Predigt zum Requiem für Papst Franziskus am 26. April 2025, 18.00 Uhr im Mainzer Dom:Das Hören ist immer der Beginn eines Weges

Wir beten heute für einen großen Papst, und mehr noch, für einen großen Menschen, einen großen und inspirierenden Christen. In den Nachrufen der vergangenen Tage ist von vielen seine Liebe zu den Menschen hervorgehoben worden. Besonders seine Liebe zu den Menschen am Rande fällt auf: Wir sehen ihn in Lampedusa, wo er an Tausende ertrunkene Flüchtlinge erinnert. Er hat damals eine mich noch heute berührende Predigt gehalten: Über die vergessene Fähigkeit um diese Menschen zu trauern. Wenn ich an die Härte mancher heutigen politischen Debatten denke, würde ich gerne ermutigen, sich diese Predigt nochmals in Erinnerung zu rufen. Bei allen notwendigen Entscheidungen in vielen Fragen geht es immer um den einzelnen Menschen und seine Würde.
Wir sehen den verstorbenen Papst kniend vor Gefangenen, denen er am Gründonnerstag die Füße wäscht. Zu Gefangenen hatte er offenbar eine besondere Sympathie, noch am vergangenen Gründonnerstag hat er schwerkrank ein Gefängnis besucht. In einem Interview hat er diese Sympathie einmal erklärt: Immer, wenn er ein Gefängnis besuche, denke er, auch du könntest dort gefangen sein. Niemand hatte zu Beginn seines Lebens eine Garantie dafür, einen geraden Weg zu gehen.
In Rom hat er Maßnahmen ergreifen lassen, die den vielen Wohnungslosen und Armen rund um den Petersdom ein Stück Würde zurückgab: Zuwendung, Nahrung, Kleidung, Duschen.
Dieser Papst konnte deutlich werden, wenn es um die Würde der Menschen am Rande ging. Man könnte viele Beispiele nennen. Auch sein persönlich bescheidener Lebensstil überzeugte viele. Er sorgte sich um die Zukunft der gemeinsamen Erde, die die eine Menschheitsfamilie bewohnt.
Er sprach sich für einen radikalen Pazifismus aus, der manchen auch irritierte. Ich vermute, er hätte manchem Kritiker seiner Friedensbotschaft entgegnet, ob dieser denn wirklich glaube, mit Gewalt und Gegengewalt, durch Drohungen und Säbelrasseln ließe sich ein dauerhafter und gerechter Frieden herstellen.
In der schweren Frage der Aufarbeitung sexualisierter Gewalt in der Kirche musste er sicher, wie viele, schmerzvolle Lernschritte gehen.
Er hat eine neue Kultur der Diskussion und des Miteinanders in der Kirche angeregt, er wollte eine synodale Kirche, die nicht vom Machtgefälle zwischen Oben und Unten geprägt ist, sondern vom gemeinsamen Auftrag, das Evangelium in Tat und Wort zu verkünden.
Er kannte die Theologie, war aber kein weltenthobener Gelehrter. Gerade hierzulande hat er manche Reformerwartung enttäuscht, was nicht nur an ihm liegen muss. Es kann auch an einer Erwartung liegen, die den weltkirchlichen Auftrag eines Papstes missversteht oder auch missverstehen will. Der Papst „vom Ende der Welt“ hat uns Deutschen ziemlich deutlich gemacht, dass unsere Wünsche und Meinungen nicht der alleinige Schlüssel zum kirchlichen Weltverständnis sind.
Die Weltsynode hat allerdings gezeigt, dass viele geringgeschätzte Themen keine allein deutschen oder westeuropäischen Themen sind. Es gehörte seitens des Papstes viel Mut dazu, einen derartigen synodalen Prozess zu beginnen. Das Risiko ist er eingegangen, und er hat neben viel Zustimmung viel Kritik und Widerstand aushalten müssen, wie auch in anderen Fragen.
