Wenn wir in stillen Stunden auf unsere Lebensgeschichte schauen, dann mag Dankbarkeit aufsteigen für die schönen Dinge unseres Lebens, Freude für alles, was das Leben gelingen lässt und ihm Wert und Sinn verleiht. Oft zeigt sich aber auch Belastendes aus unserem Leben. Schmerzliche und bedrückende Erfahrungen und Erinnerungen aus der Lebensgeschichte, Schicksalsschläge, Verluste oder Krankheit von geliebten Menschen, eine zerbrochene Partnerschaft, Sorge um die Kinder, Mobbing am Arbeitsplatz.
Es fällt uns nicht leicht, dies als Teil unseres Lebens anzuerkennen. Wir hadern mit Gott, der uns dies zumutet. Wir entdecken verletzendes Verhalten anderer, das uns getroffen und enttäuscht hat. Und der Verursacher ist nicht – mehr – erreichbar. Wir treffen auf Seiten und Verhaltensmuster in uns, die anderen etwas zugefügt haben und können uns nicht – mehr – entschuldigen. Hier ist ein zentraler Punkt erreicht, in dem es um unsere Bereitschaft zu verzeihen oder uns verzeihen zu lassen geht. Hier wird die Bitte des Vater unsers konkret: Und vergib und unsere Schuld, wie auch wir vergeben unseren Schuldigern.
Der Preis der Freiheit ist die Vergebung.
Erkennen, dass es Unversöhntes gibt, verletzt werden ein Teil des Lebens ist. Der erste Schritt beginnt schon damit, mir einzugestehen, dass es Verletzungen, Unversöhntes in meinem Leben gibt. Das kann schon einen ersten Druck nehmen, der oftmals auch daher rührt, dass wir das Unversöhnte bei uns nicht wahrhaben wollen oder gegen diese Realität ankämpfen. Es bedeutet auch wahr sein zu lassen, dass in meinem Leben nicht alles glatt und problemlos verläuft.
Nur was wir zulassen, können wir loslassen, nur was wir zugeben können wir vergeben. Was war? Worum ging es? Was waren meine Gefühle? Welcher Art sind die Verletzungen? Wer hat an dem Geschehen welchen Anteil? Was ist mein Anteil an dem Geschehen – aktiv oder passiv? Ich bleibe in Fühlung damit, ohne mich darin zu verlieren oder zu verstricken. Und bringe mich mit all den schmerzlichen, unerlösten, unangenehmen Gefühle in die Gegenwart Gottes, verbinde mich mit seiner erlösenden Kraft.
Fehler nehmen dem Menschen nicht seine Würde.
Wir tendieren dazu den Menschen nur noch als den sehen zu wollen, der uns verletzt hat. Es geht darum zu verstehen, dass sein Verhalten in dieser bestimmten Situation verletzend und falsch war. Dazu mag es helfen, mich in die Perspektive des Täters / der Täterin zu versetzen und zu verstehen, warum dieser Mensch dies getan hat, aus welcher Gefühlslage, Situation er / sie so gehandelt hat.
Und vergib uns unsere Schuld, wie auch wir vergeben …
Vielleicht bin ich jetzt an dem Punkt, an dem ich aussprechen kann: Ich möchte Dir vergeben … Vielleicht ist dies aber noch nicht möglich, möglicherweise noch nicht einmal die Absicht dazu vorhanden, dann braucht es noch Zeit und das Gebet, dass diese Absicht wächst.
Die Vergebungsabsicht verlangt von mir den Verzicht, das Opfer, dass ich keine Wiedergutmachung, keine Genugtuung erwarten darf und erfahre. Vergebung ist eine Entscheidung von mir und ein Geschenk an den anderen, die andere. Dabei kann ich die Erfahrung machen, dass sich auf der Ebene der Gefühle noch nichts geändert hat. Dort kann es nach wie vor Ärger, Enttäuschung und Schmerz geben. Diese Gefühle brauchen wir nicht verändern zu wollen und stellen uns mit den Schmerzen und dem Leid in die heilende Beziehung zu Gott.
Vergegenwärtigen Sie sich im Gebet die heilende Nähe Gottes, der die Wunden in uns heilen und aussöhnen möchte. Es ist gut der Vergebungsabsicht eine konkrete Gestalt zu geben. Schreiben Sie einen Brief, einen Text oder Ihre Gedanken ins Tagebuch. Suchen Sie sich ein Lied, eine Musik, an die Sie die Vergebung koppeln.
Vergeben - nicht Auslöschen von Erinnerungen.
Jedoch bedeutet das Auftreten von Erinnerungen nicht, dass das Geschehen nicht verziehen ist. Aber wenn die alte Bitterkeit wieder hoch kommt, kann ich mich daran erinnern wozu ich mich entschieden habe.
Autor:
Winfried Hommel
nach Impulsen aus Jesuiten 2006/2