Flucht und Migration: Frauen auf der Flucht

Demo für Frauenrechte (c) Ann-Christin Rittau

Tausende Menschen werden jeden Tag durch Krieg, Gewalt oder Unterdrückung zur Flucht gezwungen. Sie suchen Schutz in anderen Ländern, auch in Deutschland. Weltweit gibt es über 65,6 Millionen Schutzsuchende. Laut statistischem Bundesamt sind es fast 6 Millionen Menschen alleine in Deutschland. Darunter sind rund 36 Prozent Mädchen und Frauen. Gerade sie sind häufig in ihren Herkunftsländern, auf der Flucht und auch bei ihrer Ankunft im Zielland von Gewalterfahrungen betroffen.

Die Fluchtgründe von Frauen sind unterschiedlich. Sie können durch politisch motivierte Verfolgungen oder aufgrund einer bestimmten ethnischen oder religiösen Zugehörigkeit ausgelöst werden. Sowie durch die im Herkunftsland herrschenden gesellschaftlichen und staatlichen Normen und Moralvorstellungen. Bislang war für viele, gerade auch Mädchen und Frauen, die Flucht aus ihrem Heimatland oft die einzige Option, um in Freiheit leben zu können. Doch zurzeit ist vieles im Auf- und Umbruch, wie der Iran zeigt.

Eine Flucht aus dem Iran nach Deutschland

Seit dem Tod der 22-jährigen Jina Amini finden im Iran Proteste statt. Weltweit fordern vielen ein Ende des dortigen Regimes. Auch in Deutschland gehen Tausende auf die Straßen, darunter viele Iranerinnen. Die 57-jährige Massumeh ist eine davon. Sie unterstützt die Bewegung und begleitet die Proteste so oft wie möglich. Vor vier Jahren ist sie aus dem Iran nach Deutschland geflüchtet. Dafür musste sie eine gefährliche und traumatisierende Flucht über die Balkanroute auf sich nehmen. Die Schlepper sind mit ihr und den anderen Frauen sehr gewalttätig umgegangen. Täglich hatten die Frauen große Angst vor sexuellen Übergriffen der Männer.

„Die Schlepper haben meine Schwester und mich in ein Haus gebracht. Es waren nur Männer. Wenn ich nur daran denke, geht es mir schlecht. (…) Wir haben riesige Angst gehabt. Sie haben zu uns gesagt, dass wir ihnen alles geben müssen, was wir haben. Den Rest kann ich nicht sagen. Wir haben Angst gehabt das wir vergewaltigt werden. (…) Wir haben unser Leben riskiert, um das Land Iran zu verlassen“.

 

In Griechenland saß sie für eine Woche im Gefängnis, bis ihr nach eineinhalb Monaten die Flucht nach Deutschland gelungen ist. Hier hatte sie zum allerersten Mal ein Gefühl von Sicherheit. Massumeh hatte großes Glück: Sie ist mit einigen anderen Frauen in einer eigenen Wohnung untergekommen. Häufig sind die Unterkünfte für Geflüchtete so überfüllt, dass die einzige Lösung die Unterbringung in einer Sammelunterkunft ist, was ein großes Problem darstellt. Denn hier gibt es keine nötigen Gewaltschutzmaßnahmen, zum Beispiel indem Männern und Frauen getrennt leben.

Massumeh möchte ihren Nachnamen nicht nennen, zu groß ist die Angst vor Konsequenzen. Denn immer noch ist ihre jüngste Tochter im Iran. Sie sorgt sich um deren Sicherheit. Auf die Frage, wie es ihrer Tochter gerade geht, antwortet Massumeh nur: „Sie lebt“.

Über die Zeit vor ihrer Flucht, die traumatisierende Route nach Deutschland und ihre Ankunft, erzählt sie hier:

"Wir haben riesige Angst gehabt. Sie haben zu uns gesagt, dass wir ihnen alles geben müssen, was wir haben.“

"Wir haben unser Leben riskiert, um das Land Iran zu verlassen“

 

Massumeh erzählt über die Zeit vor ihrer Flucht und die traumatisierende Route nach Deutschland

Massumeh erzählt über die Zeit vor ihrer Flucht und die traumatisierende Route nach Deutschland

28. Okt. 2022

Gewaltschutzmaßnahmen in Unterbringungen für Schutzsuchende

Auch in Deutschland sind Frauen geschlechtsspezifischer Diskriminierung und Gewalt ausgesetzt. Wenn Frauen in Sammelunterkünften für Schutzsuchende untergebracht werden, sind bestimmte Maßnahmen notwendig, um die Frauen vor Gewalt und Übergriffen zu schützen. Dazu zählen neben der räumlichen Trennung von Männern und Frauen auch, separierte Waschräume und verschließbare Einzelduschen bereitzustellen, sowie eine gute Beleuchtung der Unterkunft im Innen- und Außenbereich. Generell sollte der Schutz der Frauen in den Einrichtungen höchste Priorität haben und entsprechende Maßnahmen umgesetzt werden.

