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Predigt in der Eucharistiefeier am Hochfest der ohne Erbsünde empfangenen Jungfrau und Gottesmutter Maria / Seminarfeiertag:Katholisch in unserer Zeit: Berufung, Offenheit und Zusammenhalt

Mariendarstellung in der Augustinerkirche Mainz
Dieses Hochfest heute ist ein wahrhaft katholisches Fest. Manchmal verabschieden wir uns im Freundeskreis mit dem Wunsch: „Bleib katholisch.“ Die Antwort ist oft: „Ich versuche es.“ Das wünsche ich Ihnen heute: Bleiben Sie katholisch.
Datum:
Mo. 8. Dez. 2025
Von:
Bischof Peter Kohlgraf

Heute feiern wir die Berufung der Gottesmutter und damit auch unsere eigene Berufung. Der heutige Tag hat mich angeregt, darüber nachzudenken, was denn heute katholisch ist. Meine alltäglichen Erfahrungen zeigen, dass für viele nicht mehr die Abgrenzung zu den evangelischen Glaubensgeschwistern entscheidend ist. Ich bin auch der Meinung, dass dies richtig ist. Denn im Bemühen, den Glauben an Christus in dieser Welt lebendig zu bezeugen, sitzen katholische und evangelische Christinnen und Christen in einem Boot. Heute geht es darum, den Kern des Christlichen in dieser Welt lebendig zu halten. Die konfessionellen Unterschiede verstehen viele innerhalb der Kirche nicht mehr, schon gar nicht mehr außerhalb der Kirchen. Immer wieder muss ich heute über mich und andere Bischöfe in Deutschland lesen, dass wir nicht mehr katholisch seien. Ich kann Ihnen versichern, dass dies Unsinn ist. Ein Spalt geht eben auch durch unsere/meine katholische Kirche. Manche machen katholisch-sein daran fest, dass es eine von den Themen der Zeit und den Entwicklungen unberührte Wahrheit gibt, die zu jeder Zeit unverändert verkündet werden muss. Den Andersdenkenden gegenüber tritt man mit dem Anspruch auf, Recht zu haben. Meistens wird das Evangelium auf wenige Kontroversthemen reduziert, die zum Kontrollkriterium über den rechten Glauben werden. Ja, es gibt eine unveränderliche Wahrheit, es gibt Gott, der über allem steht, es gibt den Glauben an Jesus Christus; wer ihn sieht, sieht den Vater. Es gibt den Heiligen Geist, der Herr ist und lebendig macht, wie es im Glaubensbekenntnis heißt. Es gibt die eine heilige, katholische und apostolische Kirche, die nicht heilig ist, weil wir so gute Menschen sind, sondern weil in ihr das Wort Gottes verkündet und die Sakramente gefeiert werden, in denen Gott die Menschen berührt. Katholisch ist nicht der, der den anderen die Glaubenswahrheiten und die Morallehre wie einen Lappen um die Ohren haut, sondern der versucht, den anderen Menschen zu verstehen. Und dann wird sich die Art der Verkündigung verändern. Sie wird nicht nur belehren, sondern in ein Gespräch eintreten mit anderen. Heute schauen wir auf Maria, die Mutter Jesu, des Sohnes Gottes. Maria ist diejenige, die eine besondere Berufung hat, die auf Gottes Wort hört und ja zu ihrer Berufung sagt. Und immer schauen wir im Bistum Mainz auf den heiligen Martin, unseren Patron und Fürsprecher. Wenn wir diese beiden in den Mittelpunkt stellen, wird deutlich, dass es in den Herausforderungen und Umbrüchen unserer Zeit um mehr geht als um Geld, Gebäude und Personal. Es geht um die Frage: Wie bleiben wir heute katholisch, wie bleiben wir heute nahe beim Willen Gottes und an unserer Sendung in diese Welt hinein.

1. Wir verstehen katholisch sein nicht in der Abgrenzung, sondern als Einladung zum Gespräch. Vor 60 Jahren wurde die Konzilskonstitution Gaudium et spes beschlossen. Dort ist der große Satz formuliert, der auch heute für kirchliches Leben entscheidend ist: „Freude und Hoffnung, Trauer und Angst der Menschen von heute, besonders der Armen und Bedrängten aller Art, sind auch Freude und Hoffnung, Trauer und Angst der Jünger Christi. Und es gibt nichts wahrhaft Menschliches, das nicht in ihren Herzen seinen Widerhall fände. Ist doch ihre eigene Gemeinschaft aus Menschen gebildet, die, in Christus geeint, vom Heiligen Geist auf ihrer Pilgerschaft zum Reich des Vaters geleitet werden und eine Heilsbotschaft empfangen haben, die allen auszurichten ist. Darum erfährt diese Gemeinschaft sich mit der Menschheit und ihrer Geschichte wirklich engstens verbunden.“ Wir sind Teil dieser Welt, und haben doch eine Botschaft, die weit über diese Welt reicht. Viele Menschen erleben heute offenbar nicht mehr, dass ihre Lebenserfahrungen sich in der Verkündigung der Kirche niederschlagen. Aber wir stehen nicht für eine abgehobene Wahrheit, sondern für einen Glauben, der sich im Alltag zeigen und niederschlagen muss. Besonders der heilige Martin, der auf dieser zweijährigen Pilgerreise war, steht auch dafür, dass es kein Katholisch-sein ohne die gelebte Nächstenliebe geben kann.

