Interview zum neu geplanten Gesetz:Veränderte Bedürfnisse, Verlust von Gedenkkultur | Das neue Bestattungsgesetz für Rheinland-Pfalz

Rheinland-Pfalz möchte sein Bestattungsgesetz ändern. Unter anderem soll die Sargpflicht im Land wegfallen. Erlaubt werden sollen durch die Novelle auch Bestattungen in größeren Flüssen wie Rhein, Mosel und Lahn. Zudem soll es möglich sein, aus Asche von Verstorbenen synthetische Diamanten fertigen zu lassen. Im Vorfeld gab es kontroverse Debatten um den Gesetzentwurf. Befürworter begrüßen die geplante Novellierung, weil sie dem Wandel der Bestattungskultur und den veränderten Wünschen und Bedürfnissen Rechnung trage. Kritisch sehen unter anderem die Kirchen, dass ihr ein Stück Bestattungs- und Gedenkkultur verloren geht. Der Landtag wird sich mit dem Gesetzentwurf in seiner Sitzung nach der Sommerpause im September befassen und es aller Voraussicht nach beschließen. Wir haben mit dem Mainzer Bischof Peter Kohlgraf über den Gesetzentwurf gesprochen.
Herr Bischof, wie stehen Sie zu diesem Gesetzentwurf, der die Bestattungsregeln in Rheinland-Pfalz neu regeln möchte?
Zunächst möchte ich auf die positiven Seiten des Gesetzes eingehen, die ich als Bischof sehe. Es ist gut, dass sich die Regierung mit diesen Fragen befasst und es ist Aufgabe der Politik, die Bedarfe und Bedürfnisse von Menschen ernst zu nehmen. Die Individualisierung von Bestattungen ist in den letzten 20, 30, 40 Jahren massiv vorangeschritten und darauf muss, denke ich, Politik reagieren.
Das zweite ist die Berücksichtigung der sogenannten Sternenkinder, das heißt, dass auch ungeborene Kinder jetzt wirklich als Personen im Sinne des Bestattungsgesetzes gewürdigt werden und auch beerdigt werden können. Das ist in meinen Augen ein großer Fortschritt, auch im Sinne der Trauerbegleitung der Eltern. Denn wie stark geht das an die Substanz der Eltern, sich von einem solchen Kind verabschieden zu müssen? Da ist wichtig, dass wir das ernst nehmen und begleiten.
Das sind die positiven Seiten, die Sie am neuen Gesetz sehen. Was sehen Sie kritisch?
Was uns Bauchschmerzen macht, ist die Frage der Gedenkkultur, denn eine ausschließliche Individualisierung heißt auch, eine öffentliche Gedenkkultur geht verloren. Das ist aus meiner Sicht ein Schaden. Wir als Kirchen hätten uns gewünscht, dass das Gesetz vor dem Hintergrund einer gesellschaftlichen Debatte vorbereitet worden wäre. Denn es betrifft alle. Sterben werden wir alle. Wir erleben regelmäßig, dass wir uns von Menschen verabschieden müssen, da ist die Frage nach Trauer, nach Trauerbegleitung, nach Trauerkultur, nach Gedenkkultur auch eine Frage der Kultur einer Gesellschaft. Das halte ich nicht für banal. Neben der Trauerkultur steht auch die Frage nach der Menschenwürde und der Einmaligkeit der Person, die ja auch in einer Kultur der Bestattung zum Ausdruck kommt. Inwieweit findet sie in einer Beerdigungsform einen angemessenen Ausdruck?
Was macht für Sie den Unterschied aus zwischen einer Bestattung auf einem Friedhof und dem, was dann an individueller Bestattungsform möglich sein soll?
Wenn ich auf einen öffentlichen Friedhof gehe, und das tue ich eigentlich immer, auch wenn ich im Urlaub bin, lese ich Namen, sehe zum Teil Gesichter, sehe Frömmigkeitsgeschichte und Gedenkkultur. Da sind Menschen, die manchmal noch nach 100 Jahren präsent sind. Diese Verstorbenen sind also nicht vergessen. Für Gott sowieso nicht, denn wir glauben, dass diese Menschen bei Gott leben. Aber für uns Menschen hier auf der Erde sind sie so präsent. Was passiert jetzt durch eine Individualisierung? Dieses öffentliche Gedenken geht verloren. Und ich denke auch an den weiteren Freundes- und Kollegenkreis? Wo ist deren Ort der Trauer, wenn die Asche der Verstorbenen, des Verstorbenen in einer Urne einer Privatwohnung steht? Auch eine Flussbestattung hat am Ende keinen Ort des Gedenkens mehr.
Was bedeutet diese Individualisierung der Bestattungskultur für die Pastoral?
Ich glaube, es ist Aufgabe der Seelsorge schon zu Lebzeiten mit Menschen ins Gespräch zu kommen über ihre Wünsche, Jenseits- und Trauervorstellungen und wie sie sich ihre Beisetzung vorstellen und welche Möglichkeiten es gibt. Also die Frage, wie kann man Menschen begleiten, dass sie nicht vorschnell eine Entscheidung treffen, die viele der Hinterbliebenen am Ende vielleicht bereuen? Denn eine reine Privatisierung und Individualisierung wird, glaube ich, einem menschlichen Leben mit den vielen Beziehungen, den Netzen, in denen ein Mensch gelebt hat, auch nicht gerecht.