Behrouz Asadi leitet das Migrationsbüro der Malteser in Rheinland-Pfalz und Hessen. Der gebürtige Iraner ist 1975 für sein Geografie- und Pädagogik-Studium nach Deutschland gekommen. Während seiner Zeit hier, hatte sich in seiner Heimat vieles verändert. Der schiitische Religionsführer Ayatollah Ruhollah Chomeini führte im Iran einen schiitisch-islamischen Gottesstaat ein, weit weg von Demokratie und Menschenrecht. Für Behrouz Asadi war es unvorstellbar, wieder in seine Heimat zurückzukehren. Er ist in Deutschland geblieben und macht es sich zur Aufgabe, Menschen zu helfen.

Behrouz Asadi setzt sich für die Unterbringung, Integration und den Schutz von Geflüchteten ein. Dabei betont er immer wieder, wie wichtig ein entsprechendes Gewaltschutzkonzept für Frauen in Deutschland ist.

„Wenn sich jemand in Gefahr befindet, muss die Person sofort isoliert und in einer anderen adäquaten Unterkunft untergebracht werden. Auch bei Streitigkeiten in der Familie müssen Maßnahmen getroffen werden, wie zum Beispiel den Mann aus der Unterkunft zu holen. Das hängt immer von der jeweiligen Fallkonstellation ab“.


Als Exil-Iraner organisiert er Veranstaltungen und Demonstrationen, die auf die Situation der Menschen im Iran aufmerksam machen sollen. In offenen Briefen hat er sich an die Außenministerin Annalena Baerbock (Bündnis 90/ Die Grünen) und an die rheinland-pfälzische Integrationsministerin Katharina Binz (Bündnis 90/ Die Grünen) gewandt und unter anderem ein Abschiebestopp für alle Iraner*innen gefordert. Seit dem 11.10.2022 hat das Land Rheinland-Pfalz die Rückführungen in den Iran gestoppt, zunächst für einen Zeitraum von drei Monaten.

Behrouz Asadi fordert von der Bundes- und Landesregierung, die Menschen im Iran zu unterstützen, vor allem durch konkretes Handeln.

„Die Zukunft der Länder, wie dem Iran liegt in den Händen der Frauen. Und die Frauen sind die Zukunft des Landes. Weil Frauenrechte sind Menschenrechte und Menschenrechte sind nicht teilbar. Das ist ganz wichtig. Diese Botschaft muss an die Bundesregierung gehen, damit sie die Belange der Frauen hier und in ihrer Heimat vertreten und entsprechend handeln. (…) Es müssen Maßnahmen gegen das iranische Regime durchgeführt werden (…) um eine bessere Situation für die Frauen zu erreichen“.

Behrouz Asadi Im Interview

Behrouz Asadi Im Interview

28. Okt. 2022

Flucht und Trauma

Das Erleben von Gewalterfahrungen und traumatischen Erlebnissen, beeinträchtigt die Gesundheit der Betroffenen und erschwert ihnen den Start im Aufnahmeland. Durch die angespannte Situation in den Sammelunterkünften und die Zukunftssorgen kommt es häufig zu Retraumatisierungen. Darum brauchen geflüchtete Menschen psychologische Unterstützung, um die Traumata zu verarbeiten und um sich ein neues Leben aufzubauen.

Petra Mattes ist Psychotherapeutin im Psychosozialen Zentrum für Flucht und Trauma der Caritas Mainz. Geflüchtete suchen hier bei unterschiedlichen Traumatisierungen Hilfe. Gerade Frauen müssen oft nicht nur Sprachbarrieren überwinden, sondern auch die Therapie und die Koordinierung des Familienlebens miteinander vereinen. Auf ihnen lastet ein hoher physischer und psychischer Druck.