2. Es geht heute darum, dass Glaubende ihren Weg als wirkliche Berufung erfahren und gestalten. Berufung wurde über Jahrhunderte ausschließlich auf Priester und Ordensleute bezogen. Jeder und jede hat aber eine eigene Berufung. „In der Taufe wird einem Menschen zugesagt, dass sein Leben unter der unverbrüchlichen Zusage der Liebe Gottes steht. Bevor wir aktiv werden, hat Gott durch Christus im Heiligen Geist längst an uns gehandelt. Der Getaufte gehört nicht erst dann zur Gemeinde Jesu Christi, wenn er in ihr eine Aufgabe übernimmt. Die Taufe ist auch missverstanden, wenn man sie ausschließlich als ein punktuelles Ereignis begreift und ihre (…) Entfaltung im Leben des Getauften ausblendet. Was Gott einem Menschen in der Taufe ein für alle Mal zugesagt hat, das will täglich aufs Neue realisiert werden.“ So heißt es in einem Text der deutschen Bischöfe aus dem Jahr 2015. (Gemeinsam Kirche sein). Heute katholisch sein kann bedeuten, die eigene Berufung zu suchen und zu leben. Christsein wir heute immer weniger aus Gewohnheit bestehen, sondern wird zunehmend zu einem bewussten Suchen nach dem eigenen Weg und zu einer persönlichen Entscheidung. Ich halte dies nicht für einen schlechten Weg. Ich will die Gelegenheit nicht versäumen, den vielen zu danken, die ihre Taufberufung gerade auch in den Ehrenämtern in der Kirche vor Ort leben, und die darin zeigen, was Berufung ist.

3. Katholisch sein muss den Horizont über den eigenen Kirchturm weiten. Manchem machen die neuen Strukturen größerer Pfarreien Sorge, sogar Angst. Ich will aber auf die Chancen verweisen. So sehr es verständlich ist, die eigene Glaubensidentität zu bewahren in den einzelnen Ortsgemeinden, so sehr kann man auch profitieren von den Gaben und Möglichkeiten der anderen Gemeinden. Ich sehe darin keinen Widerspruch. Einerseits möchte ich die Sorgen ernst nehmen, andererseits ist es mir wichtig, die Ängste zu lindern. Als Bischof erleben ich immer wieder auch die Chance einer größeren Weltkirche, deren Teil wir als Bistum sind, aber eben auch als einzelne Gemeinden und Pfarreien. Als Bistum Mainz haben wir bald den ersten Weihbischof in Deutschland mit einem außereuropäischen Hintergrund. Ich bin für diese Berufung von P. Joshy Pottackal sehr dankbar. Immer wieder wurde ich gefragt, wie ich die Zukunft der Kirche sehe. Meine Antwort war: kleiner und internationaler. Und ich will hinzufügen: entschiedener. Weltkirche ist für manchen auch negativ besetzt, sie verhindere Reformen. Aber katholisch sein heißt auch, sich mit den eigenen Gaben einfügen in ein größeres Ganzes – als Bistum in die Weltkirche, als Gemeinde in ein Bistum und eine neue Pfarrei mit allen Veränderungen. Dazu gehört das Vertrauen, dass Gott nicht aufgehört hat, seine Kirche zu begleiten und zu führen. Katholisch sein heißt auch, sich weiten und öffnen zu können. Es gehört zum heutigen „Zeitgeist“, die eigenen Erkenntnisse und Meinungen absolut zu setzen. Für mich heißt katholisch sein auch, damit zu rechnen, dass ich nicht im Recht bin, sondern dass die Meinung eines anderen für mich notwendig ist.

4. Vieles wäre zu sagen. Das wünsche ich Ihnen heute: Bleiben Sie katholisch. Und versuchen Sie in diesem Sinne, einladend und offen zu sein. Versuchen Sie, Ihre je eigene Berufung zu suchen und zu finden und dann im Sinne Mariens und des heiligen Martin zu leben. Versuchen Sie bei allen Schwierigkeiten den Blick über den eigenen Kirchturm und das eigene Ich. Den Menschen in diesem Haus wünsche ich diesen wahren katholischen Geist, katholisches Herz und Verstand. Die Fürsprache Mariens und des heiligen Martin werden Sie sicher begleiten.