„14 Nothelfer – Helfer für heute“

Predigt von Bischof Peter Kohlgraf bei der Nothelfer-Wallfahrt in Ockenheim – Kloster Jakobsberg am 22.07.2018

Datum:
Mo. 23. Juli 2018
Von:
Bischof Peter Kohlgraf
14 Nothelfer werden hier auf dem Jakobsberg verehrt. Damit stehen wir heute in einer langen Tradition von Wallfahrten und Gebet im deutschen Sprachraum, aber auch darüber hinaus. Spätestens seit 1400 bilden die 14 Heiligen eine feste Gruppe. Achatius, Ägidius, Barbara, Blasius, Christophorus, Cyriacus, Dionysius, Erasmus, Eustachius, Georg, Katharina, Margareta, Pantaleon und Vitus.

Es sind Heilige aus dem 2. bis 4. Jahrhundert, Heilige der noch jungen Kirche. Viele von ihnen sind als Blutzeugen gestorben. In der Tradition des Mittelalters sind die Heiligen für bestimmte Anliegen besonders ansprechbar: angefangen von Zahnweh, über Krebserkrankungen und Pest bis zu psychischen Krankheiten und Todesgefahr. Sie nehmen besondere Berufsgruppen unter ihren Schutz, sie helfen bei Unwetter und Krieg. Andere begleiten und helfen bei schweren Gewissensnöten. In den Zuständigkeiten der Heiligen bildet sich das ganze Leben der Menschen ab.

1. Ich habe nicht ohne Grund auf die lange Tradition der Verehrung hingewiesen. In den Heiligen wird uns deutlich, was Tradition meint. Tradition spielt ja im kirchlichen Selbstverständnis eine wichtige Rolle. Oft wird auf die Tradition verwiesen, wenn  man nach heutigen Begründungen sucht. Zur Tradition gehören bestimmte Glaubenssätze, es gehören dazu die heilige Schrift und die kirchlichen Dogmen. Die Heiligen machen uns jedoch bewusst, dass es zu wenig ist, kirchliche Tradition auf Buchstaben und Lehrsätze zu reduzieren. Im Wesentlichen geschieht Tradition durch das Leben von glaubenden Menschen, die sich in den Dienst nehmen lassen und die Buchstaben von Schrift und Lehre mit Leben füllen. Tradition heißt: Überlieferung, Weitergabe, Zeugnis, Leben. Dies muss immer von Menschen gestaltet werden, die in ihrer Zeit auf dem Zeugnis anderer aufbauend dem Evangelium ihr persönliches Gesicht geben. Wir sind Träger der Tradition, und zwar einer lebendigen Tradition heute. Eine berührende Szene aus dem Evangelium macht deutlich, was Tradition meint. Als Jesus stirbt, neigt er sein Haupt, „und übergab den Geist“ (Joh 19,30). Im Lateinischen steht dort: „tradidit“, „er übergab“ den Geist. Tradition ist das Wirken des Geistes, den Christus in die Welt hineingibt. Dieser Geist möchte zu jeder Zeit in den Menschen wirken, sie beflügeln, sie begeistern. Zu dieser lebendigen Tradition gehören unsere Heiligen, die den Geist in ihrem Leben haben wirken lassen. Deswegen brechen wir den Kontakt nicht zu den Menschen früherer Zeiten ab. Sie gehören zu uns, wir zu ihrer Gemeinschaft. Sie ermutigen uns heute zu unserer Form des Christseins. Sie sollen uns motivieren, wenn wir heute unsere Wege gehen. Tradition in diesem Sinne meint auch „Zukunft“. Wir leben nicht nur aus einer glorreichen Vergangenheit großer Heiliger, die wir heute noch kennen. Der Geist, den Christus übergibt, tradiert, wirkt fort. Er wird auch weiter wirken, und uns helfen, eine Kirche der Zukunft zu sein. Dazu braucht es aber Menschen, die glauben, das Evangelium leben und bezeugen.

