Predigt zur Eröffnung der bundesweiten Eröffnung der Weihnachtsaktion Adveniat im Hohen Dom zu Mainz, Sonntag, 30. November 2025:„Rettet unsere Welt – Zukunft Amazonas“

Mit einer gewissen Ernüchterung blicken wir auf die eher zaghaften Ergebnisse der letzten Klimakonferenz in Belém; wirksame Maßnahmen zum Klimaschutz werden immer wieder verschoben, ökonomische Interessen behalten den Vorrang. In diesem Jahr erinnern wir an zehn Jahre Enzyklika Laudato si’ von Papst Franziskus, der prophetische Themen gesetzt hat, die leider nichts an Aktualität verloren haben. Gerade in diesem Text werden die globalen Zusammenhänge zwischen Umweltzerstörung, Gesundheit, Armut, Kriegen und Migration deutlich herausgestellt.
In den aktuellen politischen Debatten scheint mir, dass diese globalen Zusammenhänge nicht wahrgenommen, zumindest aber nicht ausdrücklich thematisiert werden. Die Zögerlichkeit bei der Übernahme unserer Verantwortung für die Schöpfung hat nach Papst Franziskus auch mit einer mangelhaften Sicht auf den Menschen zu tun. In der Enzyklika wird dies ausdrücklich angesprochen:
„In der Moderne gab es eine große anthropozentrische Maßlosigkeit, die unter anderer Gestalt heute weiterhin jeden gemeinsamen Bezug und jeden Versuch, die sozialen Bande zu stärken, schädigt. Deswegen ist der Moment gekommen, der Wirklichkeit mit den Grenzen, die sie auferlegt und die ihrerseits die Möglichkeit zu einer gesünderen und fruchtbareren menschlichen und sozialen Entwicklung bilden, wieder Aufmerksamkeit zu schenken. Eine unangemessene Darstellung der christlichen Anthropologie konnte dazu führen, eine falsche Auffassung der Beziehung des Menschen zur Welt zu unterstützen. Häufig wurde ein prometheischer Traum der Herrschaft über die Welt vermittelt, der den Eindruck erweckte, dass die Sorge für die Natur eine Sache der Schwachen sei. Die rechte Weise, das Konzept des Menschen als „Herr“ des Universums zu deuten, besteht hingegen darin, ihn als verantwortlichen Verwalter zu verstehen.“ (LS 116).
Die Maßlosigkeit und die Sünde gegen die sozialen Bande zeigt sich nicht nur im Umgang mit einer Natur, die manchmal als abstrakt empfunden wird, sondern auch in der Missachtung der indigenen Menschen, die die Adveniat-Aktion besonders in den Blick nimmt. Sie zeigt sich in der Ungleichheit der Menschen, besonders in den Städten, in der tiefen Kluft zwischen Arm und Reich, in der Spaltung zwischen unterschiedlichen gesellschaftlichen Gruppen, in den daraus entstehenden Fluchtbewegungen – und in vielen weiteren Themen. Hierzulande wie auch andernorts werden Strategien entwickelt, um Migranten fernzuhalten; an die Ursachen aber wagt man sich nicht heran. Vielleicht gelingt es der Adveniat-Aktion zu Beginn des Advents, hier eine neue Sensibilität zu wecken, die den Menschen und nicht den wirtschaftlichen Erfolg in den Mittelpunkt stellt.
„Es ist Zeit, aufzustehen vom Schlaf“, mahnt uns die zweite Lesung aus dem Brief des Apostels Paulus an die Gemeinde in Rom. Manchmal sind es eher radikale Gruppen, die diesen Weckruf aussprechen. Christinnen und Christen tun dies nicht aus Angst, sondern aus Hoffnung: aus der Überzeugung, dass es sich lohnt, etwas zu verändern. Sie verstehen sich als Menschen, die nicht nur den Zeigefinger heben, sondern Liebe und Respekt gegenüber den Mitmenschen und der Schöpfung stärken.
„Ich will, dass ihr Angst habt“, sagte vor einigen Jahren Greta Thunberg. Ich glaube, dass der christliche Zungenschlag ein anderer ist: „Ich will, dass ihr Hoffnung habt“ – das wäre die Botschaft des Glaubens. Und dennoch gilt: Wir müssen aufstehen. Wachsein bedeutet im Sinne von Laudato si’ und der Adveniat-Aktion, die Zusammenhänge zu sehen und ernst zu nehmen: die Zusammenhänge zwischen Ungerechtigkeit und Unfrieden, zwischen Ausbeutung der Schöpfung und Missachtung von Menschen und ihren Rechten, zwischen der Zerstörung von Lebensgrundlagen und Fluchtbewegungen. Hoffnung aber heißt: Wir können etwas verändern.
