Der Mainzer Bischof Peter Kohlgraf hat am Sonntag, 9. Oktober, Pastoralreferentin Christine Schardt und Pfarrer Mathias Berger offiziell mit der queersensiblen Pastoral im Bistum Mainz beauftragt. In einem Abendgottesdienst in der Kirche St. Quintin in der Mainzer Innenstadt überreichte er ihnen ihre Dekrete.
In seiner Predigt dankte Bischof Peter Kohlgraf zunächst den queeren Menschen, die schon kurz nach seiner Weihe Kontakt zu ihm aufgenommen hätten: „Von ihnen habe ich einen veränderten Blick gelernt. Wir reden nicht über irgendeine abstrakte ‚Lehre vom Menschen‘, wenn wir als Kirche sprechen und ich mich als Bischof äußere. Ich rede über konkrete Menschen und ihr Leben, und hoffentlich zunächst mit ihnen“, sagte er. Und weiter: „Mit Überzeugung habe ich daher den Texten des Synodalen Weges zugestimmt, die hier eine Neubewertung formulieren und konkrete Konsequenzen erwarten. Ich wünsche mir eine Kirche und eine Verkündigung, die Menschen und ihre Lebenswirklichkeit wahrnimmt und in ihrer Vielfältigkeit ernst nimmt und wertschätzt.“
Er erschrecke manchmal über sich selbst: „Ich bin seit 30 Jahren im kirchlichen seelsorglichen Dienst. Für mich verbinden sich damit positive Erinnerungen. Ich erschrecke insofern, dass ich die Kirchenerfahrung anderer nicht wahrgenommen habe. Das gilt zum Beispiel für so viele im kirchlichen Dienst, die mit ihrer Beziehung in ein Doppelleben gedrängt wurden; das gilt für viele, deren Leben nur als Sünde bewertet wurde und wird, so viele, die sich verstecken oder über die hinter ihrem Rücken geredet wird. Es ist für mich auch ein Stück Versagen als Seelsorger im Dienst eines Gottes, dessen Ebenbild alle Menschen sind. Niemand ist ein Schadensfall der Schöpfung, alle sind geliebt, Gott hat sie alle so gewollt. Nicht erst durch #Outinchurch ist uns doch bewusstgeworden, dass auch Seelsorgerinnen und Seelsorger betroffen sind und in eine Lebenslüge gedrängt wurden, die durch Verantwortliche nicht wahrgenommen werden wollte oder bewusst in Kauf genommen wurde. Damit muss Schluss sein.“
Im Hinblick auf die eigene Verantwortung sagte er: „Ja, Verantwortliche in der Kirche sind schuldig geworden, zu ihnen gehöre ich auch. Und sehr bewusst wird mir, was es bedeutet, schuldig zu werden nicht nur durch das Tun des Bösen, sondern durch das Unterlassen des notwendig Guten. Ich will bewusst Verantwortung übernehmen.“ Kohlgraf erklärte, die Bischöfe arbeiteten an einer Veränderung der Grundordnung des kirchlichen Arbeitsrechts. „Die Fokussierung auf die geschlechtliche Identität und Orientierung und die konkrete Partnerschaft als beinahe einziges Kriterium für Loyalität zur Kirche ist eher beschämend und schafft keine Klarheit“, sagte er. „Für mich bleibt es eine erschütternde Erfahrung, dass die Verurteilung von queeren Menschen für manche in der Kirche zur eigentlichen Kernfrage des Katholischseins mutiert.“ Er betonte: „Ich sage es deutlich: Wenn ich in die Evangelien schaue, entscheiden nicht die sexuelle Identität und Orientierung und eine ihr folgende Lebensweise über das ewige Heil, sondern Lieblosigkeit, Heuchelei oder die Beschimpfung anderer. So will ich tatsächlich mein Katholischsein nicht verstehen.“
Bischof Kohlgraf dankte Pastoralreferentin Christine Schardt und Pfarrer Berger für ihre Bereitschaft und wünschte ihnen Gottes Segen. Kohlgraf: „Allen Menschen unterschiedlichster Prägung danke ich, wenn sie uns als Kirche ihr Vertrauen schenken, wenn wir gemeinsam auf Wege des Glaubens gehen, wenn wir in allen Gottes Ebenbilder erkennen dürfen. Ich bin dankbar, wenn wir weitergehen, fragend, lernend und gesprächsbereit.“ In einer Resonanz auf die Lesung betonte Christine Schardt: „Die vielfältigen Menschen sind von Gott so gewollt. Sie sind alle ‚made by god‘.“ Pfarrer Mathias Berger ergänzte: „Wenn wir sie ausschließen, muss klar sein, dass wir uns damit gegen Gott stellen.“
Bei einem anschließenden Empfang im Erbacher Hof in Mainz sagte Joachim Schulte von QueerNet Rheinland-Pfalz: „Sie Herr Bischof haben ganz gezielt, ganz offen und ganz klar formuliert: Ich will etwas tun. Es kann Ihnen nicht hoch genug angerechnet werden, dass Sie diesen Punkt gesetzt haben.“ Es sei ein Signal von ganz oben, dass Bischof Kohlgraf die Fakten wahrnehme und anerkenne, auch die Verletzungen von Menschen. „Und Sie haben sich selbst nicht ausgenommen, sondern bekannt: Ich bin ein Teil davon“, hob Schulte hervor. Das mache ihn zuversichtlich und froh, dass die nötigen Schritte getan würden. Brigitte Oberle vom Netzwerk katholischer Lesben überreichte Schardt und Berger zwei Aktenordner in Regenbogenfarben. Sie stünden zum einen für Gottes Bund mit den Menschen, und zum anderen als Zeichen der queeren Gemeinschaft im Kampf für ihre Rechte und die Rechte aller Menschen. Petra Weitzel von der Deutschen Gesellschaft für Transidentität und Intersexualität sagte: „Für mich ist das heute wie der der Fall der Berliner Mauer.“ Kerstin Söderblom, Pfarrerin der Evangelischen Studierendengemeinde, sagte, in der evangelischen Kirche gebe es zwar in Landeskirchen zum Beispiel schon die Segnung gleichgeschlechtlicher Paare, „aber es gibt auch in unserer Kirche noch viele Probleme“, bekannte sie. Deshalb sei es gut, als Kirchen gemeinsam voranzugehen. Thomas Isser, Vorsitzender des Kolping-Diözesanverbandes dankte, dass das Bistum einen Anhaltspunkt biete: „Akzeptanz wird immer gebraucht“, betonte er.
Hintergrund: Queersensible Pastoral im Bistum Mainz
Bereits zum 1. April dieses Jahres hatte Bischof Kohlgraf Schardt und Berger zu Beauftragten für queersensible Pastoral im Bistum Mainz ernannt. Zu den Aufgabenfeldern der beiden Beauftragten gehören unter anderem die Vernetzung und Kooperation mit den queeren und queersensiblen Netzwerken und Communities. Diese haben die Entwicklungen innerhalb des Bistums als langerwarteten Schritt betrachtet und die Zusammenarbeit mit den Beauftragten angeboten. Weiter formulieren die beiden Beauftragten: „Die Arbeit richtet sich in den nächsten Wochen auf die Suche nach pastoralen Mitarbeiter*innen, die queere Menschen geistlich und/oder liturgisch begleiten wollen und können.“ Die Beauftragten werden hier bei Vernetzung, interner Beratung und Fortbildung mitwirken. Die neue Regionalstruktur kann gewährleisten, dass mittelfristig in jeder Region Begleitung einzelner und Beratung von Teams möglich wird.
Christine Schardt kommt aus Frickhofen im Westerwald. Sie lebt seit ihrem Studium der Katholischen Theologie in Mainz und ist Pastoralreferentin in der Diözese Mainz. Christine Schardt ist verheiratet und hat zwei Kinder. Sie ist Hochschulseelsorgerin und Dozentin an den Hochschulen in Mainz. Ökumenisch, interreligiös und international engagiert sie sich in verschiedenen Teams und Vorständen. „Die entscheidende Frage lautet für mich nicht: Warum sollten wir uns ausgerechnet in der katholischen Kirche für queere Menschen einsetzen. Sondern: Warum nicht?“, sagt sie. „Denn G*tt hat uns nicht einen Geist der Verzagtheit gegeben, sondern den Geist der Kraft, der Liebe und der Besonnenheit.“ (2 Tim 1,7)
Mathias Berger stammt aus Beerfelden im Odenwald. Nach dem Studium der Musik und Geschichte für das Gymnasiale Lehramt absolvierte er ein Studium der Katholischen Theologie in Frankfurt und Mainz und wurde 2008 zum Priester geweiht. Nach 13 Jahren in der verbandlichen Jugendpastoral des Bistums und als Diözesanjugendseelsorger ist er ab Oktober 2022 neben der Beauftragung für queersensible Pastoral Pfarradministrator der Pfarrei Liebfrauen in der Mainzer Neustadt. „Wir möchten unsere bisherigen Erfahrungen aus der Jugendarbeit und Hochschulseelsorge einbringen und auch lernend erweitern zugunsten eines Aufbruchs in unserer Kirche und in unserem Bistum bis zur vollständigen Anerkennung queerer Lebensrealitäten. Unsere Arbeit sehen wir als Mitarbeit an einer diskriminierungsfreien Kirche und Gesellschaft, die alle Menschen in ihrer Gottesebenbildlichkeit anerkennt und begleitet.“
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