Auf dem Weg zum Willen Gottes

Lesefassung der Predigt zur Gründung der Pfarrei Johannes XXIII. Viernheim

Viernheim, 21. Januar 2024: 20 Kirchorte der neuen Pfarrei hatten im Vorfeld jeweils ein Stück Stoff gestaltet, die dann zum neuen Altartuch zusammengefügt worden sind. (c) Bistum Mainz / Blum
Datum:
So. 21. Jan. 2024
Von:
Dr. Sebastian Lang, Generalvikar

Es ist von außen kaum zu ermessen, welche Arbeit hinter einer solchen Pfarreigründung steckt. Es sind ja nicht nur die rein administrativen Angelegenheiten zu klären, sondern auch vieles an Zwischenmenschlichem – sagen wir mal – zu bearbeiten. Ein herzliches Dankeschön und Vergelt’s Gott an dieser Stelle für alle Bemühungen, alles Dranbleiben und Durchbeißen und auch für jeden produktiven Konflikt, der ausgetragen wurde!

Alle von Ihnen, die sich eingebracht haben, und vielleicht auch diejenigen, die die Entwicklung eher aus einer Beobachterposition wahrgenommen haben, werden sich wohl das eine oder andere Mal die existentielle Frage gestellt haben: Warum?

Die Antworten – wenn sie denn überhaupt bedacht wurden und es nicht hieß: „Augen zu und durch!“ – fallen wohl sehr unterschiedlich aus. Mir scheint aber, dass wir auch als Kirche, als Gemeinschaft von Glaubenden eine Antwort auf diese Frage geben müssen, wenn wir Ressourcen jeder Art in einen solchen Prozess stecken. Wagen wir den Versuch und werfen einen Blick auf das, was Jesus Christus, nach dem wir uns immerhin Christen nennen, selbst motiviert hat.

Die Evangelien sind – scheint mir – nicht übermäßig auskunftsfreudig, was das Seelenleben Jesu angeht. Das ist für antike Texte insgesamt auch eher unüblich. Gelegentlich wird etwas über die Emotionen und noch seltener etwas über die inneren Beweggründe gesagt. Eine psychologische Entwicklung, eine innere Handlung, wie man sie in einem neuzeitlichen Roman erwarten würde, findet sich nicht.

Um ein Vorstellung davon zu bekommen, was diesen Jesus aus Nazaret angetrieben haben könnte, muss ich also etwas spekulieren. Wir haben eben einen Abschnitt aus dem ersten Kapitel des Markusevangeliums (Mk 1,14-20) gehört, der sich unmittelbar an die Erzählung von der Taufe Jesu und den vierzig Tagen in der Wüste anschließt (Mk 1,9-15). Es geht also um den Auftakt des öffentlichen Wirkens Jesu und es gibt gute Gründe anzunehmen, dass der antike Autor hier Wesentliches über die Bewegründe Jesu schildert.

„Die Zeit ist erfüllt, das Reich Gottes ist nahe. Kehrt um und glaubt an das Evangelium!“ (V. 15) – Es geht also offenbar um das Reich Gottes und es geht um Umkehr.

Mit dem Reich Gottes kann ich mich leicht identifizieren. Vielleicht auch, weil es immer etwas unklar bleibt, was das ist. Denn Jesus spricht darüber ja meist in Gleichnissen, in Bildern. Mich mit Umkehr auseinanderzusetzen ist dann schon unangenehmer. Immerhin bedeutet das, dass ich darüber nachdenken muss, was ich wohl falsch machen könnte.

Wer genauer auf die Botschaft Jesu schaut, der wird allerdings feststellen, dass das Reich Gottes ebenfalls eine anspruchsvolle Angelegenheit ist. Geht es doch darum, Gott eine echte Rolle im eigenen Leben, in der Welt zuzuweisen. Die Vaterunser-Bitte „Dein Reich komme!“ wird ausgedeutet, erklärt durch die folgende Bitte „Dein Wille geschehe“, und zwar bei mir genauso wie das im Himmel der Fall ist.

