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Predigt am Pfingstsonntag im Hohen Dom zu Mainz, 08. Juni 2025:„Viele verstehen die Sprache der Kirche nicht mehr. Zufriedengeben dürfen wir uns damit nicht.“

Bunte Hände umfassen sich
„Wir alle hören sie in unseren Sprachen reden.“ – das ist die Erfahrung des Pfingstfestes. Die Menschen in der Kirche erfahren sich als ein „Wir“, als eine Gemeinschaft, über alle Grenzen und menschengemachte Unterschiede hinweg. Man kann nach diesem roten Faden im Neuen Testament suchen und wird schnell fündig.
Datum:
So. 8. Juni 2025
Von:
Peter Kohlgraf, Bischof von Mainz

Die Völker, die in der Pfingstgeschichte genannt werden, finden in Christus ihre Einheit, obwohl sie ansonsten nicht nur in friedlichen Beziehungen zueinander stehen. In Christus aber verstehen sie sich in einer Tiefe, die nicht menschengemacht ist.

Die Pfingstgeschichte zeigt die weltweite Kirche als das gelungene Modell einer friedlichen Welt. Alle Völker und Nationen sind vereint in dem einen Glauben. So könnte die Welt nach Gottes Willen sein. Alle sprechen die eine Sprache. Der Apostel Paulus konkretisiert diese Wirklichkeit im dritten Kapitel des Galaterbriefes: „Denn alle seid ihr durch den Glauben Söhne (und Töchter) Gottes in Christus Jesus. Denn ihr alle, die ihr auf Christus getauft seid, habt Christus angezogen. Es gibt nicht mehr Juden und Griechen, nicht Sklaven und Freie, nicht männlich und weiblich; denn ihr alle seid einer in Christus Jesus.“

Immer wieder spricht Paulus von der Kirche als Leib, einem geordneten Organismus, in der jeder/jede jeden braucht, um leben und glauben zu können. Auf niemanden kann verzichtet werden, jeder und jede ist für den Glauben und das Leben des anderen unverzichtbar.

Pfingsten feiert das „Wir“ der unterschiedlichen Menschen in der einen Kirche. Das ist eine prophetische, zeitkritische Botschaft für unsere Welt. Denn auch ohne den religiösen Hintergrund zu bemühen, kann die Menschheit nur überleben, wenn sie nach dem „Wir“ sucht und Wege des Miteinanders findet. Oft genug aber geht es um ein „Wir“ gegen „Die“, eine Mauer zwischen Menschen und nicht um die Suche nach Gemeinschaft. Dazu müssen wir uns nicht nur die großen Konflikt- und Kriegsherde anschauen. In der großen Politik dienen die anderen oft dazu, die eigenen Interessen zu bedienen. In scheinbar friedlichen Deals versucht man, die Not anderer für die eigenen Interessen auszunutzen. Politik ist nicht selten ein Machtspiel, um sich selbst groß zu machen. Tatsächlich sollten wir als Kirche dazu ein gelingendes Gegenmodell sein.

„Wir alle hören sie in unseren Sprachen reden". Gibt es noch das „Wir“ der Weltkirche? In den letzten Wochen nach dem Tod von Papst Franziskus und der Wahl von Papst Leo haben erstaunlich viele Menschen das Gefühl der Weltkirche erlebt – eine große Gemeinschaft in der Trauer, der Hoffnung und der Freude. Nicht nur überzeugte glaubende Menschen haben sich in Rom als dem Zentrum der römischen Weltkirche versammelt. Auch Vertreterinnen und Vertreter der Weltpolitik kamen, und sie konnten erleben, wie es sein kann, wenn alle das Evangelium in einer Sprache hören und verstehen können.

Katholische Kirche ist Weltkirche – es gibt keine deutsche Kirche, keine afrikanische Kirche. Vielmehr gibt es die eine Kirche in Deutschland, in Afrika, in Amerika, oder wo auch immer. Pfingsten ist da Vorbild.

