1. Perspektivenwechsel: nicht der Mensch sucht zuerst Gott, Gott sucht den Menschen
Der Mensch sucht nach Gott – diese Erfahrung ist so alt wie die Menschheit. Ein Historiker hat einmal den Beginn der Menschheit daran festgemacht, dass eines Tages Menschen am Grab eines Verstorbenen begonnen haben, zum Himmel aufzuschauen und den Verstorbenen Grabbeigaben mitzugeben. Menschen haben sich Bilder von Gott gemacht, sie haben ihnen geopfert, ihnen Häuser gebaut, sich klare Vorstellungen gemacht. Die großen Hochkulturen des Alten Orient sind nicht ohne die Götter zu verstehen. Das gesamte menschliche und politische Leben war von Göttern getragen. Es gab Götter für den Krieg, für die Fruchtbarkeit, für die Liebe, kein Bereich, der nicht von Göttern gelenkt ist. Daher musste sich der Mensch gut mit den Göttern halten. Religionskritiker auch noch in der Neuzeit unterstellen aufgrund einer solchen Erfahrung, dass Götter nichts anderes seien als Projektionen menschlicher Wünsche. Götter bilden dann das ab, was Menschen denken. Götter garantieren politische Ordnungen, sie dienen menschlichen Zwecken. Ich versetze mich nun über 2500 Jahre zurück in die Welt dieser Hochkulturen: Ägypten, Babylon, Griechenland, Rom. Und da taucht ein kleines Volk auf, das von seinem Gott spricht auf geradezu revolutionäre Weise. Der Mensch mag Gott suchen, er kann ihn aber nur finden, wenn Gott die Initiative ergreift. Gott sucht den Menschen. Er lässt sich nicht für Zwecke einspannen, man soll sich kein Bild machen. Er ist eben keine Projektion menschlicher Wünsche, er wählt den Menschen als Partner. Menschen suchen Gott, aber sie können ihn nur finden, weil er ihnen entgegenkommt, weil er sich zeigt. Er braucht keine Opfer, er will Barmherzigkeit. Er ist kein Nationalgott, sondern ein Gott für alle Menschen. Bei einigen Propheten des Alten Testaments findet sich Liebeslyrik: Gott sucht nach dem Menschen, er sucht sein Herz, seinen Verstand, sein ganzes Leben. Menschen suchen Gott – wir glauben, dass Gott den Menschen sucht. Davon spricht Johannes der Täufer. Gott kommt auf uns zu. Diese Suche Gottes hört ja nicht auf, bis heute. Christen glauben, dass der eine Gott alle menschengemachten Bilder auf den Kopf stellt, indem Gott selbst Mensch wird. In Jesus finde ich diesen Gott, der kommt. Daher nannten die Römer die Christen der ersten Jahrhunderte: A-Theoi, also Atheisten. Jede Gottsuche an Jesus vorbei verfehlt das eigentliche Ziel: er ist Weg, Wahrheit, Leben, niemand sonst. Matthias Grünewald hat auf einem Bild des sog. Isenheimer Altars gemalt, wie Johannes der Täufer mit übergroßem Finger auf Jesus hinweist. In ihm ist Gott unter uns angekommen.
Ein zweiter Perspektivenwechsel: Menschen bauen Gott Häuser, sie schließen ihn ein, und er ruft zum Aufbruch.
Geht und arbeitet in der Wüste an den Straßen und Hügeln. Der erste Glaubende ist Abraham, sein Glaube besteht im ständigen Aufbruch. Das Volk Israel, das aus Ägypten auszieht, macht die Erfahrung, dass Gott nicht in Häusern aus Stein wohnt, sondern ein Gott des Weges ist, der begleitet. Wir aber bauen Räume des Glaubens. Papst Franziskus hat einmal davon gesprochen, die Zeit sei wichtiger als der Raum (EG 222-225). Wir aber bauen Räume des Glaubens, statt Wege zu gehen. Das fängt bei den Wahrheiten des Glaubens an. Sie dienen als Fundament unseres Glaubens und der Kirche. Sie sind wichtig, weil sie formulieren, was uns zusammenhält: der Glaube an Gott Vater, Sohn und Heiliger Geist. Christsein kann aber nicht allein darin bestehen, ein festes Fundament zu haben. Der Papst spricht davon, wie lebensnotwendig es ist, eine Zukunft vor Augen zu haben, die uns zieht, die uns motiviert. Die Zukunft ist größer als die Gegenwart. Werden wir konkreter: wir reden oft von Heimat, die wir in der Kirche suchen. Heimat darf nicht mit Gemütlichkeit und Unbeweglichkeit verwechselt werden. Nicht dort, wo wir uns wohlfühlen, ist Heimat, sondern wo Gott uns hinstellt und auf den Weg ruft. Wir wollen festhalten, das Alte bewahren, auch in der Kirche, aber verhindern damit möglicherweise notwendige Dynamiken, Prozesse, Wege, die zu gehen sind. Ängstliches Festhalten gegen mutiges Voranschreiten mit Überzeugungen und Entschlossenheit, sagt der Papst. Wer mit Gott unterwegs ist, darf Hoffnung haben, Geduld, Vertrauen. Dem Herrn die Wege bereiten und dann mit ihm gehen. Wir bemerken zunehmend, dass dies nicht schöne Worte bleiben dürfen. Die Kirche wird manchmal mit einem großen Tanker verglichen, der sich nur langsam bewegt und nur mühevoll die Richtung wechselt. Es steht wohl dringend eine Analyse dessen an, was uns so unbeweglich macht und lähmt, die Nachfolge konsequent zu gehen.
