Christen sind „moralischem Universalismus verpflichtet“

Sozialphilosoph Professor Hans Joas bei seinem Festvortrag im Mainzer Priesterseminar (c) Bistum Mainz/Hoffmann
Datum:
Fr. 9. Dez. 2022
Von:
hoff(MBN)

Beim traditionellen Seminarfeiertag im Mainzer Priesterseminar am Donnerstag, 8. Dezember, gab Professor Dr. Hans Joas, Ernst-Troeltsch-Honorarprofessor an der Theologischen Fakultät der Humboldt-Universität zu Berlin, einen Einblick in sein Konzept des „moralischen Universalismus“. Christen hätten daraus resultierend eine moralische Verpflichtung zur Hilfe auch denen gegenüber, die ihnen nicht nahe stünden, erläuterte Joas.

Zunächst sprach Professor Joas über sein Buch „Warum Kirche? Organisation und kultische Praxis des christlichen Universalismus“. Dabei ging er auf die derzeitige Krise der Kirche ein, anhand des Beispiels des Umgangs mit sexuellem Missbrauch. „Das ist ein doppelter Skandal, zum einen durch den Missbrauch selbst, zum anderen durch die Vertuschung“, sagte er. Ein Aspekt dabei sei wohl eine falsche Vorstellung von Kirche, bei der es eine „Konkurrenz der Sakralität von Personen gegenüber der Sakralität der Kirche als Institution“ gebe, so Joas. Ein weiterer Aspekt der Kirche in der Krise sei das allgemein tiefer werdende Misstrauen der Bevölkerung gegenüber Institutionen im Allgemeinen.

Die Diskussion über die Relevanz von Religion hätte sich in den vergangenen 20 Jahren gewandelt, erläuterte Joas. Während eine zentrale Frage auf dem Ökumenischen Kirchentag in Berlin 2003 noch lautete: ‚Braucht der Mensch überhaupt Religion?‘, habe sich diese Frage verschoben hin zu ‚Brauchen Menschen, um religiös zu sein, noch Institutionen?‘. „Brauchen Christen eine Kirche?“, spitzte Joas die Frage zu. „Es wird die Frage gestellt, ob Menschen ihre Spiritualität vielleicht besser leben könnten, wenn sich nicht ein Kleriker zwischen sie und ihre Suche nach Gott schiebt“, gab der Professor die Fragestellung wider. Die Gemeinschaft des Christentums ermögliche es dem Einzelnen, nicht in bloßer Selbstoptimierung zu enden. „Das Christentum ist eine Religion des Universalismus“, erklärte Joas. „Dahinter steht die Leitfrage, ob mein Handeln gut ist für das Wohl und Heil aller Menschen“, sagte er. Christen hätten sich in ihrem Handeln nie nur an Christen gewandt, sondern stets das Wohlergehen aller in den Blick genommen, sagte Joas. „Der universalistische Gedanke lässt sich ausbauen, etwa wenn wir auch die Folgen unseres Handelns für künftige Generationen mitbedenken“, sagte Joas. Daraus leite sich ein „moralischer Universalismus“ ab, der zum Beispiel einen verantwortlichen Umgang mit der Schöpfung auch im Hinblick auf die Zukunft impliziere. Damit sei es unvereinbar, wenn sich Christen in partikularen Organisationen separierten: „Sie können das nicht, ohne mit dem Grundgedanken des Universalismus zu brechen“, betonte Joas.

Der Feiertag des Mainzer Priesterseminars findet traditionell am Hochfest der ohne Erbsünde empfangenen Jungfrau und Gottesmutter Maria statt. An der Veranstaltung nahm unter anderen auch der Mainzer Weihbischof und Generalvikar, Dr. Udo Markus Bentz, sowie die Bevollmächtigte des Generalvikars, Stephanie Rieth, teil. Die Begrüßung und Moderation hatte der Regens des Mainzer Priesterseminars, Dr. Tonke Dennebaum, übernommen.

