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Predigt im Pontifikalamt zu Fronleichnam, am 19. Juni, Hoher Dom zu Mainz:Wem diene ich, wem folge ich, und welche Lebenshaltung folgt für mich daraus?

Fronleichnam 2023 Monstranzen
Heute am Fronleichnamsfest folgen wir dem Höchsten bis auf die Straßen unserer Städte und Dörfer. Und wir zeigen, dass er uns großmacht, dass Dienen und Folgen nicht demütigt, sondern uns aufrecht gehen und handeln lässt. Auch Jesus wollte allein dem Höchsten dienen. Für ihn hängt der Dienst an den Menschen damit eng zusammen. Er gibt sich hin, wofür am Ende das Brot und der Wein stehen, Zeichen der bleibenden Liebe und Hingabe.
Datum:
Do. 19. Juni 2025
Von:
Bischof Peter Kohlgraf

Melchisedek war Priester des höchsten Gottes und König von Salem heißt es in der heutigen Lesung. Mir ist aufgefallen, dass die Betonung auf „er dient dem Höchsten“ liegt.

In seinem vierbändigen Roman über den biblischen Josef beschreibt Thomas Mann, dessen Geburtstag sich am 6. Juni zum 150. Male jährte, Abraham als einen Mann, der sich nur damit begnügen wollte, dem Höchsten zu dienen. Keinem Menschen, keinem irdischen Herrscher, keiner Idee oder Ideologie wollte er dienen, sondern dem Höchsten allein. Darin zeigte sich der Stolz des Patriarchen. Er machte sich vor niemandem klein, sondern nur vor dem Höchsten. Mit weniger gab er sich nicht zufrieden. Diese Szene hat mich immer wieder beschäftigt. Immer wieder haben Herrscher und Ideologien dieser Welt Menschen in ihren Dienst gebracht. Menschen haben sich dabei erniedrigt, sie haben sich klein gemacht, um einer menschengemachten Idee zu huldigen, die sie am Ende zerstört. Der Roman ist zwischen 1933 und 1943 entstanden. Abraham steht in dem Roman wohl für viele, die nicht mehr zwischen dem Höchsten und einer im Grunde lächerlichen und doch unbeschreiblich furchtbaren Führerideologie unterscheiden konnten. In Abraham begegnet ein Mensch, der sich nur mit dem Höchsten zufriedengibt, menschliche Gestalten mit Führeranspruch sind ihm zu klein und armselig.

Auch in Melchisedek begegnet uns eine biblische Person, die Priester des Höchsten und König von Salem ist. Dieser König von Salem scheint auch jemand gewesen zu sein, der sich mit nichts Geringerem zufriedengibt als dem einen Höchsten zu dienen. Wer diesem Höchsten dient, begegnet anderen aufrecht, mit Würde, mit Selbstbewusstsein und Größe.

Die Evangelien, die den Glauben an Jesus als Sohn Gottes bezeugen, nennen den Dienst, in den Gott jemanden ruft, „Nachfolge“. Hinter irgendetwas oder jemandem sind wohl die meisten Menschen her: Ziele, Personen, Träume, Wünsche leiten das Denken und Handeln. Was gibt meinem und Ihrem Denken und Handeln die Richtung vor? Franz Kamphaus, der frühere Bischof von Limburg, hat es in einer Predigt einmal so formuliert: „Wir sind hinter allen möglichen Dingen her. Und haben wir das ersehnte Stück, steht es da, und schließlich müssen wir es abstauben.“ – Immer neue Ziele gibt es, ihnen wird alles Denken unterworfen, und am Ende merken wir, dass das Erreichte auch nicht das letzte Glück schenkt. Jedenfalls, so sagt es der verstorbene Bischof Kamphaus, ist unsere Gesellschaft nicht hinter Jesus her, und allein dem Höchsten zu dienen und zu folgen, ist ein zunehmend fremder Gedanke geworden. Über 80 Jahre alt ist der Roman von Thomas Mann, 20 Jahre alt ist die Predigt von Franz Kamphaus, und dennoch bliebt die Grundfrage aktuell: Wem diene ich, wem folge ich, und welche Lebenshaltung folgt für mich daraus? Damals hat Kamphaus folgendes festgestellt: An die Stelle des Glaubens, an den menschenfreundlichen Gott ist längst die gnadenlose Religion des Marktes getreten. Wir sind arm an Gütern, die nicht zu kaufen sind. Der Kommerz diktiert alle Lebensbereiche. Geld zählt mehr als Glaubensüberzeugungen. Die Ellenbogen werden wichtiger als das Herz. Viele haben ihre Seele an das Geld, an den Erfolg und an die Karriere verkauft. Ihnen läuft man hinterher. Das soziale Klima wird frostiger und mancher erfriert. Mancher gibt sich auch mit politischen Heilsversprechen ab, auch heute verführen Meinungsführer oder Meinungsmacher durch Manipulation, Lüge und verdrehte Wahrheiten.

