Als Kirche haben wir einen Auftrag für die Gesellschaft

Predigt im Rahmen des Gründungsgottesdienstes der Pfarrei Hl. Edith Stein Lorsch-Einhausen Kirche St. Nazarius, Lorsch, Sonntag, 28. Januar 2024

Zwei Kirchen - Eine Pfarrei (c) Pfarrei Hl. Edith Stein Lorsch-Einhausen
Datum:
So. 28. Jan. 2024
Von:
Peter Kohlgraf , Bischof von Mainz

Heute feiern wir die Pfarreifusion von Einhausen und Lorsch, von Lorsch und Einhausen, zwei Gemeinden unterschiedlicher Größe, mit unterschiedlichen Gesichtern und Traditionen und doch mit vielen Gemeinsamkeiten. In den Begegnungen während der Visitation in den vergangenen Monaten habe ich die Fragen und Sorgen, aber auch die bereits bestehenden Verbindungen wahrgenommen. Vieles ist bereits in den letzten Jahren gewachsen und die Pfarreigründung ist nicht das Ende des Prozesses, sondern das Zusammenwachsen wird weitergehen. Ich bin sicher: In einigen Jahren wird vieles normal sein, was jetzt noch für Ungewissheit und Unsicherheit sorgt. Ich bin dankbar für die Schritte, die bereits gegangen worden sind. Wo es noch nicht gut funktioniert, bitte ich darum, nicht aufzuhören, sondern nach gemeinsamen Lösungen zu suchen.

Kommunikation, das Bemühen, einander zuzuhören, einander zu verstehen und Wege des Miteinanders zu suchen, ist mehr als die halbe Miete. Der Papst will eine „synodale“ Kirche und genau darum geht es auch hier vor Ort. Es geht darum, eine Kirche zu gestalten, die gemeinsam in die Zukunft geht. Dass es angesichts der kirchlichen und gesellschaftlichen Veränderungen nicht einfach weiterlaufen kann wie immer, müsste meines Erachtens jedem Menschen guten Willens einleuchten. Und wir werden weitergehen im Bistum Mainz, es wird eine Zukunft geben, weil der Auferstandene mit uns geht, wie damals mit den Jüngern von Emmaus. Dieser Glaube und diese Hoffnung dürfen uns tragen und ermutigen. 

Drei Worte will ich Ihnen heute mitgeben: „beieinander“ – „miteinander“ – „füreinander“.

1. Beieinander

Wir gründen die neue Pfarrei Lorsch-Einhausen. Schauen wir auf die Landkarte, sehen wir zwei nah beieinanderliegende Orte. Die Zahl der Katholikinnen und Katholiken ist wahrlich überschaubar. Wir sprechen hier nicht über die Gründung einer oft gefürchteten XXL-Pfarrei. Dabei sagt die Geographie zunächst nichts über die tatsächliche Nähe aus. Die Befürchtung, eine große Gemeinde schlucke eine kleinere, will ich ernst nehmen. Beieinander sein bedeutet, dass jede Gemeinde ihren eigenen Charme und ihr eigenes Charisma behalten soll. Beieinander heißt nicht „ineinander“. Es soll keinen kirchlichen „Eintopf“ geben. Ich hoffe, dass Sie die Erfahrung machen, gegenseitig voneinander profitieren zu können. Einige Dinge wird man gemeinsam tun, andere werden eine Stärkung und Motivation für die Nachbargemeinde sein. 

Schaue ich in den Duden, finde ich unter dem Wort „beieinander“ folgende Erläuterung: zusammen-sein, beieinanderbleiben, gut beieinander sein, d.h. gesund sein. Besonders bei der Begegnung mit den Ehrenamtlichen habe ich wahrgenommen, dass viele schon den Reichtum des Nachbarn entdeckt haben und davon profitieren. Für die Gesundheit der Kirche vor Ort scheint mir dies eine wichtige Voraussetzung zu sein. Von einem anfänglichen Kennenlernen muss es zu einem „Beieinander-Stehen“ kommen, einem gegenseitigen Tragen und Unterstützen. Ich bin davon überzeugt, dass Sie am Ende feststellen, dass dies ein guter Weg des Kircheseins und des Glaubens ist. Bei der Visitation sagte mir jemand spaßhaft: Sie fusionieren hier Mainz und Wiesbaden. In der Fassnacht scheint dies zwar unmöglich zu sein, aber der kirchliche Alltag kann und soll ein Beispiel dafür sein, dass das Unmögliche möglich wird. Ich bitte Sie herzlich, weiter beieinander zu sein und nach weiteren Formen und Möglichkeiten zu suchen, diese Haltung zu leben. In einem solchen Sinne kann Kirche vor Ort in den unterschiedlichen Formen auch heute Heimat für Menschen sein und bleiben. 