Bischof Kohlgraf predigte über die Erbsünde

Bischof Peter Kohlgraf bei seiner Predigt in der Mainzer Augustinerkirche zum Seminarfeiertag des Priesterseminars (c) Bistum Mainz/Hoffmann

Der Mainzer Bischof Peter Kohlgraf hat zum Auftakt des Seminarfeiertages mit den Teilnehmern ein Pontifikalamt in der Augustinerkirche gefeiert. In seiner Predigt befasste er sich mit der Erbsünde. „Es war ja nie der Kern der Erbsündenlehre, dem Menschen die Freiheit abzusprechen“, betonte Kohlgraf. Und weiter: „Es ging auch nie darum, wenn ich es recht verstehe, die Verknüpfung jedes Menschen mit der Schuldgeschichte der Menschheit als einen persönlich zu verantwortenden moralischen Makel zu beschreiben. Aber jeder Mensch wird, so auch der genannte Psalm 51, in eine Geschichte der Sünde und Schuld hineingeboren. Unsere Welt ist keine heile Welt, und in diese Welt wird jeder Mensch hineingestellt.“ In diese Welt komme Jesus als Erlöser: „Dadurch wird dem Menschen die Möglichkeit geschenkt, sich aus der Verflochtenheit in die Schuldgeschichte befreien zu lassen – aus Gnade, wie Paulus sagt. Ich muss mich eben nicht am eigenen Schopf aus dem Sumpf des Bösen herausziehen, ich bin erlöst, die Menschheit ist erlöst.“ In den Sakramenten werde das „Erlöstsein“ erfahrbar. „Die Erlösung führt in die Freiheit, das ist die Kernbotschaft des Paulus im Römerbrief“, sagte Kohlgraf. Er resümierte: „Wir sind nicht mehr Sklaven der Sünde. Das heutige Marienfest steht für den Glauben, dass Gottes Gnade den Menschen herausnimmt aus der Abhängigkeit an das Böse, gleichzeitig aber auch Orientierung schenkt, die Freiheit im Sinne der Nachfolge Jesu leben zu können.“

Gemälde sind zurückgekehrt

Dr. Susanner Kern (2.von rechts) überreichte ihr Buch an Bischof Peter Kohlgraf, Weihbischof Dr. Udo Markus Bentz, Bevollmächtigte Stephanie Rieth und Regens Dr. Tonke Dennebaum (von links nach rechts) (c) Bistum Mainz/Hoffmann

Ein weiterer Programmpunkt bei der Feierstunde im Mainzer Priesterseminar war die Buchvorstellung „Heilige und Selige des Augustinerordens. Gemäldezyklus des 18. Jahrhunderts im Bischöflichen Priesterseminar in Mainz“ von Dr. Susanne Kern. Im Zuge des Neubaus des Augustiner-Eremiten-Klosters wurde der Mitte des 18. Jahrhunderts errichtete Kreuzgang mit einem Gemäldezyklus ausgestattet. Vor 60 Jahren entfernte man die großformatigen Barockgemälde. Nun sind wieder sämtliche Gemälde restauriert am ursprünglichen Ort im heutigen Bischöflichen Priesterseminar vereint. Die Gemälde zeigen Heilige und Selige des Augustinerordens. Jetzt ist dazu der Bildband erschienen, den Kern im Rahmen der Feierstunde präsentierte. Finanziert wurden Bildband und Restaurierung mit Mitteln aus dem Nachlass von Prälat Nikolaus Reinhardt, von 1969 bis 1984 Regens des Priesterseminars.

Joseph Maria Reuß-Preis verliehen

Bischof Peter Kohlgraf überreicht den Joseph Maria Reuß-Preis an Maylin Annika Amann (c) Bistum Mainz/Hoffmann

Bei der Feierstunde wurde auch der Joseph Maria Reuß-Preis der Stiftung Mainzer Priesterseminar verliehen. Maylin Annika Amann erhielt diesen Preis für herausragende theologische Abschlussarbeiten für ihre Masterarbeit mit dem Titel: „Katholische Kirche und Fastnacht in Mainz. Von der ‚Zerstörung der Unschuld‘ zur ‚wahren Freude‘ (1925-1955).“ Der Förderpreis ist mit 1.200 Euro dotiert.