Als ich noch Professor an der Katholischen Hochschule in Mainz war, hatten wir dort einen Gast aus der evangelischen Kirche, der im Ökumenischen Rat der Kirchen in Genf tätig ist. In diesem Rat sind viele Kirchen und kirchliche Gemeinschaften zusammengefasst, es werden dort viele Themen bearbeitet, die weltweit interessant und relevant sind: Themen des Glaubens, Friede, Gerechtigkeit, auch Themen der Umwelt.

Nicht selten scheitern dort Projekte an nationalen Interessen einzelner Kirchen. Manche Kirchen identifizieren sich etwa stark mit der Politik ihres Landes. Religiöse Identität ist dann gleichbedeutend mit nationaler Identität. Religiöse Identität dient aber auch zur Abgrenzung gegenüber anderen Menschen und Gruppen.

Der Gast aus Genf stellte den großen Reichtum gerade der katholischen Kirche heraus. Dieser besteht darin, dass sie Weltkirche ist. Das wird konkret in vielen Missionsprojekten sichtbar. Aber auch, indem ausländische Priester und Ordensfrauen bei uns arbeiten, dass wir zunehmend sogar hinschauen müssen, was wir von Christen anderer Länder lernen können. Manchmal geschehen da kleine Pfingstwunder. Oder sie deuten sich wenigstens an.

Ich erlebe aber manchmal auch anderes. Als ich nach einer Diakonenweihe in Mainz von einer Gruppe für die Ordination von Frauen Demonstrierenden zu diesem Thema befragt wurde, kam ein Einwand: „Kommen Sie mir nicht mit der Weltkirche“. Doch, als Bischof werde ich auch immer bei aller notwendigen Positionierung auch das weltkirchliche Argument mitbedenken müssen. Man kann die Weltkirche als Bremserin von Reformen sehen. Aber ebenso kann man sie als notwendiges Korrektiv erleben, als wichtige Gesprächspartnerin. Weltkirche kann auch die sein, die uns kritisiert, ermutigt, bestätigt und so in der Suche nach passenden Wegen weiterführen kann. Es gibt daher keinen einzigen Bischof in Deutschland, der einen deutschen Sonderweg sucht, wie oft aus bestimmten Kreisen vorgeworfen wird. Aber es gibt das Bemühen, auch die Sichtweisen der Gläubigen und der Gesellschaft in Deutschland in ein weltweites Gespräch einzubringen. Der Synodale Weg in Deutschland ist natürlich daran interessiert, sich als Teil einer Weltkirche mit den Themen der Menschen in Deutschland in ein weltweites Gespräch einzubringen.

„Wir alle hören sie in unseren Sprachen reden." Gibt es noch das „Wir“ der Kirche im Bistum Mainz? Die Kirche Jesu Christi lebt in den Teilkirchen, so auch bei uns im Bistum. Der Dienst der Einheit ist der wichtigste Dienst des Bischofs. In vielen Zusammenhängen mache ich die erfreuliche Erfahrung, dass es ein „Wir“-Gefühl noch gibt, wenn wir uns trauen, an die Quellen unseres Glaubens zu gehen. In den vielen Veränderungen geht es oft gar nicht mehr um Glaubensfragen. Aber die anstehenden Themen lassen sich davon auch nicht trennen. Wir werden Kirchen und andere Gebäude aufgeben. Wir sind mitten in diesen von verständlichen Emotionen – Trauer etwa – begleiteten Prozessen.

Die in allen Diözesen und auch evangelischen Landeskirchen laufenden Veränderungen sind zum einen der Veränderung der Gesellschaft geschuldet. Zum anderen ergeben sich die Veränderungen aus den zahlreichen Kirchenaustritten. Viele werden ihre guten Gründe haben. Auch vor diesem Hintergrund werden wir versuchen müssen, glaubwürdiger zu werden als Kirche von Mainz und Kirche in Deutschland. Aber jeder Kirchenaustritt hat auch Konsequenzen, der die Gestalt der Kirche verändern wird. Es wird Dörfer ohne Kirchtürme und kirchliche Zentren geben. Das wird auch unsere Gesellschaft nicht zum Guten verändern.