Daran hat damals Thomas Mann anknüpfen können. Auch diejenigen, die von sich behaupten, sie folgten niemanden, werden sich bestimmten Ideen oder Zielen unterwerfen. Und wer sagt, ich folge nur mir, muss sich vorsehen. Auch solche Beispiele gibt es in unserer Zeit. Wer sich nur um sich selbst dreht, wird am Ende armselig. Es wird dann gefährlich, wenn andere zum Gegner oder Feind werden, die das eigene Fortkommen behindern und dann aus dem Weg müssen.

Heute am Fronleichnamsfest folgen wir dem Höchsten bis auf die Straßen unserer Städte und Dörfer. Und wir zeigen, dass er uns großmacht, dass Dienen und Folgen nicht demütigt, sondern uns aufrecht gehen und handeln lässt. Auch Jesus wollte allein dem Höchsten dienen. Für ihn hängt der Dienst an den Menschen damit eng zusammen. Er gibt sich hin, wofür am Ende das Brot und der Wein stehen, Zeichen der bleibenden Liebe und Hingabe. Wir erleben im Johannesevangelium Jesus vor Pilatus stehend, mit welcher Würde er diesem Herrscher begegnet. Wer dem Höchsten folgt und den Menschen dienen will, lässt sich durch keine politische Idee einschüchtern, durch keine menschlichen und irdischen Heilsversprechen einnebeln. Heute folgen wir alle diesem Christus, den viele als den Höchsten verehren, als Sohn Gottes, im Brot, für uns gegeben. Warum versuche ich hinter Jesus herzulaufen?

  • Weil dieser Jesus für mich alles getan hat, bis zum Letzten. Er hat den Menschen gedient, hat sich klein gemacht, er ist für die Wahrheit Gottes eingestanden bis zum Letzten, er ist nicht weggelaufen. Er hat sich buchstäblich für andere hingegeben. Damit zeigt Jesus, was er einmal so formuliert hat: Wer sein Leben um jeden Preis retten will, wird es verlieren. Wer es verliert, ist wie ein Weizenkorn, das sich hingibt, und damit Leben schenkt. Wenn ich hinter Jesus her bin, lerne ich, dass der Sinn meines Lebens darin besteht, für andere und mit anderen zu sein.
  • Der gekreuzigte Jesus zeigt mir, dass ich geliebt und wertvoll bin, nicht nur wenn ich stark, gesund und erfolgreich bin. Der Gekreuzigte und Auferstandene in der Gestalt des Brotes stellt somit unsere normale Werteordnung auf den Kopf. Wer gibt denn in unserer Gesellschaft das Tempo an? Sicher nicht die Kranken, Alten und Armen. Aber sie machen einen Großteil unserer Gesellschaft aus, und jeder von ihnen ist ein großer Reichtum. Wenn ich Jesus folge, kann ich diese Menschen nicht mehr ignorieren. Und ich weiß um meinen Wert und meine Würde, sollte ich einmal schwach und krank sein.
  • Warum sollte ich Jesus folgen? Weil auch heute das Herz wichtiger ist als die Ellebogen. Nicht der findet sein Glück, der sich um jeden Preis durchsetzt. Auch dafür steht der gekreuzigte, der leidende Christus, dem ich folgen möchte. Mein Wert besteht nicht in meiner Stärke, die ich nutze, um mich nach vorne zu bringen.

 

Abraham wollte allein dem Höchsten dienen, Melchisedek ist Priester des Höchsten, Christus ist der, dem wir heute und ein Leben lang folgen sollen. Melchisedek ist in der frühen christlichen Theologie ein Vorbild für Christus selbst, er bringt sich selbst in Brot und Wein und dient so dem Höchsten und den Menschen. Er ruft uns heute, dass auch wir uns nicht mit weniger zufriedengeben als allein dem Höchsten zu dienen – und damit die Welt verwandeln.