„Frauen erleiden zum einen eine deutlich höhere geschlechtertypische Traumatisierung, also das heißt, dass sie als Frauen doch nochmal stärker als die meisten Männer zum Beispiel sexuellen Übergriffen ausgesetzt sind. Das andere ist, das viele Frauen die zu uns kommen auch Mütter sind. Sie tragen nach wie vor auch oft die Hauptverantwortung für die Familie und müssen sehen, dass nicht nur sie selbst hier über die Runden kommen und geschützt leben, sondern auch ihre Kinder. Und das ist etwas das haben Frauen oft mit im Gepäck, wenn sie hierherkommen“.

 

Immer wieder kommt es in Sammelunterkünften zu Auseinandersetzungen und gewalttätigen Handlungen, innerhalb und außerhalb von Familien. Um für Frauen und queere Menschen eine erhöhte Sicherheit zu gewährleisten, sieht auch Petra Mattes die Notwendigkeit einer geschlechterspezifischen Unterbringung. Dafür sind auch schon Konzepte da, sagt sie. Es scheitere aber an der Umsetzung.

„Da muss Geld in die Hand genommen werden, dass Frauen tatsächlich dann auch einen sicheren Wohnraum finden. (…) Die Konzepte sind gut, aber da muss noch sehr viel mehr passieren, also das dann auch Wohnraum verfügbar ist“.

"Frauen tragen nach wie vor auch oft die Hauptverantwortung für die Familie und müssen sehen, dass nicht nur sie selbst hier über die Runden kommen und geschützt leben, sondern auch ihre Kinder. Und das ist etwas das haben Frauen oft mit im Gepäck, wenn sie hierherkommen“.

Petra Mattes im Interview

Petra Mattes im Interview

Stellungnahme der rheinland-pfälzischen Integrationsministerin

Ich habe auch die rheinland-pfälzische Integrationsministerin Katharina Binz um eine Stellungnahme gebeten. Sie hat sich schriftlich zu den Formen der Unterbringung, Versorgung und Hilfestellung von Schutzsuchenden in Rheinland-Pfalz geäußert. 

„Im Rahmen der Erstaufnahme in Rheinland-Pfalz finden die Bedürfnisse von Frauen und Mädchen grundsätzlich besondere Berücksichtigung. Frauen (alleinreisende Frauen, Schwangere und Alleinerziehende mit minderjährigen Kindern) und Minderjährige werden im Gewaltschutzkonzept für die Erstaufnahme -  in Anlehnung an die EU-Aufnahmerichtlinie (2013/33/EU) - als schutzbedürftige Personengruppen definiert (…).“

„In jeder Aufnahmeeinrichtung gibt es Maßnahmen zum Schutz und zu Unterstützung von Frauen und Minderjährigen. Jede Unterbringung verfügt über einen Frauenflur oder ein Frauenhaus, indem eine gesonderte Unterbringung möglich ist. Es gibt geschlechtergetrennte Kursangebote und psychosoziale und psychotherapeutische Unterstützungsangebote für Geflüchtete in den Einrichtungen und den Psychosozialen Zentren. Zur Unterstützung von Frauen werden z.B. psychosoziale/psychologische Gespräche und Frauenkurse angeboten. Das Integrationsministerium hat vor, das psychosoziale Versorgungsangebot für minderjährige Geflüchtete ab dem kommenden Jahr ebenfalls zu fördern und ausbauen.“

 

Auf die Frage, in welcher Form eine Beachtung der besonderen Schutzbedürftigkeit und der geschlechtsspezifischen Herausforderungen für junge Mädchen und Frauen stattfindet, habe ich folgende Antwort erhalten:

„Die Landesregierung fördert unterschiedliche Maßnahmen zur Integration (auch von weiblichen) Geflüchteten in die Gesellschaft. Eine dieser Maßnahmen ist die Sprachbildung mit landeseigenen Sprachkursen. Dabei ist eine kursbegleitende Kinderbetreuung möglich. Es gibt auch die Möglichkeit an Sprachtreffs teilzunehmen oder Sprachmittlungsangebote zu nutzen. Um Beratungsgespräche abzudecken wurden die landesgeförderten Migrationsfachdienste personell verstärkt.“

 

Katharina Binz hat sich auch zur aktuellen Situation im Iran und der damit verbundenen Frauenbewegung schriftlich geäußert (26.10.2022):