Ein dritter Perspektivenwechsel: Glaube wird zunehmend privat, Gott aber braucht Rufer in der Wüste.
Mission ist ein belastetes Wort. Viele Menschen verbinden damit Intoleranz und Gewalt. Die Alternative kann aber kaum darin bestehen, den Anspruch der Weitergabe des Glaubens ganz aufzugeben. Über Methoden kann man sich streiten, aber zuerst einmal muss der Wille und die Begeisterung da sein, den Glauben weitertragen zu wollen. Das ist wohl nicht mehr so selbstverständlich. Johannes scheint mir da ein unangenehmes Vorbild zu sein. Er verkauft ja nicht religiöse Zuckerwatte, sondern Schwarzbrot. Warum haben die Menschen auf ihn gehört, obwohl seine Worte hart waren? Sie kommen in Scharen, um sein Wort zu hören, und sie tragen die Konsequenzen, indem sie sich taufen lassen. Ich meine, das Rezept ist seine Glaubwürdigkeit! Er selbst erspart sich nichts. Er sitzt ja nicht in einem der Paläste der damaligen Welt, sondern er lebt in der Wüste, er verlässt selbst die Sicherheit der Stadt. Er fordert nichts, was er nicht selbst lebt. Die Menschen spüren auch eine große Unruhe, die in ihm steckt. Seine Frömmigkeit hat nichts Bequemes. Die Menschen erfahren an einem solchen Glaubenden, wie oberflächlich ihr eigener Glaube ist, wenn sie nur etwas Wohlgefühl und Geborgenheit suchen. In seiner Lebensweise wird deutlich, dass er selbst glaubt, dass er selbst Gott ernst nimmt. Unsere Welt braucht in erster Linie den glaubwürdigen Zeugen, der sich nicht mit ein bisschen Religion begnügt, der Gott wieder ernst nimmt. Gott braucht Menschen, die leben nach seinem Wort, die von ihm sprechen, deren Leben und Reden zusammenklingen.
Wenn wir uns heute fragen: wie können wir den Glauben lebendig erhalten, dann können wir manchmal lesen: die Gottesdienste müssen moderner sein, die Kirche muss die Sprache der Zeit sprechen, sie muss näher bei den Menschen sein, etc. Den anderen ist die Kirche zu modern. Im letzten geht es aber um äußere Formen, um methodische Fragen.
All das ist irgendwie auch richtig und wichtig. Aber ist das wirklich das eigentliche Problem? Johannes würde darüber vielleicht sogar in Zorn geraten. Er würde wahrscheinlich uns genauso den Kopf waschen wie den Menschen damals: haltet euch nicht damit auf, sondern macht mit dem Glauben an Gott ernst. Ein Gottesdienst kann noch so zeitgemäß sein, die Kirche kann so nahe bei den Menschen sein, wie sie will, wenn nicht in unserer Nähe spürbar wird, dass wir es mit Gott ernst meinen, ist alles andere vergeblich. Gott ist uns nicht so selbstverständlich, wie wir oft tun. Zuerst Gott und sein Reich suchen, dann kommt vieles andere von allein. Wir haben nicht weniger und nicht mehr zu tun, als den Menschen, die sich nach Gott sehnen, diesen Gott anzubieten. Rufer in der Wüste sollen alle sein, die den Mund aufmachen, Gottes Willen öffentlich machen.
4. Perspektivenwechsel: Nach mir kommt einer, der stärker ist. Auf ihn kommt es an, ich bin nur Vorläufer
Große Prediger und Propheten bis hin zu Papst Franziskus erinnern die Mächtigen immer wieder daran, dass menschliche Macht vergeht. Auch in der Kirche ist die Versuchung groß, sich für unentbehrlich zu halten. Gerade wenn man viel Zustimmung bekommt, muss sich auch ein Bischof sagen: es geht nicht um dich. Das eindrücklichste Erlebnis bei der Priester- und Bischofsweihe ist der Augenblick, in dem der Kandidat auf dem Boden liegt und alle Kraft und allen Segen von Gott erbittet. Da muss in Fleisch und Blut übergehen, dass nach mir einer kommt, der stärker ist: Um Christus, um Gott und sein Reich geht es. Eines Tages werde ich gehen dürfen, Christus wird bleiben. Auch die Kirche kann sich an die erste Stelle setzen, die ihr nicht zukommt. Bei allem, was wir tun, muss die Frage leitend sein: Sind wir durchlässig auf Christus hin, oder verbauen wir nicht sogar den Blick auf ihn? Im Matthäusevangelium gibt es ein ernstes Mahnwort an die Jünger: Weh dem, der durch ein Ärgernis den Glauben eines der ihm Anvertrauten zerstört (vgl. Mt. 18, 6).
„Bereitet dem Herrn den Weg“.
Vier Sichtweisen möchte ich einnehmen und verwirklichen: