Karl Rahner ist „ein Vorbild für die Theologie und das Leben des Glaubens“

Vorlesung von Kardinal Karl Lehmann bei den ersten „Rahner Lectures“ in München

Datum:
Sa. 25. Apr. 2009
Von:
tob (MBN)
München. Als „Vorbild für die Theologie und das Leben des Glaubens“ hat der Mainzer Bischof, Kardinal Karl Lehmann, den Jesuiten Karl Rahner (1904-1984) bezeichnet. Bei einer Vorlesung im Rahmen der ersten „Rahner Lectures“ an der Hochschule für Philosophie in München am Freitagabend, 24. April, würdigte er das Werk des Theologen als „einmalig und unersetzlich“. Wörtlich sagte Lehmann: „Das Ausbleiben seiner Wegweisungen und Zwischenrufe, die für ein halbes Jahrhundert nicht wegzudenken waren, hat eine Lücke hinterlassen, die nicht geschlossen werden kann.“

Aus Anlass von Rahners 25. Todestag in diesem Jahr (30. März) veranstaltete das Münchner Karl Rahner-Archiv in Zusammenarbeit mit der Hochschule für Philosophie erstmals „Rahner Lectures“. Die künftig jährlich stattfindenden Vorlesungen sollen das Andenken an Leben und Werk des Theologen wach halten. Kardinal Lehmann war von 1964 bis 1968 Assistent des Theologen. Seit 1995 ist der Kardinal Mitherausgeber der „Sämtlichen Werke“ Rahners und Mitglied des Kuratoriums der Karl Rahner-Stiftung. 2006 übernahm er den Vorsitz des Kuratoriums.

 

 

In vielen Schriften von Rahners Werk gebe es „prophetische, ja geradezu visionäre Elemente, die der Orientierung heute dienen können“, betonte der Kardinal. Und weiter: „Damit ist nicht gesagt, dass man alles kritiklos übernehmen kann. Er hat jedoch zum Beispiel die innere Not einer pluralistischen Gesellschaft, die Notwendigkeit des beständigen und ernsthaften Dialogs, die Situation der Christen in der wachsenden Diaspora und die Lage eines ‚Glaubens in winterlicher Zeit’ tiefer erkannt als die meisten Analysen, die heute feilgeboten werden. Es lohnt sich, Karl Rahner als einen unabhängigen Beobachter unserer Situation zu hören, der zugleich ein unbestechlicher, nüchterner Diagnostiker und ein Seelsorger ist, der viel Mut und Zuversicht in einer oft dürftigen Situation ausstrahlt. Wer bei Karl Rahner in die Schule geht, bleibt nicht bei Wehleidigkeit, Selbstbespiegelung und Resignation stehen, sondern lässt sich immer wieder von ‚Sendung und Gnade’ erfassen.“

 

 

Auch wenn Karl Rahner keine Schule im üblichen Sinne gebildet habe, gebe es auf der ganzen Welt viele Botschafter seines Denkens, sagte Lehmann. „Dafür ist die Kirche wichtig. Er wusste sich immer im Dienst der Gemeinschaft der Glaubenden. Er stellte sich stets immer wieder neu in den lebendigen Strom kirchlicher Überlieferung. Er dachte immer wieder auch an die Zukunft des Glaubens in einer anderen Zeit. Der größte Teil seiner Schriften wurde in der Zeit des Umbruchs vor und nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil in die großen Weltsprachen übersetzt und dort, gerade auch in den jungen Kirchen, vergegenwärtigt. Gerade weil Karl Rahner sich so vorbehaltlos und bescheiden in den Dienst der Verkündigung und der Theologie hinein gab und nicht einfach für sich allein sein wollte, ist er so fruchtbar geworden.“ Es sei „erstaunlich und dankbar festzustellen“, dass in den vergangenen Jahren „junge begabte Frauen und Männer herangewachsen sind, die Karl Rahner nicht mehr persönlich kannten, aber unter guter Anleitung und oft in neuer Perspektive sein Denken ursprünglich erschließen und damit auch fruchtbar machen für die Zukunft“.

