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Predigt beim Pontifikalamt am Hochfest Auferstehung des Herrn Dom zu Mainz, Ostersonntag, 20. April 2025, 10.00 Uhr:Ostern, das Fest der Hoffnung

Mainzer Dom an Ostersonntag
Natürlich bedrängt mich das Thema des Friedens. Besonders in diesem Jahr will ich die Hoffnung auf einen gerechten Frieden nicht aufgeben. Diesen Frieden wird es nicht durch „Deals“ geben, sondern nur, wenn gerechte Lösungen gesucht werden. Ich sehe gerade in diesen Tagen, wie absurd zum Beispiel der Krieg Russlands gegen die Ukraine ist. Zwei Gruppen von Menschen, die sich in diesen Tagen vielleicht auch „Frohe Ostern“ wünschen, stehen sich hier gegenüber. Menschen, die in den Gottesdienst gehen und hören, dass Christus auferstanden ist und seine Jüngerinnen und Jünger aussendet, sein Licht weiterzugeben. Und dann wird geschossen, auf Brüder und Schwestern. Ich bete in diesen Tagen dafür, dass bei so manchem Verantwortlichen das Gewissen wach werden möge.
Datum:
So. 20. Apr. 2025
Von:
Bischof Peter Kohlgraf

„Die Hoffnung lässt nicht zugrunde gehen“ – unter diesem Leitwort hat nach dem letzten Weihnachtsfest das Heilige Jahr begonnen. Nun feiern wir Ostern, das Fest der Hoffnung schlechthin. Der Papst wünscht uns allen, dass wir wieder mit Hoffnung in die Zukunft blicken können. Das Wort Gottes solle uns helfen, persönliche Hoffnungsgründe in dieser Welt und in dieser Zeit zu finden. Heute feiern wir den Sieg des Lebens über den Tod, den Sieg des Lichtes über die Finsternis. Ein stärkeres Fundament der Hoffnung kann es wohl nicht geben. In schwierigen Zeiten hat der Apostel Paulus einmal mit starken Worten seinen Glauben formuliert: „Was kann uns scheiden von der Liebe Christi? Bedrängnis oder Not oder Verfolgung, Hunger oder Kälte, Gefahr oder Schwert? […] Doch in alledem tragen wir einen glänzenden Sieg davon durch den, der uns geliebt hat. Denn ich bin gewiss: Weder Tod noch Leben, weder Engel noch Mächte, weder Gegenwärtiges noch Zukünftiges noch Gewalten, weder Höhe noch Tiefe noch irgendeine andere Kreatur können uns scheiden von der Liebe Gottes, die in Christus Jesus ist, unserem Herrn.“ (Röm 8,35-39). Es gibt nichts, was uns von der Liebe des Auferstandenen trennen kann, das ist für den Apostel sein Glaubens- und Hoffnungsfundament, das ihn leben lässt. Wie viele Menschen haben sich in den Jahrhunderten des Christentums von diesem Glauben tragen lassen. Weder die Zeitgenossinnen und Zeitgenossen Jesu waren Träumende, sie kannten die Höhen und Tiefen des Lebens. Auch war der Glaube an den Sieg des Lebens über den Tod keine jenseitige Vertröstung, er half unzähligen Menschen, die Wirklichkeit nicht nur auszuhalten, sondern aktiv im Glauben zu gestalten. Viele solcher Glaubenszeugnisse sind uns erhalten. Es sind die Lebensgeschichten großer Glaubenszeuginnen und Glaubenszeugen, aber es sind auch Lebenszeugnisse sogenannter „kleiner“, normaler Menschen.

Ich möchte nicht in einer Zeit gelebt haben, von der etwa ein Historiker in einem Buch erzählt. Er rekonstruiert die Lebensgeschichte einer hessischen Bauersfamilie im 16. und 17. Jahrhundert. Zum Alltag dieser Familie gehören die Hungersnöte: Wie oft verfault die Ernte auf den Feldern, plündernde Soldaten vernichten regelmäßig die materielle Lebensgrundlage, die Angst vor der Pest ist allgegenwärtig, jedes zweite Kind überlebt die ersten Lebensjahre nicht. Staunend fragt der Historiker nach den Kraftquellen dieser Familie, die immer wieder neu angefangen hat. Und er weiß nur die eine Antwort zu geben: der Himmel war allgegenwärtig, die Leute glaubten fest daran, dass es gut weitergeht. Und diese Hoffnung, mehr noch, diese feste Überzeugung gab ihnen Kraft, weiter zu leben und immer wieder neu zu beginnen. Dieser Glaube wurde gefeiert in den Gottesdiensten, in denen sie die Speise des ewigen Lebens empfingen, in denen sie das Wort Gottes hörten, das ihnen die Augen öffnete für Gottes Lebenskraft. Der Glaube, dass nichts sie von der Liebe des Auferstandenen trennen kann, hat vielen Menschen die Kraft gegeben, nicht verzweifelt die Hände in den Schoß zu legen, sondern weiter zu gehen. Der Historiker nennt sein Buch: „Die verlorenen Welten“. Tatsächlich ist uns diese Perspektive weitgehend verloren gegangen. Damit aber auch für viele Menschen die Fähigkeit, über das Alltägliche, das Machbare und Planbare hinauszuschauen. Wie arm wird damit aber oft der Alltag, wie hoffnungslos jeder Schicksalsschlag. Die Kirche müsste der Raum dieser großen Sehnsucht sein, der weiten Perspektive auf die Ewigkeit, auf eine Liebe, die im Leben und im Tode trägt.

