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Predigt zur Diakonweihe:Menschen zu einem eigenen Zeugnis der Freude und Hoffnung ermutigen

Datum:
Sa. 7. Juni 2025
Von:
Peter Kohlgraf, Bischof von Mainz

„Die Freude am Herrn ist eure Stärke“ – diesen Vers aus dem Buch Nehemia haben Sie sich als Motto für Ihre Weihe ausgewählt. Nehemia hat die Aufgabe übernommen, nach der Zerstörung durch die Babylonier die Trümmer der Stadt Jerusalem wieder aufzubauen und eine schützende Stadtmauer zu bauen, die dann binnen 52 Tagen fertiggestellt werden konnte. Das Buch Nehemia vermittelt eine hoffnungsvolle Sicht in die Zukunft. Wer Mut macht, eine Stadt aus Trümmern neu zu bauen, hat Hoffnung in die Zukunft.

Sie, lieber Weihekandidat, werden geweiht im Heiligen Jahr der Hoffnung. Als Pilgerinnen und Pilger der Hoffnung dürfen wir unterwegs sein. Sie werden nicht Diakon in einer völlig zertrümmerten Welt, und auch die Kirche ist bei allen Schrammen und Wunden nicht völlig am Boden zerstört. Und dennoch gibt es Trümmer, Leid, Krieg, Hoffnungslosigkeit – in der Welt, in der Gesellschaft, in der Kirche und im Leben vieler Menschen. Es gibt vieles, was Kirche tut in der Gesellschaft, um Hoffnung zu geben und Menschen zu begleiten und zu stärken.

Nehemia lässt sich von den Trümmern nicht lähmen und entmutigen. Er sieht eine Zukunft für Jerusalem, die heilige Stadt. Für ihn ist das Vertrauen auf Gott die Quelle seiner Hoffnung auf eine Zukunft, die er und andere mitgestalten sollen. Ich ermutige Sie heute, Bote und Zeuge der Hoffnung zu sein, die Menschen Mut macht, neue Anfänge zu setzen. Sie werden wirklicher Seelsorger sein, der mit Menschen Wege geht, die hoffnungsvoll in die Zukunft weisen. Eine Ihrer Hauptaufgaben wird sein, Menschen Mut zu machen, ein Leben in Fülle zu suchen und im Glauben an Christus zu finden. Die Freude an Gott ist der Grund der Hoffnung, damals bei Nehemia, und heute bei Ihnen. Sie laden uns ein, über die Freude am Glauben nachzudenken, diese Freude neu zu suchen und so hoffnungsvoll die Zukunft zu gestalten.

Der verstorbene Papst Franziskus hat immer wieder über die Freude am Glauben, die Freude am Evangelium nachgedacht. Immer wieder hat er die Realität beschrieben, die an die zerstörten Mauern Jerusalems erinnert: Die Realität unserer Kirche ist oft wenig von dieser Freude geprägt. Gewohnheiten und Traditionen lassen wir nur ungern in Frage stellen, unterschiedliche Gruppen in der Kirche streiten geradezu unversöhnlich. Wir sind schon sehr mit uns selbst beschäftigt. Das betrifft ja nicht nur die großen Themen, über die gestritten wird. Wie schwer ist es für manches Leitungsteam, ihre Gemeinden zusammenzubringen. Und hier legt der verstorbene Papst Franziskus mit dem Hinweis auf die Freude am Glauben und am Evangelium schon einen Finger in die Wunde. Wir können es uns nicht mehr leisten, uns permanent selbst zu bespiegeln. Er ruft uns weg von unseren scheinbar so wichtigen kircheninternen Themen. Er ruft dazu auf, Menschen in den Blick zu nehmen, die das Evangelium nicht kennen. Es geht nicht um die Bewahrung von Strukturen, sondern um den aktiven, gelebten Glauben – durch mich und durch Sie alle. Wenn das gelingt, werden sich Strukturen finden. Und spätestens jetzt wird es durchaus auch ungemütlich. Es gibt keine Christin, keinen Christen, der nicht zuständig wäre. Das „man müsste“ ist eine starke Versuchung. Das geht nicht mehr. Auch das hat etwas mit der inneren Freude des Glaubens zu tun. Die Zeiten sind vorbei, in denen jemand sagen konnte, für diese und jene Aufgabe gibt es allein Zuständige. Für die Verkündigung des Glaubens ist der Pfarrer, der Gemeindereferent oder die Gemeindereferentin oder der Diakon zuständig. Nein, jeder kennt Menschen, denen das Evangelium noch unbekannt ist. Ist unser Glaube dann Thema? Es geht nicht mehr vorrangig um den Erhalt von Gemeinden, sondern um den suchenden Menschen in unserem Umfeld. Es geht nicht mehr vorrangig um Traditionen, sondern um das Neue des Glaubens. Als Diakon werden Sie die verantwortungsvolle Aufgabe haben, Menschen auf einem persönlichen Glaubensweg zu begleiten, zu unterstützen und zu einem eigenen Zeugnis der Freude und der Hoffnung zu ermutigen. So können wir heute die Mauern Jerusalems wieder aufbauen.