Ich frage jetzt nicht, ob es Gottes Wille ist, dass wir diese Pfarrei gründen. Das wäre wohl etwas vermessen. Sehr wohl, finde ich aber, ist zu fragen, was es braucht, dass Sie hier in Viernheim den Willen Gottes tun. – Oder anders gesagt: Was brauchen Sie, um auch zukünftig am Reich Gottes zu bauen? Ein hoher Anspruch? Ja, aber vielleicht sollten wir es darunter auch nicht machen.

Zurecht könnten Sie jetzt einwenden, dass die Gründung einer Körperschaft nicht im primären Interesse Jesu liege. Das stimmt sicherlich. Deswegen würde ich bei der Gründung einer Pfarrei ja auch nicht fragen, ob diese Gründung selbst dem Willen Gottes entspricht. Dass es Strukturen, dass es Regeln, dass es benannte Verantwortlichkeiten gibt, davon bin ich aber überzeugt.

Im Spätjahr 2023 hat die evangelische Kirche in Zusammenarbeit mit der katholischen Kirche die sechste Kirchenmitgliedschaftsuntersuchung veröffentlicht (KMU 6). 1Eines der Ergebnisse ist, dass Religiosität außerhalb der verfassten Kirche sich nicht lange hält.2

Mir leuchtet das ein: Wer erzählt mir von Jesus; wer ermutigt mich, mein Leben nach seinen Werten auszurichten; mit wem kann ich meine Fragen und Zweifel besprechen, wenn für alle diese Themen niemand verantwortlich ist?

Das passiert natürlich nicht nur in einem Gottesdienst, nicht nur in einem Kirchengebäude. Etwas, das wir hoffentlich gelernt haben. Allein eine Stadt wie Viernheim hat unzählige Kirchorte, wo alle das Beschriebene passieren kann: vier KiTas, die Schulen, allen voran die Alberts-Magnus-Schule, die KÖB „Drachenbücherei“, die Familienbildungsstätte, Krankenhaus und Hospiz, das Kath. Sozialzentrum, die Caritas Sozialstation, das Gemeindepsychiatrische Zentrum Bergstraße-Ried und anderes mehr, wo Glauben geteilt und gefeiert wird. Das ist ein beeindruckendes Zeugnis für unseren Glauben!

Also eitel Sonnenschein und ein Grund, zu feiern? – Ja und Nein! Wenn es Jesus um das Reich Gottes geht, dann geht es ihm immer auch um Umkehr. Wir haben einen kurzen Abschnitt aus dem Buch Jona gehört (Jona 3,1-5.10). Dieses schöne biblische Buch beschäftigt sich ganz vielschichtig mit dem Thema ‚Umkehr‘. Jona soll den Menschen in Ninive Umkehr predigen, dazu muss er selbst aber auf schmerzliche Weise selbst umkehren und die Perspektive wechseln.

Vielleicht ist der Pastorale Weg unseres Bistums auch so eine Art vielschichtige Umkehr. Alle sind gezwungen, immer neu die Perspektive zu wechseln. Wenn wir diesen Weg gehen, dann nicht, weil vorher alles schlecht war und danach alles gut würde.

Immer wieder muss ich auf mein Leben, immer wieder müssen wir auf unsere Strukturen und die Art unseres Miteinanders schauen und prüfen, ob es so wie es ist noch dem Reich Gottes dient, das so bedeutend ist, dass es Jesus von Nazaret der wichtigste Antrieb war.

Wir feiern die neue Pfarrei. Ihre Gründung ist hier in Viernheim eine Etappe auf dem Weg zum Reich Gottes, auf dem Weg zum Willen Gottes. Ich wünsche ihr, dass es allen, die in ihr wirken und leben, zuerst um den Willen Gottes geht und alle oft genug bereit sind, zu diesem Anliegen umzukehren.

1EKD (Hg.), Wie hältst du’s mit der Kirche? Zur Bedeutung der Kirche in der Gesellschaft. Erste Ergebnisse der 6. Kirchenmitgliedschaftsuntersuchung, Leipzig: Evangelische Verlagsanstalt, 2023.

2 Vgl. ebd., S. 23.