Wir alle sind nun eingeladen, nicht über einen Nachfolger zu spekulieren, sondern um einen guten Nachfolger zu beten, der, so Gott will, die eingeschlagenen Wege weitergeht. Papst Franziskus hat den Zusammenhang zwischen Glauben und Leben überzeugend verkörpert. Das haben auch viele Kommentare hervorgehoben. Heute Abend lohnt es sich neben allen sozialen und ethischen Fragen auch seine Botschaft des Glaubens zu betrachten, die mindestens genauso vielfältig ist. Er hat einmal gesagt: „Solange es in den Büchern bleibt, ist das Leben immer einfach, aber inmitten der Winde und Wellen des Alltags ist es etwas ganz anderes.“ Mit seinen Themen der Barmherzigkeit und der Vergebung hat er uns immer wieder – manchmal provozierend – in das Zentrum der Botschaft Jesu geholt. Er hat oft von der Freude am Glauben gesprochen, von der Freude am Evangelium. Christinnen und Christen erfreuen sich nicht an der Schönheit der Sprache des Glaubens oder der biblischen Texte, sie lassen sich ergreifen vom Wort Gottes. Die Freude drängt dazu, dieses Wort zu leben, es aus den Regalen zu holen und ins Leben zu übersetzen. Das Wort Gottes bleibt kein toter Buchstabe, es soll lebendiges Wort werden.
In seiner letzten Enzyklika „Dilexit nos“ – „er hat uns geliebt“ hinterlässt uns Papst Franziskus sein Glaubensvermächtnis. Das Wort Gottes ist kein toter Buchstabe, es ist eine lebendige Person, Jesus Christus selbst. In ihm zeigt uns Gott seine unendliche Liebe, er schenkt uns sein Herz. Die Enzyklika ist ein sehr persönlicher Text zur Herz-Jesu-Verehrung. Und es ist Aufgabe und Chance derer, die an Christus glauben, der Welt und den anderen Menschen ebenfalls das Herz zu öffnen. Es ist an uns allen, dass das Wort nicht in den Büchern bleibt. Für Papst Franziskus war der Glaube eine Quelle der Freude. Er hat darüber einen großen Text mit dem Titel „Evangelii Gaudium“ – „Die Freude des Evangeliums“ geschrieben: „Ich lade jeden Christen ein, gleich an welchem Ort und in welcher Lage er sich befindet, noch heute seine persönliche Begegnung mit Jesus Christus zu erneuern oder zumindest den Entschluss zu fassen, sich von ihm finden zu lassen, ihn jeden Tag ohne Unterlass zu suchen. Es gibt keinen Grund, warum jemand meinen könnte, diese Einladung gelte nicht ihm, denn niemand ist von der Freude ausgeschlossen, die der Herr uns bringt. … Hier bin ich wieder, um meinen Bund mit dir zu erneuern. Ich brauche dich. Nimm mich noch einmal in deine erlösenden Arme.“
Liest man den Text des Papstes, so geht es jedenfalls mir, erfasst mich eine eigenartige Unruhe. Vieles kann ich sofort unterschreiben. Die Realität unserer Kirche ist oft wenig von dieser Freude geprägt: Gewohnheiten und Traditionen lassen wir nur ungern in Frage stellen, unterschiedliche Gruppen in der Kirche streiten geradezu unversöhnlich. Wir sind schon sehr mit uns selbst beschäftigt. Das betrifft ja nicht nur die großen Themen, über die gestritten wird. Wie schwer ist es für manches Seelsorgeteam, ihre Gemeinden zusammenzubringen. Und hier legt der Papst schon einen Finger in die Wunde. Wir können es uns nicht mehr leisten, uns permanent selbst zu bespiegeln. Er ruft uns weg von unseren scheinbar so wichtigen kircheninternen Themen und ruft, die Menschen in den Blick zu nehmen, die das Evangelium nicht kennen. Es geht nicht um die Bewahrung von Strukturen, sondern um den aktiven, gelebten Glauben – durch mich. Wenn das gelingt, werden sich Strukturen finden. Das „man müsste“ ist eine starke Versuchung. Das geht nicht mehr. Auch das hat etwas mit der inneren Freude des Glaubens zu tun.