Nehemia sagt: die Freude an Gott ist unsere Stärke. Er macht Mut, Zukunft zu gestalten. Dieser Glaube und das Vertrauen auf Gott bleiben nicht im unverbindlichen Gefühl. Grundlage ist das Wort Gottes, das Nehemia den Menschen neu anbietet. Das Wort Gottes mit seinen Verheißungen und seinen Ansprüchen gleichermaßen. Als die Menschen damals das Wort Gottes neu hören, weinen sie. Sie spüren, dass sie etwas vermisst haben, dass ihnen bisher die Quelle der Freude verborgen war. Eine der Hauptaufgaben des Diakons ist die Verkündigung des Wortes Gottes. Vielleicht hat die Menschen damals weniger der vorgelesene Text berührt, als die Ahnung, dass Nehemia selbst von diesem Text und seinem Inhalt berührt war. Das Gesetz, das er neu vorlegt, ist für ihn und die Menschen offenkundig mehr als eine Ansammlung von Verboten und Geboten. Es ist die Zusage der Liebe und Treue Gottes, es ist Orientierung und ein Licht im Dunkeln. Als Diakon werden Sie das Wort Gottes verkünden, und es wird dann andere berühren, wenn Sie selbst berührt sind, wenn auch für Sie die Heilige Schrift Quelle der Hoffnung und Freude wird, die mehr ist als Gesetze und Gebote. Gott hat viele Möglichkeiten, zum Menschen zu sprechen. Aber er gibt uns ein Wort, das im Rahmen der unendlichen Weltgeschichte so kurz, so unscheinbar ist, aber doch alles enthält, was Gott zu sagen hat. Millionen Jahre Weltgeschichte: Und doch ist in den dreiunddreißig Lebensjahren Jesu alles enthalten, was Gott uns sagen will. Er ist ein Gott mit uns. Er möchte bei uns sein, trägt unsere Krankheiten und Leiden, möchte Licht in das Dunkel unserer Welt bringen. Die beste Predigt braucht mindestens die Bereitschaft des Hörers, etwas mitzunehmen, sich ansprechen zu lassen. Dass Gottes Botschaft in Jesus Christus manchmal nicht angenommen wird, liegt nicht immer nur am bösen Willen der Menschen heute. Menschen erleben unsere Verkündigung manchmal als nichtssagend und unglaubwürdig. Die biblische Botschaft wird möglicherweise wieder dann zu uns reden, wenn wir neu beginnen, uns mit dem einen Wort Gottes, mit Jesus, seinem Leben und Vorbild zu beschäftigen, wenn wir in Jesus einen wirklichen Gesprächspartner entdecken. Wir werden nicht im Glauben weiterkommen, wenn wir nicht ständig das eine Wort Gottes, Jesus selbst betrachten und tiefer verstehen möchten. In ihm hat uns Gott alles gesagt, was er zu sagen hat. Er ist die glaubwürdige Zusage der Treue Gottes zu uns, die Sie bezeugen dürfen.

Nehemia steht für die Freude am Fest, an der Feier vor Gottes Angesicht. Als Diakon werden Sie an der Liturgie der Kirche mitwirken. Sie ist mehr als ein frommer Ritus, sie ist die Feier der Gegenwart Gottes. Christliches Leben, auch das Leben in einem kirchlichen Dienst darf sich nicht auf die Feier der Liturgie beschränken. Das ganze christliche Leben muss Liturgie sein. Liturgie bedeutet hier: Akt der Anbetung und Ganzhingabe an Gott: Das ganze Leben muss ein Eintauchen in die Geheimnisse des Glaubens sein. Erst dann bekommt die gefeierte Liturgie ihre Lebendigkeit und ihre Verortung. Wer nicht persönlich betet, wer nicht auch den ganz alltäglichen Dienst als Gottesdienst leben kann, braucht auch das Hochamt nicht zu mitzufeiern, es sei denn, ihm genügt die Einbalsamierung in feste Formen.

So sind Sie als Diakon zur Diakonie berufen, zum Zeugnis der Nähe zum Menschen. Johannes Chrysostomus (344-407), ein Theologe aus der Zeit der frühen Kirche, predigte einmal über die drei Jünglinge im Feuerofen, eine Geschichte aus dem Danielbuch. Dort sollen drei fromme Männer wegen ihres Glaubens verbrannt werden. Ein Engel steigt zu ihnen herab und kühlt sie, sie werden aus dem Ofen gerettet. Der Prediger deutet diese Erzählung: Der Engel ist jeder Glaubende, die drei stehen für die Armen im lebensbedrohlichen Feuer der Armut. „Steige in das Feuer herab. Bleibe nicht oben stehen und schaue zu.“ sagt er. Wirksame Hilfe geschieht in der Begegnung, dann, wenn sich die Kirche, der einzelne glaubende Mensch in die Berührung begibt. Hilfe gibt es nur, wo ich in das Feuer der Armut steige. Papst Franziskus hätte gesagt, Hilfe gibt es nur, wo jemand die Wunden auch berührt. Der Diakon ist in diese Form der Nachfolge und Zuwendung gerufen.

Liebe Frau Günther, Sie tragen diesen Weg mit und Sie werden mit Ihrem Mann dieses Glaubenszeugnis geben. Dafür sage ich Ihnen Danke. Seien Sie beide Zeuginnen und Zeugen der Hoffnung auf eine gute Zukunft, helfen Sie beide, Trümmer aufzubauen. Lassen Sie beide das Wort Gottes lebendig werden, gestalten Sie beide die Liturgie Ihres Lebens und Ihres Alltags. Und mögen Sie beide die Kraft haben, Menschen nahe zu sein und Wunden zu berühren. Für Ihren gemeinsamen Weg wünsche ich Ihnen Gottes Segen, und Freude am Herrn.