Er gehört sicher zu den ganz großen Theologen des 20. Jahrhunderts. Wir haben in dieser Woche seiner auch in einem Gottesdienst gedacht. Zu seinen zahlreichen Büchern gehört auch die „Vorschule des Betens“ von 1954. In diesem Buch denkt er über gute Rahmenbedingungen und Grundhaltungen nach, die wichtig für ein fruchtbares Gebetsleben sind. Unter anderen gehört dazu die Haltung der Dankbarkeit, die den Menschen in die rechte Beziehung zu Gott und der Schöpfung stellt. Es lohnt sich, bei Guardini ein wenig zu lernen.
Zahlreiche Texte und Gebete der Heiligen Schrift drücken aus, dass das ganze Leben ein Dank an Gott sein soll. „Alles tut in Wort und Werk im Namen Jesu, dem Vater dankend durch ihn“ (vgl. Kol 3,15-17). Dahinter steht die gläubige Erfahrung, dass nichts selbstverständlich ist. Um dies täglich leben zu können, bedarf es der Aufmerksamkeit für das Viele, das mir täglich geschenkt wird, das ich nicht als Recht einfordern kann. Aufmerksamkeit auch dafür, dass ich Vieles nicht machen kann, sondern dass es mir von jemand anderem zukommt. Diese Haltung steht gegen manche zeitgenössische Grundhaltung. Wie oft geht es ums Rechthaben, um Stärke, um das Können, um das Machen? Wenn dies meine Lebensmaximen sind, wird alles meinem Willen, meiner Macht untergeordnet. Das Symbol dafür wäre die Faust oder die zugreifende Hand: ich nehme mir, was mir zusteht. Natürlich ist dies zugespitzt ausgedrückt. Nur wenige Menschen werden so leben wollen oder können. Aber meine Wahrnehmung einer Grundstimmung heute ist oft so. Die Haltung der Dankbarkeit ist eine andere, weitaus menschenfreundlichere. Es ist die Haltung der geöffneten Hände. „Es ist keineswegs selbstverständlich, dass die Welt besteht. (…) Die Welt ist nur, weil Gott sei gewollt hat“ (Guardini). Und Gott hat die Welt und die Menschen aus Liebe gewollt. Ein Leben aus der Haltung der Dankbarkeit nimmt seine Kraft aus dem Glauben, dass mein Leben begleitet ist von einem Gott, der Liebe ist und Leben schenkt, jeden Tag. Der mich liebt aus Freiheit, nicht aufgrund meiner Verdienste, seine Liebe ist kein Recht, das ich einfordere, sondern freies Geschenk.
Die Welt, in der wir leben, ist in ihrer Schönheit nicht selbstverständlich, die Gaben der Schöpfung sind nicht selbstverständlich. Auch ich bin – wie jeder Mensch – nicht selbstverständlich. Guardini schreibt dazu: „Zuweilen kann man das Unbegreifliche und Überströmende der Tatsache, dass man ist, ganz tief erfahren. Trotz allem Schlimmen und Schweren ist es gnadenhaft groß, dass ich atmen und fühlen, denken, lieben und handeln, dass ich da sein darf. Und dass die Dinge da sind: das Gefäß auf dem Tisch, und der Baum dort auf dem Feld, und die Landschaft ringsum, und die Sonne über allem. Und die Menschen: dieser Mensch, den ich liebe, und jener andere, für den ich sorge…“ Tatsächlich sind die anderen Menschen nicht selbstverständlich. Wie oft nehmen wir sie einfach als gegeben hin. Viele Menschen bleiben mir fremd, aber auch sie bilden die Gemeinschaft, in der ich lebe. Aber da gibt es auch die Begegnungen, die Freundschaften, die Beziehungen, die Liebe. Diese Begegnungen und Freundschaften sind ebenfalls kein Recht, das mir zusteht. Ich wundere mich manchen Tag über die viele Unzufriedenheit, die Bösartigkeit und die Gewalt der Sprache und mancher Begegnung, neben vielem Guten und Schönen. Wir dürfen nicht vergessen, dass wir so oder so – im Guten wie im Bösen – die Welt prägen und beeinflussen. Guardini macht auch darauf aufmerksam, dass auch Gott nicht selbstverständlich ist, genauso wenig wie der Glaube an ihn. Als ich die Zeilen von Guardini las, wurde mir bewusst, wie selten ich dafür danke, dass ich glauben darf; dass ich mich getragen weiß von Gottes Liebe und Fürsorge, dass ich eine Hoffnung habe über den Tod hinaus. Der Glaube ist wirklich ein großes Geschenk. In diesem Glauben dankt Guardini auch für das, was schwer ist. „In der Vorsehung Gottes leben heißt, im Einvernehmen mit dem Willen Gottes leben, auch wider die eigenen Wünsche.“ Möglicherweise wird das Schwere durch den Glauben verwandelt.
Gerade katholische Christen haben ihre tägliche Dankbarkeit auch immer in bestimmten Formen des Gebets ausgedrückt: Zuhause haben wir das Tischgebet gepflegt, und ich kenne viele, die das heute noch tun. Zum einen fördert es die Gemeinschaft beim Essen, weil es eine gute Kultur fördert, zum anderen glaube ich, dass die Bitte um den Segen Gottes und der Dank für die Gaben einen wirklich bewussten Genuss der Gaben ermöglicht. Oder ich nenne auch die abendliche Gewissenserforschung: Da geht es ja nicht um ein reines Sündenbekenntnis, sondern um ein Durchdenken und Durchbeten des Tages. Der Sinn des Abendgebetes ist es nicht, dem lieben Gott noch einmal zu zeigen, dass ich viele Gebete auswendig kann, sondern ihm in Dankbarkeit den Tag, meine Arbeit und die Begegnungen hinzuhalten und ihm zu danken, für so manches, was an diesem Tag an Gutem oder Schwerem nicht selbstverständlich war. Und ihn zu bitten, dass er manches Stückwerk vollendet. Ohne seinen Segen kann ich nicht leben und arbeiten. Das dankbare Gebet gibt meinem Leben eine Qualität, eine Kultur, die es sonst nicht hätte. Wer sich Gott gegenüber dankbar zeigt, lebt bewusster. „Alles tut in Wort und Werk im Namen Jesu, dem Vater dankend durch ihn“ – möge diese Haltung uns immer mehr in Fleisch und Blut übergehen, wie ein roter Faden durch das Leben, als Aufmerksamkeit für das viele Gute und Geschenkte.