Zum Inhalt springen

„Es gibt keine bösen Menschen"

Menschen beistehen, die in einem Gefängnis leben müssen – das ist keine leichte Aufgabe. Eine Gruppe des Christlichen Orientierungsjahrs (COJ) und weiterer Freiwilligendienstler besuchte Seelsorger Hubert Frank in der JVA Rohrbach.
Datum:
9. Mai 2023
Von:
Silke Radler

von Elisabeth Friedgen für Glaube und Leben

Gefängnisse – Parallelwelten vor unserer Haustür. Mehr als 170 gibt es in Deutschland. Wer die Justizvollzugsanstalt Rohrbach besucht, dem wird bewusst, wie schnell wenige Meter Freiheit von Unfreiheit trennen können. Kalt und abweisend wirken schon die hohen Mauern rund um das Gebäude. Wie kann Kirche einen Unterschied machen in einem Leben, das sich verwirkt anfühlt?

„Ohnmacht ist hier ein ganz großes Thema“
Um das herauszufinden, hat sich eine Gruppe junger Leute am Eingang eingefunden, es sind „COJ’ler“ und solche, die in katholischen Gemeinden oder Kitas ein FSJ (Freiwilliges Soziales Jahr) absolvieren oder einen Bundesfreiwilligendienst leisten. Sie alle leben gemeinsam in der christlichen WG im Mainzer Priesterseminar. Mit ihrer Betreuerin, Gemeindereferentin Helena Gilbert, werden sie von zwei Seelsorgern der JVA begrüßt: Diakon Hubert Frank, der katholische, und sein evangelischer Kollege Pfarrer Jörg Brauer.

Die Gruppe folgt ihnen durch viele lange Flure. Sie sind immer wieder durch Sicherheitstüren unterteilt, jede wird aufgeschlossen und hinter der Gruppe wieder abgeschlossen. Zuerst zeigt Brauer einen Raum, der „Arbeitstherapie“ genannt wird. Es wirkt ein bisschen wie in einer Schreinerwerkstatt: Hölzerne Gartenstühle und Schnitzfiguren sind in Regalen und davor aufgestellt. Alles von Häftlingen gefertigt. Hier können sie stundenweise handwerklich tätig sein und Ablenkung finden. Weiter geht es in einen Mehrzweckraum. Er wird auch für Gottesdienste genutzt und hat als einziger Raum der Anstalt farbig verglaste Fenster, durch die man „die Gitterstäbe nicht so sehr sieht“, wie Frank betont. „Mich hat überrascht, wie freundlich dieser Raum im Vergleich zu der restlichen JVA gestaltet ist“, wird Johanna Schmitz aus der Gruppe später sagen. Die 22-Jährige studiert Soziale Arbeit und Praktische Theologie im dritten Semester.
In einer Nische gibt es ein farbenfrohes Madonnenbild und ein handgefertigtes Kreuz, beides stammt von ehemaligen Insassen. Überhaupt ist der Raum ein Ort, wo die Anonymität der JVA etwas aufbricht: So stecken Gefangene den Seelsorgern manchmal auch selbstgeschriebene Gebete zu, die diese dann im Gottesdienst vortragen. 
Hubert Frank arbeitet seit sieben Jahren in der JVA; war davor Leiter der Männerseelsorge im Bistum und ist ausgebildeter Gewalttherapeut. Kollege Brauer ist schon zwölf Jahre dabei, seit zwei Jahren gibt es über ein Pilotprojekt des Justizministeriums auch einen muslimischen Seelsorger. Der Imam bietet im Mehrzweckraum ein Freitagsgebet an und ebenso wie seine christlichen Kollegen besucht er die Häftlinge zu Einzelgesprächen. Zwar müssen diese dafür erst einen Antrag stellen, denn im Gefängnis geht nichts „einfach so“. Doch so ist es möglich, dass die Seelsorger bis zu einmal wöchentlich Besuche machen können.

„Ohnmacht ist hier ein ganz großes Thema“, sagt Frank, als die Runde zum Gesprächskreis zusammensitzt. „Ich sehe hier oft den Bezug zum Kreuzestod Christi. Da war auch ganz viel Ohnmacht, die es auszuhalten galt. Wir als Seelsorger sind dazu da, die Ohnmacht der Häftlinge mitauszuhalten.“ Die Schicksale hinter der Haft seien vielfältig. „Manchmal hat jemand es einfach wiederholt nicht geschafft, seine Amazon-Rechnung zu zahlen. Manchmal ist es aber auch Fahrerflucht nach einem tödlichen Unfall“, so Brauer. Egal, warum sie zu Häftlingen wurden: „Wir geben diesen Menschen einen Vertrauensvorschuss, wir können sagen: ‚Ich höre dir zu, erzähl deine Geschichte‘“, erklärt Frank. „Natürlich muss man schon gewisse Resilienzen mitbringen, wenn man hier arbeitet.“ Doch er habe auch in der JVA die Erfahrung gemacht, dass in jedem Menschen etwas Gutes stecke: „Es gibt keine bösen Menschen. Manche haben nur so einen festen Panzer, dass man nicht an sie herankommt.“ 

„Kirche in einer ganz eigenen Form erfahren“
Einerseits „sehr interessant“, andererseits „auch beklemmend“ schildert Johanna Schmitz ihre Eindrücke. Beeindruckt habe sie, wie sehr man den Seelsorgern ihre „Passion“ angemerkt habe: „Sie machen da einen sehr guten Job“, findet die Studentin. Ihr eigenes Interesse an dem Beruf der Gefängnisseelsorgerin haben sie auf jeden Fall geweckt. Sie habe aber Respekt davor, wie man sich in dem Beruf abgrenzen kann. „Vielleicht muss man erst viel Berufserfahrung sammeln, um sich auf so eine Stelle einzulassen.“
Hubert Frank, der im Sommer in den Ruhestand geht, hat eigene Strategien zur Stressbewältigung entwickelt: „Man darf hier trotz allem Anspruch nicht die Welt retten wollen“, meint er. Als Ausgleich fährt er in seiner Freizeit gern Kajak, um den Kopf freizubekommen. Schon jetzt blickt er zufrieden auf seine JVA-Zeit: „Ich bin dankbar, dass ich hier Kirche in einer ganz eigenen Form erfahren habe. Man kann hier Menschen zum Leben helfen, und das ist ja auch unser Auftrag.“

Zur Sache: 

Die Seelsorger arbeiten im Team mit Psychologen und dem Sozialdienst. Letzterer kümmert sich auch darum, wie es für die Insassen 
nach der Haft weitergeht, sodass sie nach ihrer Entlassung nicht völlig ihrem Schicksal überlassen sind. In der JVA Rohrbach sind 80 weibliche und über 300 männliche Häftlinge untergebracht. (ef)

Infos zum COJ: www.coj-mainz.de