Der Papst spricht im Heiligen Jahr davon, dass wir Pilgerinnen und Pilger der Hoffnung sein sollen. Der Osterglaube bewährt sich, indem wir Wege gehen. Auch die Osterzeugen des ersten Tages werden losgeschickt. Sie sollen den Glauben und ihre Erfahrungen weitererzählen. Die frühchristliche Gemeinde wird sich als Gemeinschaft auf dem Weg beschreiben. Denn sie sind davon überzeugt, dass sie eine österliche Aufgabe in dieser Welt haben. Dass der Auferstandene auch in dieser Zeit die Wege der Menschen mitgeht, dass uns auch heute nichts trennen kann von seiner Liebe. Ich bin diese Tage gefragt worden, welche Hoffnung das Osterfest in diesen Zeiten geben könne. Natürlich ist der Glaube an den Sieg des Lebens über den Tod keine einfache Lösung für alle konkreten Probleme dieser Welt. Aber er ist für mich eine starke Motivation, die Welt mitgestalten zu wollen, dass sich das Licht des Auferstandenen durchsetzen kann, das oft klein ist. Aber was wäre, wenn ich nicht anfangen würde, diesem Licht Raum zu geben? Ohne diesen Glauben würde mir die wichtigste Perspektive und Ermutigung fehlen.

Natürlich bedrängt mich das Thema des Friedens. Besonders in diesem Jahr will ich die Hoffnung auf einen gerechten Frieden nicht aufgeben. Diesen Frieden wird es nicht durch „Deals“ geben, sondern nur, wenn gerechte Lösungen gesucht werden. Ich sehe gerade in diesen Tagen, wie absurd zum Beispiel der Krieg Russlands gegen die Ukraine ist. Zwei Gruppen von Menschen, die sich in diesen Tagen vielleicht auch „Frohe Ostern“ wünschen, stehen sich hier gegenüber. Menschen, die in den Gottesdienst gehen und hören, dass Christus auferstanden ist und seine Jüngerinnen und Jünger aussendet, sein Licht weiterzugeben. Und dann wird geschossen, auf Brüder und Schwestern. Ich bete in diesen Tagen dafür, dass bei so manchem Verantwortlichen das Gewissen wach werden möge. Am schlimmsten ist es, wenn der christliche Glaube sogar als Rechtfertigung für Unterdrückung und Gewalt herhalten muss, und das gilt nicht nur für das genannte Beispiel.

Das Jahr der Hoffnung ermutigt uns, Leben weiter zu geben, nicht allein im biologischen Sinn. Der Papst erinnert daran, wie viele menschliche Beziehungen und Einschätzungen allein auf dem wirtschaftlichen Gesichtspunkt beruhen. Wir sind berufen, Beziehung zu leben, Versöhnung zu stiften, Menschen zu werden, die zusammenführen und nicht spalten. Leben kann dort entstehen, wo gerade Menschen ohne Stimme und Lobby durch uns eine Zuwendung erfahren, die ihnen etwas von der Liebe zeigt, die uns geschenkt ist. Die Welt braucht jedes einzelne persönliche Glaubenszeugnis in Tat und Wort. Viele Menschen werden durch kein Glaubensfundament mehr getragen. Sie mögen nichts vermissen. Vor diesem Hintergrund hat der Autor Tomáš Halík einmal geschrieben, wie nahe er sich als Priester oft den Atheisten fühlt: Gott ist oft so fern, Gott schweigt, der Tod scheint zu siegen. Und diese Erfahrung bedrängt auch den glaubenden Christen. Was den Priester Halík von manchem Atheisten unterscheidet, sagt er, ist die Geduld und die Hoffnung. Er ist nicht fertig mit dem Geheimnis Gottes, er trägt das Geheimnis Gottes mit sich. Wenn Gott beweisbar wäre, wäre er nicht Gott, dann wäre er menschliches Konstrukt. Der bewusste Atheist aber hat sich endgültig entschieden. Habe Geduld, die Frage offen zu halten, sagt er. Wenn es Gott gibt, wenn Christus auferstanden ist, ist es doch auch für dich eine großartige Perspektive. Und was verlierst du, wenn du das Geheimnis offenlässt und nicht vorschnell beantwortest? Ich bin persönlich unendlich dankbar, dass ich glauben darf. Ich will mir wenigstens die Frage offenhalten und ich glaube, dass es eine Gesellschaft bereichern würde, wenn die Menschen ebenfalls nicht aufhören würden, nach Gott und dem Auferstandenen zu fragen. Denn wir brauchen auch als Gemeinschaft ein Fundament der Hoffnung in diesen Zeiten. Das kann nicht allein meine persönliche Glückssuche sein. „Die Hoffnung lässt nicht zugrunde gehen“ – heute dürfen wir neu diese Hoffnung ergreifen, feiern, und dann leben. Möge der Auferstandene und nahe sein und bleiben, so dass uns nichts scheiden kann von seiner Liebe, die uns in ihm geschenkt ist.