Predigt zu Allerheiligen im Hohen Dom zu Mainz am 1. November 2025:Heilige sind Menschen, denen Gott heilig ist.

Er ist absolut verehrungswürdig, er steht über allem, ist in allem. Diesem heiligen Gott verdanken sich die Menschen. Wer an ihn glaubt, erkennt ihn als Schöpfer, als Herrn des Lebens, als Fundament und Quelle des eigenen Lebens und des Lebens aller Welt und der Menschen an.
Der Religionswissenschaftler Rudolf Otto hat die Erfahrung Gottes als heiligem Gott als „fascinosum und tremendum“ beschrieben, als faszinierend und erschreckend. In Gottes Gegenwart zu leben, hat er damit als Spannung charakterisiert. Gott ist einerseits „tremendum“, d.h. er löst Ehrfurcht aus, Gott ist immer größer als menschliches Denken, er entzieht sich jeder menschlichen Verfügbarkeit, für manchen ist er auch eine dunkle und unbeschreibliche Macht. Gleichzeitig ist er „fascinosum“ – faszinierend. Er kann Menschen begeistern, fesseln, er ist Liebe, Licht, Motivation, Hoffnung und Leben. Diese Spannung sollten wir nicht auflösen: Ist er nur faszinierend, kann er schnell für menschliche Zwecke ausgenutzt werden. Ist er nur der Unnahbare, verlieren wir die Bindung an ihn. Wenn wir Gott als den Heiligen anerkennen, leben wir in dieser Spannung mit ihm.
„Gott, du allein bist heilig, dich verehren wir, wenn wir der Heiligen gedenken.“ Der heilige Gott wird sichtbar. Gott macht sich erkennbar, erfahrbar, berührbar. Er wird Mensch in seinem Sohn Jesus Christus. Seine Heiligkeit lebt er aus, indem er Menschen mit Gott in Berührung bringt, indem er heilt, in die Nachfolge ruft, Schuld vergibt, und deutlich macht, dass er die Menschen als seine Geschwister sieht und ihnen Würde als Kinder Gottes zuspricht. Und immer wieder spricht er vom Anspruch Gottes an uns, seine Kinder. Jesus ist als Gottes Sohn der Heilige schlechthin. Das ist für mich ein Schlüssel, Jesus zu verstehen. Er ist ganz menschlich bei mir, gleichzeitig ist Gott in ihm ganz bei uns, bei mir. Heilig sein heißt damit nicht, weltfremd und fern der Menschen zu sein, ganz im Gegenteil.
Allerheiligen feiern wir, obwohl Gott allein der Heilige ist. Doch es hat immer Menschen gegeben, die sich von ihm haben faszinieren ließen, die ihn als ihren Gott anerkannten. Sie haben sich von Jesus in die Nachfolge rufen lassen. Für sie war Gott die Quelle des Lebens. Sie haben ihn bezeugt, haben sein Wort gelebt. Damit haben sie die Welt heller und lebenswerter gemacht. Sie haben den Menschen Gott nähergebracht. Heilige, die wir heute verehren, haben ihn ausgestrahlt. Aber nicht in einem weltfremden Sinn, sondern im Sinne der Nachfolge Jesu; indem sie heilten, Menschen Würde gaben, den Anspruch Gottes einforderten. Die Heiligen wussten und lebten, dass Gott einen Anspruch an den Menschen hat, dass Glaube immer Gabe, Geschenk und Aufgabe gleichzeitig ist. Sie haben die Liebe gelebt und bezeugt, die Gott ist. Und manchmal mussten sie auch die Dunkelheit aushalten, die auch Glaubenden nicht erspart bleibt. Gott verbirgt sich auch den Heiligen. Aber das hat sie nicht davon abgehalten, ihren Glauben zu leben und zu bezeugen. Und Heilige gibt es auch heute. Wir schauen nicht nur in die Vergangenheit.
Vielleicht war das jetzt sehr abstrakt und theoretisch. Vor Monaten waren Jugendliche im Bistum Mainz eingeladen, sich mit der Frage zu befassen: Was ist mir heilig, was bedeutet mir Heiligkeit? Dazu wurden Bilder gemalt und Texte geschrieben. Die Jugendlichen, die sich beteiligt haben, wurden konkret: Heilig waren ihnen Liebe, Gerechtigkeit, Umwelt, Gemeinschaft und Frieden. Leben ist ihnen heilig. Damit sind sie, so glaube ich, nicht fern vom heiligen Gott. Denn ich bin davon überzeugt, dass diese Dinge auch Gott heilig sind. Das Leben ist Gott heilig, Liebe, Gerechtigkeit, Schöpfung, Gemeinschaft und Frieden sind Gott heilig. Der Mensch ist Gott heilig. Die Jugendlichen haben sich über diese Begriffe Gedanken gemacht. Frieden war ihnen mehr als ein Schweigen der Waffen, Friede ist für sie ein innerer Frieden, ein Glück, die Erfahrung von Geborgenheit und Geliebt-Sein. Ohne Gemeinschaft wollen sie nicht leben, aber Gemeinschaft muss gestaltet und gelebt werden. Sie erleben sich als einen Teil der Schöpfung, die man nicht ausbeuten soll. Sie haben Ehrfurcht vor der Vielfalt der Menschen und der Vielfalt des Lebens. Diese Jugendlichen haben sich dazu bekannt, sich für das einzusetzen, was ihnen, und was Gott heilig ist. Damit sind sie auf einem guten Weg, selbst Heilige zu sein. Sie haben mich eingeladen, darüber nachzudenken, wer und was mir denn heilig ist.
Einen Menschen, dem nichts heilig ist, kann ich mir kaum denken, ein Heiliger wird dieser Mensch jedenfalls nicht werden. Heilige sind Menschen, denen Gott heilig ist, denen Menschen und Welt heilig sind. Es geht nicht um moralische Höchstleistungen, sondern der liebende Blick auf die Menschen, die Welt, die Schöpfung. Heilige wollen Frieden, Gerechtigkeit, Gemeinschaft, Glück für andere, Leben in Fülle, für sich und für andere. Und sie setzen sich im Rahmen ihrer oft kleinen Möglichkeiten dafür ein. Keiner wird heilig sein, der Menschen verachtet, der andere schädigt, der andere verachtet und ihnen die Würde abspricht. Keiner wird heilig, der die Schöpfung zerstört, sich auf Kosten anderer bereichert und sie ausbeutet und benutzt.
Das heutige Fest lädt uns ein, Gott groß zu halten. Es ermutigt uns, selbst heilig zu werden und zu sein, indem wir die Menschen und die Welt heilighalten, die uns anvertraut sind, mit denen wir auf dem Weg sind. Christinnen und Christen sollten Menschen sein, denen jemand, denen etwas heilig ist. Damit verändern wir die Welt im Sinne Gottes. In uns kann so der allein heilige Gott erfahrbar und erlebbar werden. Lebendige Menschen werden zum Beweis seiner Gegenwart in diese Welt. Das können wir alle sein.
Es gilt das gesprochene Wort.