Wir feiern 50 Jahre pastorale Räte im Bistum Mainz und feiern damit 50 Jahre konkreter Verwirklichung des gemeinsamen Priestertums getaufter Christinnen und Christen in unserer Diözese. In der Taufe, so formuliert es das II. Vatikanische Konzil (LG 10), werden Menschen zu einem heiligen Priestertum „geweiht“. Taufe ist „Weihe“ zu einem priesterlichen Dienst in der Kirche, Sendung in die Welt und zu einem Leben in der Nachfolge Christi, des einen und einzigen Priesters.
Tatsächlich ist zunächst Christus selbst der einzige Priester, den die Heilige Schrift kennt. Der ursprüngliche Sinn des Priestertums war die Vermittlung zwischen Gott und den Menschen. Es gibt für uns keinen anderen als Jesus Christus, der die Verbindung zu Gott herstellt (1 Tim 2,5). Besonders der Hebräerbrief reflektiert dieses Priestertum Jesu Christi. Anders als alle Priester bringt Jesus sich selbst als Gabe dar, er gibt sich für den Menschen und für Gott hin. Diese Hingabe Jesu erfolgt nicht erst in seinem Leiden und Sterben. Sein gesamtes Leben ist Dienst, Hingabe, ein Suchen nach dem Willen den Vaters. Er hat nach Gott gerufen, ja geschrien, und so den Gehorsam gelernt. Sein Priestertum zeigt sich darin, dass er sein ganzes Leben in den Dienst Gottes für die Menschen gestellt hat. Als er am Abend vor seinem Leiden das Mahl mit seinen Jüngern feiert, stiftet er nach katholischer Überzeugung ein bleibendes Gedächtnis seiner priesterlichen Hinhabe. Sein Priestertum vollzieht sich aber nicht nur im Gebet und in der Hingabe in der Liturgie. Er ist Priester, indem er sich hingibt in der Zuwendung zu den Menschen in der Berührung der Kranken, der Sünder, der Ausgestoßenen. Er vermittelt ihnen die göttliche Liebe und zeigt ihnen, dass Gott ihnen nahe ist und sich an sie bindet, ohne je untreu werden zu können. Göttliche Liebe bleibt im Leben Jesu nichts Abstraktes, sondern wird berührbar, erlebbar, erfahrbar. In der Taufe werden bis heute Menschen in diese Lebenshingabe Jesu hineingenommen. Sie werden verwandelt, sie werden zu einem „anderen“ Christus geweiht. Jede und jeder Getaufte wird zu einem Priester, König und Propheten, wie es im Taufritus gesagt und gefeiert wird.
Die ganze Kirche ist Volk Gottes und in diesen priesterlichen Dienst gerufen. Wie Jesus auch sollen alle Getauften Priesterinnen und Priester sein im Lob Gottes, in der Verkündigung und in der tätigen Liebe, Priesterinnen und Priester in der Hingabe an Gott und die Menschen. Das ist der eigentliche Sinn christlichen Leben, das Zentrum christlicher Berufung. Das Volk Gottes ist nicht Objekt, d.h. Empfänger der Pastoral, der Hirtensorge der Kirche, sondern Subjekt, d.h. Träger dieser Hirtensorge. Die getauften Menschen sind nicht Empfänger einer Dienstleistung, sondern selbst im Dienst dessen, der sie sendet. Jeder und jede trägt auf eigene Weise Verantwortung für den Auftrag der Kirche. Heute sind wir in der Situation, in der wir neu bedenken müssen, dass der priesterliche Dienst eines jeden Getauften kein Notnagel in der schwierigen kirchlichen Situation heute ist, sondern eine theologische Notwendigkeit aus unserem Selbstverständnis als Kirche in dieser Welt. Besonders der Apostel Paulus wird nicht müde, die Würde der christlichen Berufung durch die Taufe zu betonen. Wir alle sind Miterben Christi, seine Kinder, Töchter und Söhne. Bischof Kamphaus sagt es so: „Für Getaufte gibt es nur noch geschwisterliche Instanzen (vgl. Mt 23,9) ohne Autoritätshörigkeit, ohne Unterwürfigkeit und Ängstlichkeit. Gottes Geist stärkt uns den Rücken zum aufrechten Gang, in der Kirche und in der Welt. (…) Jeder ist auf seine Weise eine Offenbarung des Geistes: Frauen und Männer, Jugendliche und Erwachsene, Laien und Theologen.“
