2000 Jahre Caritas – ein Grund zum Feiern und zum Nachdenken.

Predigt von Bischof Peter Kohlgraf im Festgottesdienst zum Jubiläum "100 Jahre aktiv für das Wir" am 3. September

Jubiläum 100 Jahre Caritas für die Diözese Mainz - Festgottesdienst und Festakt (c) Caritas für die Diözese Mainz
Datum:
So. 3. Sept. 2017
Von:
Bischof Peter Kohlgraf
2000 Jahre – Sie haben sich nicht verhört. Seit es christliche Gemeinden gibt, gibt es Caritas, Zuwendung zu den Armen, das Bemühen, sie einzubeziehen, ihre Würde anzuerkennen und konkrete Not zu lindern.
Jubiläum 100 Jahre Caritas für die Diözese Mainz - Festgottesdienst und Festakt (c) Caritas für die Diözese Mainz

Gemeinden überließen die Sorge um die Armen nicht der zufälligen Barmherzigkeit des einzelnen Gemeindemitglieds, sondern schon früh beginnen sie, feste Einrichtungen der Liebe zu gründen: Arme mit Nahrung zu versorgen, Kranke zu pflegen, für Waisen und Witwen zu sorgen, und vieles andere mehr. Das war für die Menschen der späten Antike etwas Neues. Natürlich war es keine völlig unmenschliche Gesellschaft. Aber die Sorge galt in erster Linie den Angehörigen und Freunden, nicht den Bettlern, Kranken, Gescheiterten und Fremden. Die bekamen im besten Fall die Reste vom Tisch der Reichen. Barmherzigkeit kann etwas sehr Herablassendes haben.

Kirchenhistoriker haben nach dem Grund gefragt, warum das junge Christentum vor zweitausend Jahren so erfolgreich war. Unter anderen zählen wohl drei Gründe: das Christentum missionierte mit einem klaren Bekenntnis zu dem einen Gott, der sich in Christus offenbarte. Gott bekam ein Gesicht. Er versprach ewiges Leben, er will den Menschen bei sich haben. Für viele Menschen war das die Erfüllung ihrer Sehnsucht. Das ewige Leben wollten die Christen nicht für sich privat, sondern sie wollten alle für diese Hoffnung gewinnen. Und: sie waren bereit, für diese Hoffnung Nachteile, Verfolgung und Tod auf sich zu nehmen. Das war die Erfahrung größter Freiheit. Das irdische Leben konnte man einem Christen nehmen, nicht aber die Hoffnung auf Ewigkeit. Größere Freiheit konnte es nicht geben – übrigens für viele glaubende Christen auch in unseren Tagen schlimme Wirklichkeit. Viele hat diese Erfahrung damals erschüttert und zum Glauben an Christus gebracht. Diese Lebenshoffnung und Freiheit fanden sie in keiner anderen Heilsbotschaft oder Philosophie. Und schließlich: die Christen flohen nicht aus der Welt, sie gestalteten sie, besonders in der Zuwendung zu den Armen der Gesellschaft. Glaube, der bewegt, Glaube, der motiviert: das war überzeugend.

Ja, auch die Christen forderten Barmherzigkeit: wer einem Armen begegnete, sollte sich ihm zuwenden und seine konkrete Not lindern helfen. Die Theologen der frühen Kirche werden da sehr deutlich, wie bereits die Evangelien. Im Menschen, der Hilfe braucht, ist Christus selbst gegenwärtig.

Aber es ging um mehr als um Barmherzigkeit: „Die Natur bringt alle Erzeugnisse zum gemeinsamen Gebrauch für alle hervor. Denn Gott hieß alle Erzeugnisse zu dem Zweck sprossen, dass jedermann sich der gemeinsamen Nahrung erfreuen und die Erde gleichsam der gemeinsame Besitz aller sein sollte. So schuf also die Natur ein gemeinsames Besitzrecht für alle; Anmaßung machte daraus ein Privatrecht. [...] So sollen wir uns denn nach Gottes Willen, oder schon kraft des natürlichen Bandes, das uns umschlingt, gegenseitig unterstützen, in Gefälligkeiten wetteifern, gleichsam alles Nutzbare zur allgemeinen Verfügung stellen, einer dem anderen, um mit dem Schriftwort zu reden (Gal 6,2), helfen, sei es durch Gefälligkeit oder Geld oder Tat oder sonst wie, auf dass der Segen des Gemeinschaftslebens unter uns sich mehre.“