2. Ich habe nicht ohne Grund die 14 Namen einzeln genannt. Jeder und jede unserer Heiligen ist ein unverwechselbarer, einmaliger Mensch mit einer einmaligen, unverwechselbaren Geschichte. Manches wissen wir von den genannten 14 Nothelfern nur noch legendarisch, aber das muss uns nicht stören. Sie haben zu ihrer Zeit ihre je persönliche Antwort auf Gottes Ruf gegeben. Heilige kann man nicht kopieren, Heilige soll man nicht kopieren. Sie sollen Ansporn sein, das eigene Gesicht herzuhalten, die eigenen Hände, das eigene Herz und den eigenen Verstand einzusetzen für Gott und die Welt. Die 14 Namen und Gesichter sagen auch etwas über die christliche Auferstehungshoffnung. Wir nehmen unser Leben, wir nehmen unsere Freuden und Leiden, alles, was uns zu der unverwechselbaren Person macht, die wir sind, mit in die Ewigkeit Gottes, hinein in die Begegnung mit ihm. In den Jahrzehnten, in denen unsere Heiligen gelebt haben, gab es manches an Jenseitsvorstellung: Wiedergeburten, in denen die Seele die Hülle tauscht, Vorstellungen, dass der Mensch eingeht in einen Naturkreislauf, ein Weiterleben einer Seele, die sich nun von allem Irdischen befreit. Derartige Ideen haben sich bis heute gehalten und erfreuen sich großer Beliebtheit. Das spezifisch Christliche, was damals viele Menschen anzog, war die Konkrete Hoffnung der Christen. Die Hoffnung bestand darin, dass ich über den Tod hinaus die unverwechselbare Person bleibe, die ich auf Erden war, aber eben vollendet in der liebenden Begegnung mit dem Auferstandenen. Jeder Mensch ist unverwechselbar, einmalig, ewig. Wenn wir in den Litaneien bis heute die Heiligen namentlich nennen, bringen wir diesen Glauben zum Ausdruck. Persönlich ist mir dies bei der Bischofsweihe nahe gegangen. Bei der Allerheiligenlitanei lag ich auf dem Boden ausgestreckt, ein Zeichen der Demut und der Erwartung, dass alle Kraft von Gott kommt und nicht von mir. Und dann wurden die Heiligen angerufen, und mir ist durch den Kopf gegangen, welche großen und einmaligen Menschen mir nun als Begleiter zur Seite stehen. Mir ist, vielleicht etwas kindlich naiv, auch durch den Kopf gegangen, wie es wohl sein wird, diese Heiligen einmal persönlich kennen zu lernen. Eine große Gemeinschaft über den irdischen Tod hinaus, ich lebe noch auf Erden, um meinen Weg der Heiligkeit und der Nachfolge zu gehen.

3. Ich habe nicht umsonst darauf hingewiesen, dass unsere Nothelfer alle Lebensbereiche abdecken, alle Nöte und Sorgen, die Menschen haben. Heilige sind für uns nicht nur Vorbilder, sondern Fürsprecher und Begleiter auf unseren Glaubens- und Lebenswegen. Es gibt keinen Bereich, in dem Gott nicht heilend und helfend dabei sein wollte. Ich darf ihnen alles sagen, sie zu meinen Freunden machen, wie wir es in einem Lied singen: sie sind Freund Gottes und meine Freunde. Heilige in ihrer Vielfalt machen unseren Glauben bunt. Wir leben in ihrer Gemeinschaft und sind in allen unseren Sorgen und Fragen nicht allein gelassen. Heilige wollen uns Hoffnung und eine Perspektive schenken, wenn wir einmal nicht mehr weiter wissen. Sie sind überzeugende Hoffnungszeichen, die uns ermutigen, weiter zu gehen, auf ihre Fürsprache zu vertrauen, und wie sie selbst auch Fürsprecher und Begleiter für andere zu werden. In der katholischen Vorstellung beten sie für uns. Wir werden zu Heiligen, wenn wir die Nöte und Sorgen unserer Zeit in unser Gebet nehmen und darin nicht nachlassen. So werden die Nothelfer auch für uns Helfer im Gebet, Helfer in der Hoffnung, Helfer im Weitergehen und in der Liebe zu den Menschen und der Schöpfung Gottes. Sie ermutigen uns, Gott alles hinzuhalten, im Gebet nicht nachzulassen.

Lassen wir uns von den Nothelfern ermutigen, lebendige Tradition zu gestalten, mutig in die Zukunft zu gehen. Lassen wir uns die Hoffnung schenken, dass wir einmalig und ewig sind, Freundinnen und Freunde Gottes. Lassen wir uns die Hoffnung schenken, dass das Gebet der Heiligen und unser Gebet die Erde verwandeln kann.