Wenn uns die heutige Lage der Priester und Hauptamtlichen in der Kirche dazu nötigt, dies neu zu betonen, hat die Situation etwas Gutes. Auch wenn es genügend Priester gäbe, dürften wir das gemeinsame Priestertum aller Gläubigen mit den entsprechenden Konsequenzen nicht wieder in den Untergrund drängen. Wir müssen heute in diesem Sinne neu über Sinn und Zweck kirchlicher Gremienarbeit nachdenken. Priesterliches Mitwirken der Getauften in Liturgie, Zeugnis und Caritas ist genau das, worauf es zunehmend ankommen wird. Das priesterliche Mitwirken darf sich jedoch nicht auf die Gremien in unseren Gemeinden beschränken. Zunehmend wird es schwieriger, Menschen für die Mitarbeit zu gewinnen. Die Gremien sind nicht das Parlament der Gemeinde, sondern Menschen, die sich verbindlich darum bemühen, andere an ihre priesterliche Berufung zu erinnern und sie zu einer eigenen Nachfolge zu ermutigen. Die Zukunft unserer Gemeinden und kirchlichen Orte wird davon abhängen, inwieweit sich getaufte Menschen in den Dienst nehmen lassen, zu Zeuginnen und Zeugen Jesu Christi zu werden. Wenn Menschen in den Gremien heute ihre priesterliche Berufung leben, dann werden sie stärker als früher lernen müssen, dass es nicht darum gehen kann, hinter verschlossenen Türen binnenkirchliche oder gemeindliche Themen zu besprechen und es dabei zu belassen. Wenn Christus, der Priester, das Maß ist, werden die pastoralen Räte, welche Form sie auch immer haben werden, dazu dienen müssen, das zu unterstützen, was Christus vorgelebt hat: ein Leben in der persönlichen Nachfolge, die Zuwendung zu den suchenden und fragenden Menschen, das Hinterhergehen hinter denen, die der Kirche und Christus den Rücken kehren, die Suche nach denen, die Christus noch nicht kennen, das Gespräch mit allen, als deren Dienerin sich heute die Kirche verstehen muss, und in diesem Bemühen alle in der Gemeinde zu motivieren, sich an dieser Bewegung zu beteiligen. Wenn die Räte unseres Bistums wirklich pastorale Räte sind, gestalten sie aktiv die Hirtensorge Jesu mit, nehmen sie an der Hirtensorge teil.
Wer getauft und gefirmt ist, handelt in der Sendung Jesu Christi, nicht in der Sendung und Abhängigkeit vom Pfarrer. Nicht der Pfarrer beauftragt einen Menschen zum priesterlichen Dienst, sondern Christus in der Taufe. Und dennoch gibt es natürlich eine Zuordnung von geweihten Priestern und dem Priestertum durch die Taufe. „Das besondere Priestertum des Dienstes, das im Sakrament der Priesterweihe übertragen wird, existiert in der Kirche, damit das Volk Gottes als Ganzes seine priesterliche Berufung verwirklichen kann.“ Der Amtspriester ist nicht heiliger oder Gott näher. Indem der Priester der Gemeinde gegenüber Christus darstellt, steht er für Christus, der bis heute die Menschen der Gemeinde in seinen Dienst ruft. Christus handelt auch heute in seinem Volk, dafür steht der geweihte Priester. In den Sakramenten, die er spendet, spricht er den Menschen verbindlich die bleibende Gegenwart des Auferstandenen zu. Er befähigt damit alle, ihren eignen priesterlichen Dienst zu leben. Überall dort, wo das Weiheamt und das gemeinsame Priestertum aller Getauften in eine Konkurrenz geraten oder gar in ein Verhältnis von Macht und Über- und Unterordnung, ist etwas gewaltig aus dem Lot geraten. Wenn Paulus die Kirche als Leib beschreibt, dann zeigt er auf die Verwiesenheit aller in diesem einen Leib.
50 Jahre Räte erinnert an den priesterlichen Dienst so vieler – und an diesem Tag danken wir den Menschen, die so viel bewirkt haben. Für die Zukunft müssen wir uns Christus und seinem Geist überlassen. Welche Wege Kirche auch immer gehen wird, welche Formen die Zusammenarbeit auch immer annehmen wird: es wird dann ein guter Weg werden, wenn wir als gemeinsame Trägerinnen und Träger des Priestertums Christi unterwegs sein werden, ihn in dieser Welt gegenwärtig setzen und unseren gemeinsamen Dienst entdecken, den Dienst als Priester, Könige und Propheten, den Dienst im Lob Gottes, der Verkündigung und Nächstenliebe. Möge Gott unsere Zukunft segnen.