An meinem Wecker befindet sich eine sogenannte Snooze-Taste, die ich zugegebenermaßen gerne benutze. Das Aufstehen wird dadurch um neun Minuten hinausgezögert – am Ende aber muss ich doch aufstehen. Manchmal habe ich den Eindruck, dass die Menschheit insgesamt immer wieder auf eine solche globale Snooze-Taste drückt. Heute erreicht uns aber der Ruf, vom Schlaf aufzustehen. Die Lesung aus dem Römerbrief erwartet von uns, „die gegenwärtige Zeit zu erkennen“. Wir sollen die Augen nicht vor der Wirklichkeit verschließen. Gerade der Glaube an Gott und das Bewusstsein, Teil seiner Schöpfung zu sein, ist kein „Opium des Volkes“, keine Betäubung, sondern ein Wecker, ein Weckruf, der uns mahnt, die Wirklichkeit nicht zu verdrängen.
Heute würde ich mit Papst Franziskus und mit Papst Leo sagen, dass die vorwiegend ökonomische Sicht auf die Wirklichkeit und die daraus resultierenden politischen Entscheidungen jene Betäubungsmittel sind, die uns in trügerischer Sicherheit wiegen. Es ist Zeit, vom Schlaf aufzustehen, indem wir uns nicht von Geld und dem Nutzen der Schöpfung und anderer Menschen blenden lassen, sondern uns von ihrer Würde leiten lassen.
Wir sollen „die Werke der Finsternis ablegen und die Waffen des Lichts anlegen“, mahnt der Text aus dem Römerbrief. Das zeigt sich konkret darin, dass wir alles Maßlose und rein Selbstbezogene ablegen. Die Adventszeit ist eine Einladung, uns Gott, dem Nächsten und der Schöpfung neu zuzuwenden und unseren Platz zu suchen – als Teil eines Ganzen, als Teil einer gemeinsamen Heimat, die von Gott geschaffen und geliebt ist.
Die Adveniat-Aktion zeigt uns, dass die christliche Botschaft immer auch eine politische Dimension besitzt: Sie mahnt zu Maßhalten, Gerechtigkeit, Solidarität, Nächstenliebe und zum Einsatz für Menschen am Rande sowie für unser gemeinsames Haus. All das gehört zum Wesen des Christentums. Gleichzeitig ist der Glaube an den Schöpfer und an den Gott und Vater aller Menschen die geistliche Quelle, aus der Hoffnung und Mut erwachsen können. Papst Franziskus nimmt nicht nur den fernen Nächsten in den Blick; vielmehr muss die geistliche Ökologie vor Ort Gestalt gewinnen:
„Wir müssen wieder spüren, dass wir einander brauchen, dass wir eine Verantwortung für die anderen und für die Welt haben und dass es sich lohnt, gut und ehrlich zu sein. Wir haben schon sehr viel Zeit moralischen Verfalls verstreichen lassen, indem wir die Ethik, die Güte, den Glauben und die Ehrlichkeit bespöttelt haben, und es ist der Moment gekommen zu merken, dass diese fröhliche Oberflächlichkeit uns wenig genützt hat. Diese Zerstörung jeder Grundlage des Gesellschaftslebens bringt uns schließlich um der Wahrung der jeweils eigenen Interessen willen gegeneinander auf, lässt neue Formen von Gewalt und Grausamkeit aufkommen und verhindert die Entwicklung einer wahren Kultur des Umweltschutzes.“ (LS 229)
Der Papst ermutigt zu einem Leben, das sich nicht in fröhlicher Oberflächlichkeit erschöpft, sondern wo jeder Mensch seine Verantwortung und seine Möglichkeiten wahrnimmt.
Adveniat ist nicht nur eine Spendenaktion. Sie will Bewusstsein schaffen, Verantwortung wecken und an den Anspruch Gottes wie auch an die Würde von Mensch und Umwelt erinnern. Niemand ist von dieser Pflicht entbunden. Es ist nicht nur für andere die Zeit gekommen, vom Schlaf aufzustehen. Der diesjährigen Adveniat-Aktion ist ein gutes Gelingen zu wünschen. Möge sie an die unveräußerliche Würde von Mensch und Umwelt erinnern und Mut machen – zum Beten und zum Handeln.