Kohlgraf: Widerständig und widerborstig gegen den Zeitgeist

Podiumsgespräch zum Reformationsjubiläum in der Akademie der Wissenschaften

Reformationspodium (c) Bistum Mainz / Blum
Datum:
Fr. 2. Juni 2017
Von:
tob (MBN)
Mainz. Das Reformationsjubiläum erinnere daran, „dass wir die Freiheit und das Gewissen als wesentliche Elemente für die Menschenwürde neu bedenken müssen“. Das sagte der ernannte Mainzer Bischof, Professor Dr. Peter Kohlgraf, bei einem Podiumsgespräch am Donnerstagabend, 1. Juni, in der Akademie der Wissenschaften und Literatur in Mainz.
Reformationspodium (c) Bistum Mainz / Blum

Beim Freiheitsbegriff gehe es heute um die Frage, „ob Freiheit etwas ist, das mein Ich stärken kann oder ob es einfach nur Handeln aus Beliebigkeit oder Lust ist“, sagte Kohlgraf. Er wies darauf hin, dass gerade durch Papst Franziskus auch in der Katholischen Kirche die Frage nach der Bildung des Gewissens wieder gestärkt worden sei. 

Es wäre „mein Wunsch von katholischer Seite, dass mit dem Reformationsjubiläum 2017 nicht einfach nur ein Fest abgehakt wird, sondern dass das Gespräch über die Inhalte weitergeht“, betonte Kohlgraf. Er verwies auf das vielfältige ökumenische Miteinander in den Gemeinden, wo die Themen des Jubiläums weiterwirken könnten. Grundsätzlich dürfe man die Bedeutung solcher Großereignisse nicht unterschätzen, sagte Kohlgraf. Der Besuch von Papst Franziskus im vergangenen Jahr in der Lutherischen Kathedrale in Lund etwa sei „ein starkes Signal gewesen, auf dem Weg der Ökumene weiterzugehen“. Der Abend stand unter der Überschrift „Die Reformation (1517/2017) im Spannungsfeld von Theologie, Kultur und Politik“. Veranstalter waren das Mainzer Leibniz-Institut für Europäische Geschichte in Kooperation mit der Akademie der Wissenschaften und Literatur Mainz und der Landeszentrale für politische Bildung Rheinland-Pfalz. 

Glaubwürdige und radikale Verkündigung des Evangeliums mit allen Facetten

Angesprochen auf den Mitgliederschwund der Kirchen sagte Kohlgraf: „Die Gestalt der Kirche wird sich verändern. Aber das, was die Kirche bisher ausgemacht hat, wird sie auch in den nächsten 20 Jahren ausmachen, die ich vielleicht hier Bischof bin.“  Und weiter sagte er: „Im Wesentlichen geht es um eine ganz glaubwürdige und radikale Verkündigung des Evangeliums mit allen Facetten. Natürlich ist der Mensch von Gott geliebt, aber es gibt auch den Ruf in die Nachfolge Jesu. Kirche ist mehr als eine Werteagentur für gesellschaftspolitische Fragen. Wir dürfen widerständig und widerborstig gegen den Zeitgeist sein.“ Es gehe darum, „zu verkündigen, Sakramente zu spenden und Nächstenliebe zu üben, ohne auf das eigene Ansehen zu achten. Und wenn die Menschen dann merken: ‚Ich bin denen wichtig’, dann hat die Kirche eine Chance.“ 

Als eine zentrale Errungenschaft der Reformation bezeichnete Volker Jung, Kirchenpräsident der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau, die neue Bedeutung des Individuums gegenüber der Institution Kirche. Das habe einen enormen Bildungsschub bewirkt. Ebenso sei mit der Reformation aber auch eine „leidvolle Geschichte verbunden, der wir uns stellen“, sagte Jung. 

Luise Schorn-Schütte, Professorin für Neuere Allgemeine Geschichte an der Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt, bezeichnete die „Institutionenkritik“ als zentrales Anliegen der Reformation. Das theologische Anliegen Luthers sei damals „in eine hochexplosive Zeit hinein formuliert“ worden. Sie habe den Eindruck, dass „die politische Dimension Luthers noch nicht im Zentrum der Diskussion“ angekommen sei, sagte Schorn-Schütte.  

Andreas Barner, Mitglied im Präsidium des Deutschen Evangelischen Kirchentags sowie im Rat der Evangelischen Kirche in Deutschland, wies darauf hin, dass die Unterschiede zwischen den beiden Kirchen für die Gläubigen viel geringer seien als für die Theologie. Er begrüßte, dass die beiden Kirchen zum Reformationsjubiläum ihre Gemeinsamkeiten hervorgehoben haben.  

Die Moderation des Podiumsgespräches hatte Heike Schmoll von der Frankfurter Allgemeine Zeitung (FAZ) übernommen. Grußworte sprachen zu Beginn Gernot Wilhelm, Präsident der Akademie der Wissenschaften und der Literatur, Irene Dingel, Direktorin des Leibniz-Instituts für Europäische Geschichte, sowie der Regierungsbeauftragte des Landes Rheinland-Pfalz für das 500. Reformationsjubiläum, Gerhard Robbers. Den musikalischen Rahmen gestaltete die Gruppe „Capella lutherana“ aus Worms mit  Musik der Reformation und des Frühbarock.