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Predigt zum Bonifatiusfest im Haus der kirchlichen Berufe:Ausbildung zu „Menschen der Offenheit und des Dialogs“

Mainz, 5. Juni 2025: Bischof Peter Kohlgraf beim Gottesdienst zum Bonifatiusfest des Mainzer Priesterseminars in der Augustinerkirche, links Regens Michael Leja und rechts Spiritual Prof. Dr. Philipp Müller.
Datum:
Do. 5. Juni 2025
Von:
Peter Kohlgraf, Bischof von Mainz

„Wir müssen gemeinsam nach Wegen suchen, wie wir eine missionarische Kirche sein können, eine Kirche, die Brücken baut, den Dialog pflegt und stets offen ist, alle mit offenen Armen aufzunehmen.“ So formulierte unser neuer Papst Leo XIV. am Tag seiner Wahl sein Bild von einer einladenden Kirche. Von vielen wird Kirche aber immer wieder auch als ausgrenzend empfunden, weniger als Brückenbauerin, denn als Gemeinschaft, die Mauern aufzieht. Die Erinnerung an den Auftrag der Mission gehört zum Kernauftrag des Auferstandenen. Heute will ich an diesen Auftrag erinnern. Die Aufgabe fällt nicht an den Papst allein. Jedem und jeder fällt diese Aufgabe zu. Der Papst nennt wichtige Grundlagen: Wir suchen gemeinsam, es geht nur im Dialog, und zwar auch im Dialog mit einer nicht- oder andersglaubenden Welt, und in der Offenheit für alle Menschen.

Mission ist vielen peinlich, erscheint unnötig, oder gilt gar als gefährlich. In vielen Debatten der letzten Jahre um Integration beschwören manche ein christliches Europa, weil sie einen missionarischen Islam fürchten. Aber man muss zugeben, dass dieser Furcht ja kein selbstbewusstes und einladendes Christentum entgegentritt. Religionen, wie etwa dem Islam, begegnet man als Christ nicht mit dem Hochziehen einer Mauer, sondern mit Dialogbereitschaft und Interesse. Wie soll man aber einem radikalen Islamismus begegnen? Da kann man doch nur Mauern hochziehen?

Ich rede nicht von der politischen Frage, sondern davon, wie man sich begegnen kann. Bei der letzten Bischofskonferenz hatten wir den Erzbischof von Homs zu Gast. Er berichtete von der schlimmen Situation der Kirche in dem Land. Ein Bischof fragte dann, ob man als Christ da nicht klare Kante zeigen müsse. Die Antwort des Bischofs war bewegend: Nein, gerade in dieser Situation müsse man mit Respekt, Versöhnungsbereitschaft, Liebe und Dialog beginnen. Das Evangelium ließe gar nichts anderes zu.

Hierzulande spielt in den öffentlichen und privaten Gesprächen Glaube eine immer geringere Rolle. Die Reaktion nicht weniger Christinnen und Christen ist eher die Flucht ins Private. Religion gehört für sie nicht ins öffentliche Bekenntnis. Viele wissen auch nicht um den Glauben der anderen. Auch andere wissen nicht um meinen Glauben und das, was und wer mich im Leben trägt. Mission steht für viele für Gewalt und Intoleranz. Damit möchte man nichts mehr zu tun haben. Gleichzeitig hoffen wir, dass Gott auch andere Wege findet, Menschen zum Heil zu führen, als nur mittels der christlichen Religion. Also warum missionieren? Peinlich ist es oft allemal, seinen Glauben öffentlich zu zeigen. Und in welcher Form? Wie die Zeugen Jehovas von Tür zu Tür zu gehen, war nie eine vielversprechende Methode. Großaktionen sind eher ein Strohfeuer ohne Langzeitwirkung. 

Die französischen Bischöfe haben vor Jahren ein sehr beeindruckendes Dokument veröffentlicht, das sich mit der Frage der Glaubensweitergabe beschäftigt. „Den Glauben anbieten“, haben sie es genannt. Ich meine, dass es aktuell bleibt. Dabei stellen sie drei Punkte heraus, die die kirchliche Praxis sehr selbstkritisch unter die Lupe nehmen. 

1. Bevor wir unsere Antworten aus dem Glauben formulieren, müssen wir zunächst einmal die Fragen der Menschen hören. Offenbar kritisieren die Bischöfe eine bestimmte kirchliche Verkündigungspraxis, die meint, es genüge, in zeitloser Sprache die alten Antworten zu wiederholen, ohne dass jemand wirklich auf die Fragen der Menschen hört. Natürlich haben wir eine Botschaft, die für alle Zeiten gilt, weil sie auf Fragen des Menschen antwortet. Aber die Fragen kommen heute anders als vor 100 Jahren, und die Antworten müssen so sein, dass Menschen spüren, dass man ihre Fragen ernst nimmt, und nicht nur als Aufhänger, das loszuwerden, was man auch ohne die Fragen sagen würde. Es muss also zu einem wirklichen Gespräch kommen. Vielleicht müssen wir auch akzeptieren, dass sich in manchen Menschen keine dezidiert religiösen Fragen mehr regen. Es bleibt eine spannende Aufgabe der Seelsorge, hier am Ball zu bleiben. Wenn heute immer mehr Menschen nichts mehr von der Kirche erwarten, sollten wir die Schuld nicht nur bei ihnen suchen. Es kann manchmal auch daran liegen, dass von uns nur wenig Hilfreiches kommt, oder dass Menschen heute zunehmend misstrauisch werden, wenn man sie in fertige Antworten hineinpresst. Eine zeitgemäße Verkündigung, die von den Fragen ausgeht, das fordern die Bischöfe. Denn sie sind davon überzeugt, dass auch die Kirche sehr viel von den Menschen lernen kann, die noch nicht glauben. 