Wie können wir, die in der Kirche sind, zusammenbleiben, glaubwürdiger werden, einladender, missionarischer? Da stoßen unterschiedliche Meinungen und Vorstellungen aufeinander. Als Bischof ist es meine Aufgabe, diese Meinungen zu relativieren, auf die weltkirchliche Dimension der Einheit mancher Fragen hinzuweisen, auch wenn das Enttäuschung auslöst. Einheit in der Diözese muss auch bedeuten, dem Bischof zuzugestehen, dass er einen anderen und weiteren Blick hat als manche Gemeinde und mancher, der die eigene Glaubenserfahrung zum Maßstab für alle nimmt. Für mich wäre es ein großer Schritt zur Einheit, wenn wir von der Rede wegkämen: „die in Mainz – wir an der Basis“ oder „der Bischof in Mainz – wir hier.“

Kirche sein können wir auch im Bistum nur gemeinsam in verschiedenen Perspektiven, die erst zusammen ein Bild ergeben. Es wäre furchtbar, wenn der Bischof isoliert von den Gläubigen sein Amt wahrnehmen wollte. Auch dazu dienen die Schritte der Synodalität. Kirche sein können wir nur in Einheit und Gemeinsamkeit, unter Berücksichtigung der unterschiedlichen Glaubenserfahrungen. Bei aller Unterschiedlichkeit sollten wir das „Wir“ nicht aufgaben.

„Wir alle hören sie in unseren Sprachen reden.“ Gibt es noch das „Wir“ des Glaubens? „Wir glauben an den einen Gott“ – so beginnt in der deutschen Übersetzung das Credo, das im Gottesdienst gesprochen wird. Es geht auf die Konzilien von Nizäa und Konstantinopel zurück. In diesem Jahr feiern wir das 1700. Jubiläum des Konzils von Nizäa. In diesem Bekenntnis ist das zusammengefasst, was Christinnen und Christen von Beginn an zusammenbindet. Der Glaube an den Vater, der die Welt erschaffen hat, an den Sohn, der die Menschen erlöst, und an den Geist, der in der Kirche lebt und wirkt, und der Glaube an das ewige Leben.

Die letzte Umfrage der Kirchenmitgliedschaftsuntersuchung vor einigen Monaten belegt, dass längst nicht mehr alle Kirchenmitglieder diesen Glauben teilen. Was heißt das, wenn dieses „Wir“ des Pfingstfestes verloren ist? Damit ist der Kern unserer Botschaft in Gefahr. Es ist nicht belanglos, wenn die meisten unserer Gläubigen nicht mehr die Pfingsterfahrung teilen: „Wir hören sie in unseren Sprachen die machtvollen Taten Gottes verkünden.“ Viele verstehen die Sprache der Kirche nicht mehr. Zufriedengeben dürfen wir uns damit nicht. Vielmehr wird es zunehmend Menschen brauchen, die ihre Erfahrungen mit diesem Glauben mit denen teilen, die noch die Frage nach Gott und seiner Gegenwart stellen. Theoretische Erörterungen über Gott und den Glauben muss es geben, aber daneben braucht es das persönliche Zeugnis: Wo höre ich Gott sprechen, in meinem Leben, in meinem Umfeld, in meiner Kirche? Was trägt mich? Und vielleicht kann es so gelingen, Religion verstehbar zu machen, die für viele Menschen nur noch eine Fremdsprache ist – innerhalb und außerhalb der Kirche.

Heute öffnen wir uns dem Geist, der die vielen Völker und Glaubenserfahrungen vereint. Er lädt ein zum „Wir“ – in Kirche und Gesellschaft, mit Freunden und Fremden. Immer wieder möge es gelingen, neue Erfahrungen von Pfingsten zu erleben, mit Gottes Hilfe und mit unserer Offenheit.