Was wie ein Auszug aus einem Parteiprogramm klingen könnte, ist ein Ausschnitt aus einer Predigt des hl. Bischofs Ambrosius von Mailand (339-397). Das Recht auf Privatbesitz wurde nicht bestritten, aber die Tatsache, dass es neben Reichen zahlreiche Arme in der einen, von Gott geliebten Welt gibt, zeigt eine strukturelle Sünde. Sicher: die Armen werdet ihr immer bei euch haben, sagt Jesus realistisch. Aber das Faktum bleibt eine Ungerechtigkeit. Besitz ist anvertrauter Besitz, bedeutet Verantwortung und ist Auftrag. Kann ein Reicher in den Himmel kommen? – eine kleine Schrift aus dem 3. Jahrhundert, die wohl konkrete Diskussionen in der Gemeinde zeigt (Clemens von Alexandrien). Ja, ein Reicher kann in den Himmel kommen, eine reiche Gemeinde, eine reiche Kirche kann gerettet werden, wenn sie sich ihrer Verantwortung bewusst bleibt. Sie kann, aber auch nur dann. Ein ernstes Wort.

Christentum ist schnell politisch geworden. Und das nicht nur in dem Sinne, dass es die Anderen mahnt, sondern die prophetische Botschaft zur Vergewisserung, was wir mit Geld machen, gilt in erster Linie der Kirche selbst. Auch ihr Besitz muss dienen. In dem Umgang mit dem Besitz, in dem Umgang mit dem Armen entscheidet sich das Heil, Leben oder Tod lege ich dir vor, lautet Gottes Mahnung.

Ein anderer Theologe, Johannes Chrysostomus (344-407) bringt einen weiteren Gedanken. Er predigt über die drei Jünglinge im Feuerofen, eine Geschichte aus dem Danielbuch. Dort sollen drei fromme Männer wegen ihres Glaubens verbrannt werden. Ein Engel steigt zu ihnen herab und kühlt sie, sie werden aus dem Ofen gerettet. Er deutet diese Erzählung: Der Engel ist jeder Glaubende, die drei stehen für die Armen im lebensbedrohlichen Feuer der Armut. Steige in das Feuer herab. Bleibe nicht oben stehen und schaue zu. Wirksame Hilfe geschieht in der Begegnung, dann, wenn sich die Kirche, der einzelne glaubende Mensch in die Berührung begibt. Der Arme ist nicht immer angenehm, seine Armut ist mir unangenehm. Hilfe gibt es nur, wo ich in das Feuer der Armut steige.  Papst Franziskus würde sagen: wo ich die Wunden auch berühre.

2000 Jahre Caritas – auch das ist Kirche. 100 Jahre Institution Caritas im Bistum Mainz – Teil einer großen Bewegung – Teil der Kirche, Thema, in dem es um Leben und Tod der Kirche geht. Wir sind Kirche, politischer Einsatz, Stimme und Anwältin der Armen, Einsatz für Teilhabe der Menschen. So sind die Aufgaben in unserem Bistum beschrieben. Viele Tausende Menschen engagieren sich. Glaubende, Andersglaubende, Nichtglaubende. Hauptamtliche und Ehrenamtliche, dauerhaft oder in kürzeren Projekten. Indem sie Not sehen, dem Menschen begegnen, wirksam helfen, ihm Würde zuerkennen, leben sie das Evangelium. Sie erinnern daran, dass Besitz und Gottes Schöpfung und seine Liebe allen gehören. Viele steigen zu den Armen ins Feuer, und bleiben nicht außerhalb des heißen Ofens. Sie holen sie aus dem Ofen. Sie erinnern alle Menschen daran, dass Caritas einfach zum Menschsein gehört. Ohne sie ist die Erde kalt, unmenschlich, unbewohnbar.

Der große Prediger Chrysostomus schließt: Ich, sagt Gott, habe Himmel und Erde erschaffen. Ich gebe auch dir Schöpferkraft. Mache die Erde zum Himmel: Du kannst es ja!

 

Peter Kohlgraf, Bischof von Mainz

3. September 2017