Die Zeiten sind vorbei, in denen jemand sagen konnte, für die und die Aufgabe gibt es Zuständige. Für die Verkündigung des Glaubens ist der Pfarrer oder ein anderer Hauptamtlicher zuständig. Nein, jeder kennt Menschen, denen das Evangelium noch unbekannt ist. Ist unser Glaube dann Thema?
Es geht nicht mehr um den Erhalt von Gemeinden, sondern um den suchenden Menschen in unseren Städten und Dörfern.
Es geht nicht mehr um Traditionen allein, sondern um das Neue des Glaubens. Alle Ebenen der Kirche wurden vom Papst aufgemischt. Als Reaktion zum deutschen Synodalen Weg hatte uns Papst Franziskus am 29.06.2019 einen Brief geschrieben, der insgesamt wenig beachtet wurde. Es ging in diesem Brief im Wesentlichen um diesen Auftrag der Weitergabe des Evangeliums, nicht als Methode, sondern aus der persönlichen Freude am Glauben heraus. Dieses Vermächtnis sollten wir lebendig halten.
Papst Franziskus war ein betender Mensch. Wir sahen ihn oft im Gebet, besonders vor langen und schwierigen Reisen in der Kirche Santa Maria Maggiore, in der er auch begraben ist. Gebet war für ihn nicht eine Leistung. Beten hieß für ihn, Liebe auszudrücken. Er hat einmal gesagt: „Wenn wir anbeten, entdecken wir, dass das christliche Leben eine Liebesgeschichte mit Gott ist.“
Beten war für ihn Hören. Hier ist die Verbindung zur Synodalität in der Kirche. Die Kirche findet dann einen gemeinsamen Weg, wenn sie gemeinsam auf das Angebot der Liebe hört, und dann dem anderen Menschen mit der Haltung des Interesses und des Zuhörens begegnet.
Gebet war für Papst Franziskus eine Schule des Hinhörens. Einmal hat er es so formuliert: „Das Hören ist immer der Beginn eines Weges. Der Herr verlangt von seinem Volk dieses Hören des Herzens, eine Beziehung zu ihm, dem lebendigen Gott.“
Und er sprach einmal davon, dass wir ein „kniendes Herz“ bräuchten. Ein betender Mensch öffnet sich so Gott und dem Nächsten. Hier zeigt sich der Zusammenhang zwischen Glauben und Leben, zwischen Betrachtung und Aktion, auch zwischen Gebet und politischer Wirksamkeit der Kirche. Dieses trennen zu wollen, ist ein Verrat am Evangelium und dem Lebensbeispiel Jesu. Vieles gäbe es noch zu sagen über das spirituelle Erbe unseres verstorbenen Papstes.
Sein Begräbnisort zeigt seine Liebe zu Maria, der Mutter Jesu, unserer Mutter. Sein Schreiben über die Freude am Evangelium schließt Papst Franziskus mit einem Gebet zur Gottesmutter:
„Jungfrau und Mutter Maria,
vom Heiligen Geist geführt
nahmst du das Wort des Lebens auf,
in der Tiefe deines demütigen Glaubens
ganz dem ewigen Gott hingegeben.
Hilf uns, unser » Ja « zu sagen
angesichts der Notwendigkeit, die dringlicher ist denn je,
die Frohe Botschaft Jesu erklingen zu lassen.
Erwirke uns nun einen neuen Eifer als Auferstandene,
um allen das Evangelium des Lebens zu bringen,
das den Tod besiegt.
Gib uns den heiligen Wagemut, neue Wege zu suchen,
damit das Geschenk der Schönheit, die nie erlischt,
zu allen gelange.
Stern der neuen Evangelisierung,
hilf uns, dass wir leuchten
im Zeugnis der Gemeinschaft,
des Dienstes, des brennenden und hochherzigen Glaubens,
der Gerechtigkeit und der Liebe zu den Armen,
damit die Freude aus dem Evangelium
bis an die Grenzen der Erde gelange
und keiner Peripherie sein Licht vorenthalten werde.
Mutter des lebendigen Evangeliums,
Quelle der Freude für die Kleinen,
bitte für uns.
Amen. Halleluja!
In den Armen des Auferstandenen möge Papst Franziskus nun die wahre Freude erfahren, die uns allen verheißen ist.
Es gilt das gesprochene Wort