Predigt im Rahmen des Ökumenischen Friedensgebets, St. Paul, Offenbach, Donnerstag 08. Mai 2025, 19:00 Uhr:Mut zum Frieden

Heute ist weniger die Zeit dafür, Schwerter zu Pflugscharen umzuschmieden, als umgekehrt, aus Pflugscharen Schwerter zu machen. Man hatte gehofft, dass die Menschheit aus den Schrecken des II. Weltkriegs, der systematischen Vernichtung von Jüdinnen und Juden und anderen Gruppen gelernt hätte. Das vereinte Europa war einmal als Friedensprojekt gedacht, und es war mehr daraus entstanden als ein Traum. Daran hatten viele Menschen Anteil, die Hoffnung hatten auf eine neue Welt nach dem 8. Mai 1945. Viele entwickelten dieses Europa aus ihrem Glauben heraus, sie folgten den Friedensvisionen der Propheten.
Im Buch Micha finden wir eine derartige Vision auf eine bessere Welt. Menschen hatten nach dem Krieg den dringenden Wunsch, eine solche Vision wenigstens teilweise Wirklichkeit werden zu lassen. Diese Träume sind heute geplatzt, so hat es einmal Papst Franziskus beschrieben. Es fehlen heute die großen Horizonte für eine Welt des Friedens. Friede wird bestenfalls durch „Deals“ erreicht, wo die Schwächen des anderen noch für eigene wirtschaftliche Interessen ausgenutzt werden. Nationalismen machen sich breit, der Traum eines gemeinsamen Europa im Sinne von Menschenwürde und Verantwortung füreinander ist ausgeträumt. Heute hoffen manche auf eine gemeinsame europäische Idee im Sinne einer militärischen Gemeinschaft, Gemeinschaft militärischer Stärke. Kann das funktionieren, wenn die Vermutung des verstorbenen Papstes stimmen sollte, dass wir eine Verteidigung aufbauen in der Logik von Angst und gemeinsamen Misstrauen? Und dann lesen wir heute eine prophetische Vision aus dem Buch Micha.
„Frieden gabst du schon, Frieden muss noch werden.“ – So singen wir in einem geistlichen Lied. Auch unseren Lesungstext lesen wir zuerst als eine große, zukünftige Friedensvision. 1945 wäre die Chance für einen dauerhaften Frieden gewesen. Man hatte die Sinnlosigkeit des Krieges vor Augen, die Sinnlosigkeit von Hass und sinnloser Menschenverachtung.
Der Prophet macht uns, seinem Volk, Mut. Das Leben wird siegen, nicht der Tod, dem die Menschen durch Krieg und Vernichtung die Oberhand zu geben scheinen. Das Volk darf mutig in eine Zukunft des Friedens gehen – dem Augenschein zum Trotz. In dieser messianischen Vision wird endgültig abgerüstet: Schwerter werden wieder zu Pflugscharen umgeschmiedet. Es gab wohl Zeiten, in denen solche Visionen Menschen Mut gemacht haben, weil sie Horizonte eröffneten, die man in den Bedrängnissen der Zeit leicht vergessen konnte. Tatsächlich leben wir in einer Welt, die uns deutlich zeigt: Die messianischen Hoffnungen haben sich nicht erfüllt. Aufrüstung und gegenseitige Bedrohung, das Säbelrasseln und das Muskelspiel von Machthabern und deren tödlichen Waffen im Hintergrund nehmen wohl eher zu. Umso dringender ist die Kraft biblischer Visionen: Wir erheben nicht mehr das Schwert.
Bleiben die Visionen des Propheten weltfremde Bilder einer heilen Welt, die es niemals geben wird? Dann wären sie eher Ursache für Resignation. Oder Opium des Volkes, mit dem sich die Menschen in eine heile Welt träumen, während um sie herum die Waffen die eigentliche Realität darstellen.
Der niederländische Theologe Huub Oosterhuis geht in einem seiner Bücher genau auf diese Frage ein 1. Er versteht die Bibel als ein Buch unerbittlicher Hoffnung. Gott selbst steht auf Seiten der Opfer von Gewalt und gegen die Täter des Krieges. Er macht sich den Frieden zu seinem Anliegen. Er selbst stellt die Frage nach Recht und Gerechtigkeit, nach der Würde jedes einzelnen Menschen. Er selbst macht sich zum Anwalt des Menschen, der namenlos unter den vielen Toten von Gewalt und Krieg verbleibt. Und dann berichtet Huub Oosterhuis von einer konkreten Erfahrung: Er erzählt von zwei zwölfjährigen Kindern aus Bolivien, die in elenden Verhältnissen aufwachsen. Sie treten in einer Fernsehsendung auf mit dem Programm: „Wir kämpfen für eine gerechte Welt.“ Und der Autor fragt, wie es dazu kommen konnte, dass sich eine Vision in die Herzen dieser Kinder bahnt. „Diese Hoffnung war ihnen eingegeben“, sagt er und „sie strahlten diese unerbittliche Hoffnung aus.“2 Unser Prophetentext ist eine solche umfassende Vision einer unerbittlichen Hoffnung. Huub Oosterhuis schreibt dazu: „Diese Vision umspannt die ganze Weltpolitik, alle denkbaren Kriege und auch die zutiefst persönliche Aussöhnung von zwei Menschen miteinander. (…) Diese Vision ist von so großer Schönheit, weil sie viel mehr umfasst als nur dein eigenes Glück allein. (…) Sie ist jung wie der morgige Tag und alle Tage neu.“3
Vielleicht spüren wir plötzlich, dass ein Prophetentext keine berauschende Vertröstung ist, sondern eine Energie werden kann, die dazu hilft, selbst immer wieder neu zu werden, aufzubrechen in eine Welt des Friedens, im Kleinen wie im Großen. „Sie strahlten diese unerbittliche Hoffnung aus.“ Mögen die biblischen Visionen auch uns verändern und damit unsere Welt.
Es gilt das gesprochene Wort.
1 Huub Oosterhuis, Im Anfang war die Hoffnung. Worte von Widerstand und Zuversicht, Stuttgart 2016, bes. 29-31.
2 S. 30.
3 Ebenda.