2. Miteinander

Wir leben in einer Gesellschaft, die sich immer mehr spaltet. Unsere Gemeinden sollten dazu eine Kontrastgesellschaft bilden. Ich will nicht akzeptieren, dass die Menschen in der Nachbargemeinde oft mehr als Problem denn als Chance gesehen werden. Ich habe eine Vision von Kirche, in der es gelingt, einer Gesellschaft, die von Spaltung und Hass getrieben ist, zu zeigen, wie Vielfalt in Einheit und Frieden gelingen kann. Das fängt beim Denken über den Anderen an, geht bis in die Sprache und mündet in eine Praxis, die andere respektiert. 

Miteinander – das bedeutet auch, an gemeinsamen Zielen und Plänen zu arbeiten. Es genügt nicht, nur beieinander zu stehen, sondern wir müssen auch lernen, miteinander in die Zukunft zu gehen. Wenn es heute nicht mehr selbstverständlich ist, zur Kirche zu gehören, müssen wir, die wir uns ihr zugehörig fühlen, immer wieder die Frage beantworten, was uns motiviert, was uns leitet, was uns zusammenhält. Der Apostel Paulus schenkt uns das Bild vom Leib, der nur gesund bleibt, wenn sich alle Glieder in gemeinsamer Verantwortung füreinander sehen und derart handeln. Sobald ein Glied das andere als Konkurrenz betrachtet, wird der Körper krank. Zum Miteinander gehört das Gespräch, das Zuhören, die Kommunikation. Das gilt nicht allein für die neue Pfarrei, das gilt für alle Orte von Kirche in diesem neuen Netzwerk und auch für das Bistum. Es gibt von allen Seiten eine Bring- und eine Holschuld. Eine Pfarrei ist immer auch Teil eines größeren Organismus‘, des Bistums, in dem der Bischof letztlich die Verantwortung für das Ganze trägt. Ich nehme wahr, dass sich einzelne Gruppen aus diesem Ganzen zurückgezogen haben. Ich bitte sehr herzlich darum, das Miteinander wieder aufzunehmen. Dafür tragen alle Beteiligten Verantwortung. Miteinander gehen heißt Zukunft gestalten. Was einmal an Gemeinschaft angeschlagen war, lässt sich nur mit einem bewussten Aufeinander-Zugehen neu formieren. 

3. Füreinander

Bei allen alltäglichen Fragen, die uns beschäftigen, dürfen wir unseren Kernauftrag nicht aus dem Blick verlieren. Als Kirche haben wir einen Auftrag für die Gesellschaft. Die Kirchenstudie der letzten Monate zeigt, dass bei aller Kritik viele Menschen auf uns warten, auf unseren Beitrag für die Gesellschaft, für das Miteinander, für die Caritas und für den Frieden. Kirche ist kein Selbstzweck und auch das eigene Christsein dient nicht nur dem eigenen seelischen Wohlbefinden. Jede und jeder hat die Aufgabe, Wegbegleiterin und Wegbegleiter für andere zu sein. Deshalb gilt es bei allen weiteren Überlegungen immer, nicht nur das Eigene retten und um jeden Preis erhalten zu wollen, sondern auch die Frage zuzulassen, inwieweit mein und unser Handeln anderen nützt.

Was mich motiviert und was ich Ihnen heute mitgeben möchte: Gott hat seine Freude daran, bei uns Menschen zu sein („beieinander“). Diese Freude am Glauben soll uns in dieser Zeit leiten. Gott baut uns zu einem Haus aus lebendigen Steinen („miteinander“), wir sind sein Tempel. Ein Glaube ohne gelebte Gemeinschaft ist nicht glaubwürdig und letztlich auch nicht tragfähig. Dass Christinnen und Christen einen Auftrag erkennen für Kirche und Welt („füreinander“), ergibt sich aus der Glaubenserfahrung, dass Christus nicht für sich selbst gelebt hat, sondern sich hingegeben hat und uns in seine Nachfolge ruft. 

Ich danke allen sehr herzlich, die sich haupt- und ehrenamtlich für diesen Weg eingesetzt haben und die weiter mitgehen. Ich bitte mit Ihnen um den Segen Gottes, dessen Kirche wird sind und bleiben auch in diesen Zeiten der Veränderung und der Neuorientierung. Wenn wir ihm folgen, werden wir die richtigen Wege finden. 

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