn sie prägen deine Worte. Achte auf deine Worte, denn sie prägen deine Handlungen. Achte auf deine Handlungen, denn sie werden dir zur Gewohnheit. Achte auf deine Gewohnheiten, denn sie prägen deinen Charakter!