I.
Deutschland steht aktuell vor großen Herausforderungen. Die in diesem Jahr bevorstehenden Wahlen führen zu außerordentlich emotionsgeladenen und polarisierenden Auseinandersetzungen darüber, wie diese Herausforderungen in unserem Land zu bewältigen sind.
Wir, die Mitglieder des Katholikenrats als Vertreter aller Katholikinnen und Katholiken im Bistum Mainz, setzen uns als glaubwürdige Zeugen des Evangeliums und der daraus erwachsenden Verantwortung für unsere Gesellschaft sowie für einen an Sachfragen orientierten politischen Diskurs ein. Nur so können die drängenden gesellschaftlichen Herausforderungen wie die Sicherung der sozialen Gerechtigkeit, die Gewährleistung öffentlicher Sicherheit, die Stärkung des Vertrauens der Bevölkerung in staatliche und gesellschaftliche Institutionen und die Integration von Flüchtlingen tragfähig bewältigt werden.
Ein Kernpunkt unseres Glaubens und damit Orientierungspunkt sowohl in kirchlichen als auch in gesellschaftlichen und politischen Fragen ist unser christliches Menschenbild, das auf der Gottesebenbildlichkeit des Menschen beruht und das Gebot der Nächstenliebe einschließt. Deshalb gibt es für uns keine Menschen zweiter oder dritter Klasse: Jeder Mensch verfügt über die gleiche Würde, alle haben die gleichen Grundrechte und jede/r verdient den gleichen Schutz sowie die gleiche Anerkennung. Polemik, Hetze und Gewalt gegenüber Menschen anderer Hautfarbe, Herkunft, sexueller Orientierung oder Religion widersprechen dem christlichen Menschenbild.
II.
Mit großer Sorge beobachten wir, dass rechtspopulistische Forderungen in unserer Gesellschaft immer häufiger anzutreffen sind. Wir verwahren uns gegen demagogische und populistische Agitation, die auf Unwahrheiten und Halbwahrheiten basiert.
Aus unserem Glauben heraus sehen wir uns aufgerufen, uns gegen diese Manipulationsversuche zu stellen. Das vorsätzliche Schüren von Ängsten, um daraus einen politischen Vorteil zu schlagen, lehnen wir ab. Vielmehr wollen und müssen wir uns mit bestehenden Sorgen der Menschen auseinandersetzen und – ausgehend von unseren christlichen Werten und den Menschenrechten – nach Wegen für eine gerechte und solidarische Gesellschaft suchen.
Neue rechte Bewegungen und Parteien reklamieren für sich zunehmend den Begriff der Freiheit als Ausgangs- sowie als Zielpunkt ihres Denkens und Handelns. Wir stellen uns dem entgegen: Wir bekennen uns zur individuellen Freiheit des einzelnen, die nach unserem Verständnis aber dort ihre Grenzen hat, wo sie das Recht der anderen in Frage stellt. Wir verstehen den Menschen als soziales, in die Gemeinschaft aller eingebundenes Wesen.
Die Sorge für die Schwächeren und Benachteiligten steht über dem Recht auf ungezügelte Selbstentfaltung.
III.
Ausgehend von der Würde des Menschen (Art. 1 Abs. 1 GG) und auf Basis der Katholischen Soziallehre bekennen wir uns zu repräsentativer, parlamentarischer Demokratie, Gewaltenteilung und Rechtsstaatlichkeit und wehren uns gegen jeden Versuch, diese zu verunglimpfen und zu beseitigen.
Wir stehen für eine viele Völker und Kulturen umfassende Kirche und Gesellschaft und wehren uns gegen jede Instrumentalisierung des christlichen Glaubens, um andere Religionen und Kulturen herabzuwürdigen.
Wir stehen – auf dem Hintergrund unserer eigenen Geschichte – für eine Europäische Union in Frieden und Freiheit und plädieren für eine Vertiefung der europäischen Beziehungen.
Wir stehen für eine differenzierte Auseinandersetzung zur Lösung politischer Sachfragen und verurteilen demagogische und populistische Hetze.
Wir stehen für eine freie Medienlandschaft sowie deren Verantwortung zu sorgfältiger Recherche und Berichterstattung. Eine pauschale Infragestellung oder Verunglimpfung, z. B. als „Lügenpresse“, lehnen wir ab.
Wir stehen, entsprechend dem biblischen Gebot, den Fremden im Land zu schützen (Lev 19,33), für den vollen Erhalt des Asyl- und Bleiberechts und für die Überarbeitung des Zuwanderungsgesetzes.
Wir stehen für Bildung und Erziehung zu Demokratie, Respekt und Dialog und verpflichten uns zu interkultureller und antidiskriminierender Bildungsarbeit.
In unseren Anliegen suchen wir die Kooperation mit allen gesellschaftlichen Gruppen, Konfessionen und Religionen, die sich für eine offene wertorientierte Gesellschaft und die Zusammenarbeit aller Menschen guten Willens für eine gerechtere Welt einsetzen.
Mainz, 23. März 2017