 

 

Die verborgene Mitte von Rahners theologischem Denken

 

 

Es sei „so etwas wie die verborgene Mitte von Rahners theologischem Denken“, dass seine Theologie „niemals weltflüchtig“ geworden sei. Rahner habe die Überzeugung vertreten, dass in allen Situationen des Lebens, selbst in der Stunde des Todes, ein Ort sei, „wo man der unverbrüchlich gültigen Heilszusage Gottes“ begegnen und sie annehmen könne. Wörtlich sagte Lehmann: „Am Grunde dieser Theologie steht die fast unbesiegbare Hoffnung, der Mensch werde und könne sich dieser Einladung Gottes kaum versagen; der bittere Ernst ewigen Heilsverlusts braucht deshalb nicht geleugnet zu werden, sondern unterstreicht nur die Dringlichkeit und Kraft dieser Heilshoffnung. Aus diesem Grunde hat Karl Rahner, ohne je die radikale Mitte entschiedenen Christentums zu verkennen, ein neues Verhältnis zu den Menschen außerhalb der Kirche gewonnen, ja auch zu denen gesucht, die man ‚Atheisten’ nennt."

 

 

Rahner sei gerade durch seine Offenheit und Aufrichtigkeit im Glauben „ein so zuverlässiger, brüderlich-geschwisterlicher Zeuge und für viele ein unaufdringlicher Begleiter zur Erfüllung ihres Lebenssinnes in Gott geworden“, hob der Kardinal hervor. „Für unzählige Menschen spricht in seinen Gebeten und Meditationen einer, dem man deshalb Glauben schenken darf, weil er das, wovon er spricht, wirklich erfahren hat und mit seiner eigenen Existenz verbürgt. Unverkrampft und ohne irgendeinen Anflug von Ideologie wird überzeugend dargetan, dass man Gott in allen Dingen finden kann.“

 

 

Das pastorale und praktische Element zähle zu „den elementaren Triebkräften“ seiner Theologie, mit der er „auch noch der schlichtesten Gemeinde am Rand des Dschungels und dem einsamen Missionar“ helfen wollte, erläuterte Lehmann. „Wohl nicht zuletzt darum hat Karl Rahner auf seine Pläne und Möglichkeiten verzichtet, mit seiner enormen Schaffenskraft eine große systematische theologische Summe - vielleicht vergleichbar Karl Barths ‚Kirchlicher Dogmatik’ - zu schreiben, sondern sich der schrecklichen Kärrner-Arbeit gestellt, das theologische Wissen der Zeit für eine größere Öffentlichkeit aufzubereiten. Deswegen steigt Karl Rahner immer wieder gleichsam vom theologischen Olymp herunter, schreibt Briefe an junge Menschen, auch wenn er nicht ihren Jargon spricht, und stellt sich jeder Herausforderung. Auch wenn manches begrifflich schwierig erscheint, so ist es doch eine ganz unelitäre, freilich durchaus anspruchsvolle Theologie des Volkes Gottes. Karl Rahner spürte als Theologe eine hohe soziale Verpflichtung, andere an der Kraft des Glaubens teilnehmen zu lassen. Ich denke an die von ihm herausgegebenen Handbücher und Lexika, die eine enorme Öffentlichkeitswirkung der Theologie schufen.“ Rahner habe seiner Kirche und der Theologie auf fast allen Gebieten „sehr große Dienste geleistet“, die in vielen Bereichen noch nicht ausreichend bearbeitet worden seien.

 

 

Kardinal Lehmann verteidigte bei seiner Vorlesung auch die kritischen Stellungnahmen Rahners: „Man muss mit Karl Rahners ‚Zwischenrufen’ zur Situation der Kirche nicht immer einverstanden sein, aber niemand kann ihm eine tiefe Liebe zur Kirche absprechen. Überhaupt ist es manchmal beschämend, wie einem der größten Theologen unseres Jahrhunderts im deutschen Sprachgebiet gelegentlich schon der gute Wille abgesprochen wird. Man kann und muss über solche unqualifizierten Äußerungen zur Tagesordnung übergehen. Am meisten widerlegt werden sie durch das Zeugnis vieler Menschen, ja mehrerer Generationen, die auch heute noch Karl Rahner für all das, was er geleistet hat, ein herzliches Vergelt’s Gott zurufen.“