„Die Situation im Iran ist sehr ernst. Als Integrationsministerin habe ich deshalb veranlasst, Rückführungen aus Rheinland-Pfalz in den Iran für drei Monate auszusetzen. Der mutige Kampf der Frauen und aller Widerstandskräfte im Iran für Freiheit und Selbstbestimmung beeindruckt mich tief. Es ist wichtig, dass wir unsere Solidarität mit den mutigen Menschen im Iran deutlich zeigen. Sie und die in Deutschland lebenden Iranerinnen und Iraner, die sich ebenfalls Freiheit und Selbstbestimmung im Iran wünschen, sollen wissen, dass wir an ihrer Seite sind.“

Fluchtgründe und Schutzmaßnahmen für Frauen

Demo für Frauenrechte (c) Ann-Christin Rittau

Es gibt verschiedene Fluchtgründe. Häufig werden Menschen aufgrund ihrer religiösen Zugehörigkeit oder herrschender gesellschaftlicher und staatlicher Gesetze und Moralvorstellungen politisch verfolgt. Vor allem Frauen sind darüber hinaus spezifischen Menschenrechtsverletzungen ausgesetzt, wie zum Beispiel Zwangsheirat, Ehrenmord oder Isolation. Meistens ist ihnen kein Zugang zu Bildung möglich. In Kriegen und bei gewaltsamen Konflikten werden Vergewaltigungen als Kriegswaffe eingesetzt. Generell ist die Bedrohung durch sexuelle Gewalt sehr hoch.

Für viele ist die Flucht aus dem Herkunftsland die einzige Möglichkeit, um in Freiheit zu leben. Dabei gibt es viele Hürden. In den meisten Fällen müssen die Menschen viel Geld aufbringen, um sich eine Flucht überhaupt erst leisten zu können. Häufig ist es nicht nur ein Abschied von der eigenen Heimat, sondern von den Familienmitgliedern, die zurückbleiben.

Eine Flucht kann sich über viele Wochen und Monate ziehen. Keiner ist darauf vorbereitet, welche Schwierigkeiten und gefährlichen Situationen sich ergeben können. Vor allem junge Mädchen, Frauen und queere Menschen sind in erhöhtem Maß gefährdet. Häufig kommt es zu gewalttätigen Handlungen und sexuellen Übergriffen der Schlepper. Vor allem, wenn sie alleine unterwegs sind. Frauen, die mit ihren Kindern auf der Flucht sind, müssen nicht nur sich, sondern auch ihre Kinder versorgen und beschützen. Das stellt sie während der Flucht, aber auch bei ihrer Ankunft in Deutschland vor große Herausforderungen. Wenn Frauen von Gewalt betroffen sind, leiden sie unter sozialer Isolation, Selbstmordgedanken und psychischen Langzeitfolgen. Die traumatisierenden Erlebnisse im Herkunftsland und die Fluchterfahrungen können im Alltagskontext nur schwer verarbeitet werden. Hinzu kommen Retraumatisierungen durch Gewalterfahrungen in den Unterkünften für Schutzsuchende. Und Zukunftsängste. Falls ein Therapieplatz in einer Psychosozialen Einrichtung frei wird, müssen die Sitzungen mit den Terminen der Kinder koordiniert werden. Zudem bedarf es häufig des Einsatzes eine*r Dolmetscher*in, damit die Erlebnisse in der eigenen Sprache wiedergegeben werden können. Das hilft, weitere Hürden abzubauen.

Mädchen, Frauen und queere Menschen brauchen in ihren Herkunftsländern auf der Flucht und auch bei der Unterbringung in Deutschland einen besonderen Schutz. Gewaltschutzmaßnahmen lassen sich vor allem bei der Unterbringung im europäischen Ankunftsland anwenden. Um mehr Sicherheit zu gewährleisten, müssen die Wohnräume nach Geschlechtern getrennt werden. Die Wohneinheiten sollten verschließbar sein, damit auch von außen niemand in die Räumlichkeiten eindringen kann. Alle Wege müssen gut ausgeleuchtet sein, die Duschkabinen einzeln abschließbar. Damit das landesweit geregelt ist, bedarf es einem verpflichtenden, überregionalen Schutzkonzept. Das ist bislang nicht der Fall. Jede Kommune entscheidet selbst, ob sie überhaupt ein Gewaltschutzkonzept umsetzt. Eine einheitliche Lösung gibt es nicht, aber die wäre sinnvoll. Vor allem für die geflüchteten Mädchen und Frauen.

 

Autorin: Ann-Christin Rittau