2. Glaube überträgt sich nicht durch Sätze, sondern durch Erfahrungen, die man mit dem Glauben machen kann. Fragen Sie sich selbst, warum Sie glauben. Bei den wenigsten wird es das religiöse Wissen sein, das sie begeistert, sondern die Erfahrungen der Gottesdienste, der Gemeinschaft, die Begegnung mit glaubwürdigen Menschen. Erfahrungen, dass Gott nahe ist. Dass man dann auch mehr über die Inhalte des Glaubens wissen möchte, versteht sich von selbst. Die Bischöfe aus Frankreich stellen die selbstkritische Frage, wo dann Jugendliche etwa noch ihnen gemäße Glaubenserfahrungen sammeln können? Gemeinden, so die Bischöfe, müssen mehr Möglichkeiten geben, Erfahrungen von Gemeinschaft und der Schönheit des Glaubens zu machen. In unseren neuen Pfarreien und Pastoralräumen im Bistum können es auch andere Kirchorte als die traditionellen Ortsgemeinden sein, aber wir müssen etwas riskieren und ausprobieren. Und was die Glaubwürdigkeit angeht, ist jeder in die Pflicht genommen. Dass die Kirche hier viel aufzuarbeiten hat, erfahren wir in diesen Zeiten ja wirklich schmerzlich genug. 

3. Mission sind nicht die großen Aktionen. Natürlich hilft manchem die Erfahrung eines Weltjugendtags, in der Suche nach der eigenen Berufung weiterzugehen. Ich meine allerdings, dass anderes prägender ist. Es sind die kleinen Dinge, die den Alltag von glaubenden Menschen in der Nachfolge Jesu prägen sollten. Die Bischöfe nennen Lebenseinstellungen wie Bescheidenheit gegen die Habsucht, Engagement gegen die Gleichgültigkeit. Christinnen und Christen sind Menschen der Hoffnung in einer Welt, die oft keine Perspektive mehr sieht. Sie sind gefragt, wenn es um das Geschenk des Lebens geht, das heute immer mehr machbar, planbar und damit unmenschlicher wird. In einem Brief aus dem zweiten Jahrhundert, als das Christentum noch eine kleine Minderheit ist, formuliert der Autor sein bescheidenes christliches Selbstbewusstsein: Christen leben als Zeitgenossen, sie unterscheiden sich nicht durch Kleidung und Gewohnheit. Sie nehmen am Leben der Gesellschaft teil. Aber sie töten ihre Kinder nicht und setzen sie nicht aus. Sie teilen ihren Tisch, aber nicht wahllos das Bett. Was die Seele im Leib, das sind die Christen für die Welt. Der Verfasser wusste, dass Mission, das Angebot des Glaubens an andere, nicht Sache einzelner Experten und Expertinnen ist, sondern Sache jedes Glaubenden. Und irgendwann, davon war er überzeugt, fragt jemand nach: Warum lebst du so?

Wenn wir den Glauben anbieten, dann ist Mission weder peinlich, noch gefährlich. Weil wir das leben, was wir glauben, ohne große Parolen und ohne großes Getue. Mission respektiert die Freiheit, und sie bleibt gelassen, weil Gott viele Wege kennt, Menschen auf seinen Weg zu führen. Wenn jemand gefragt würde: warum bist du Christ, sollte er eine gute, klare Antwort haben. Ich würde antworten, weil in keiner Religion Gott dem Menschen so nahegekommen ist und so nahe bleibt, wie Gott in Jesus Christus. Das möchte ich anderen gerne anbieten. 

Heute feiern wir diesen Tag im Haus der kirchlichen Berufe, wir danken für die Berufung, die Gott jungen Menschen schenkt. Wir verabschieden mit großer Dankbarkeit einige, die Menschen auf ihrer Suche nach der eigenen Berufung begleitet haben, und wir begrüßen andere, die in diese Aufgabe gehen. Sie alle helfen bei der Mission, der Sendung der Kirche, indem sie genau das tun, was Papst Leo gesagt hat: „Wir müssen gemeinsam nach Wegen suchen, wie wir eine missionarische Kirche sein können, eine Kirche, die Brücken baut, den Dialog pflegt und stets offen ist, alle mit offenen Armen aufzunehmen.“ Wenn es in diesem Haus immer mehr gelingt, und auch in den wissenschaftlichen Ausbildungsstätten, Menschen zu gesprächsfähigen Zeuginnen und Zeugen auszubilden, zu Menschen der Offenheit und des Dialogs, sehe ich mit Hoffnung und Dankbarkeit in die Zukunft.