Die Martinslaterne wird uns durch den heutigen Abend begleiten. In den Martinsumzügen tragen besonders die Kinder meist selbstgebastelte Laternen durch die Straßen, sie singen dazu die Martinslieder, die an die guten Taten des Heiligen erinnern und zur Nachahmung ermutigen. Wie der Heilige wollen wir das Licht Christi ins Dunkel bringen, seine frohe Botschaft zum Leuchten bringen.
Jesus ruft uns auf, unser Licht vor den Menschen zum Leuchten zu bringen, damit sie unsere guten Werke sehen und so Gott loben und preisen, dessen Licht die Ursache unserer guten Taten ist.
In anderen Texten der Evangelien ist die brennende Lampe ein Sinnbild der Wachsamkeit, der Aufmerksamkeit gegenüber dem Willen Gottes. Die brennende Lampe wird dann zu einem Symbol der aktiven Nachfolge Christi in dieser Welt. Das Bild der leuchtenden Laterne gibt uns gute Anregungen für unsere Begegnung heute und für die Gestaltung des kirchlichen Lebens in unserem Bistum. Bevor wir leuchten können, braucht es ein Licht, das uns geschenkt ist. An den Küsten stehen die Leuchttürme, die weit über das Meer strahlen und den Schiffen Orientierung geben. Die Laterne an der Spitze des Turms hilft den Schiffen, sicher durch gefährliche Gewässer zu navigieren. Auf unseren Wegen in der Kirche, die wir derzeit gehen, dürfen wir die Orientierung nicht verlieren, nicht vergessen, woraufhin wir unterwegs sind. Der Weg ist keineswegs das Ziel, auch wenn Kirche immer wieder Veränderung braucht. Es geht heute darum, die Kirche zu gestalten, dass sie eine unserer Zeit und den Themen der Menschen angemessene Form annimmt, und sie wegweisend werden kann für die Menschen unserer Tage.
Wegweisung kommt aber nicht aus uns selbst, sondern aus dem Wort und Beispiel Jesu Christi. In allen unseren Debatten sollten wir immer wieder einhalten und uns fragen, inwieweit diese „Christum treiben“, um ein Wort Martin Luthers zu zitieren. Dabei sind wir derzeit in einer Phase unseres Weges im Bistum, in der wir über Geld und Gebäude diskutieren. Oft entstehen dabei Konflikte. Ich will daran erinnern: Wir reden hier über Instrumente und Hilfsmittel, nicht über den Kern der Botschaft, für die wir unterwegs sind. Erheblich wichtiger ist doch die Frage: Gibt unsere Gestalt der Kirche wirklich Orientierung? Und kann sie Menschen zu Christus führen? Die Hilfsmittel sind wichtig, aber nur indem sie helfen, Menschen Orientierung und Richtung zu geben. Wir sind derzeit in einer Phase, in der es notwendig ist, Erstrangiges von Zweitrangigem zu unterscheiden. Das kann uns nur gemeinsam gelingen, und das kann uns nur gelingen, wenn wir Christus, das Licht, in unsere Mitte holen und uns an ihm orientieren. Als Kirche haben wir einen Auftrag für die Welt, wir haben nicht den Auftrag, unsere Instrumente zu retten, sondern zu prüfen, welche Instrumente heute notwendig sind. Ich glaube: Bei allen Veränderungen unserer Tage bleiben die Laternen, die weit strahlen können. Zu ihnen gehört das Wort Gottes, das wir verkünden dürfen. Zu ihnen gehören die Sakramente, in denen uns Christus berührt, zu ihnen gehört die Gemeinschaft der Glaubenden, die bei allen menschlichen Grenzen und auch in ihrem schuldhaften Versagen von Menschen geprägt ist, die Christus zum Leuchten bringen.
Diese Menschen gibt es auch in unserem Bistum, und ich will nicht versäumen, ihnen von ganzem Herzen zu danken für ihr Lebens- und Glaubenszeugnis. Wir spüren, wie wichtig heute Menschen sind, die mit Herz und Verstand das Evangelium leben und erstrahlen lassen. Menschen sind die eigentliche Ressource, auf die Christus setzt, nicht Geld und Gebäude, nicht Strukturen und feste Mauern.
Die Laternen des Martinstages erinnern uns an Christus, das Licht der Welt. Sie erinnern uns aber auch an die Fähigkeit, die Christus uns zutraut, selbst leuchten zu können. Christus hat nicht aufgehört zu leuchten, das dürfen wir heute dankbar feiern. Die Laternen erinnern an die Kraft des Guten in dieser Welt. Angesichts von so viel Dunkelheit verlieren Menschen auch den Mut, sie fragen sich, was sie denn schon verändern können. Für mich ist der Beginn der Osternacht ein unglaublich beeindruckender Moment. Ein Kerzenlicht wird in den dunklen Raum getragen und verändert alles. Ein kleines Licht dringt durch das Dunkel. Und dann wird das kleine Licht weitergegeben. Und damit beginnt der Raum zu strahlen. Christus verlangt keine moralischen und religiösen Höchstleistungen. Er lädt ein, sein Licht anzunehmen und rechts und links weiterzugeben. Damit kann eine Lichterkette ausgelöst werden, die die Welt verändert.
Ich weiß, dass viele unserer ehrenamtlich engagierten Gläubigen auch an ihre Grenzen kommen, weil sie sich einsetzen für die Kirche, für Gott und den anderen Menschen. Ich lade ein, aufeinander zu achten. Wenn jeder und jede ein wenig Licht weitergibt, kann man gemeinsam viel erreichen. Wir lernen immer mehr, Verantwortung zu teilen. Das bedeutet für manchen unserer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter einen Mentalitätswechsel. Auf Dauer alleine leuchten zu wollen, überfordert und macht einsam. Niemand von uns ist der Retter der Welt, sondern bestenfalls ein Licht, das er oder sie weitergeben darf.
Martin ermutigt uns, Licht zu teilen und weiterzugeben. Menschen mit Martinslaternen machen sich nicht umsonst gemeinsam auf den Weg. So kann Christus in dieser Welt leuchten. Gemeinsam gehen wir den Weg der Nachfolge. Die Laterne steht für die Wachsamkeit. Wachsamkeit geht in zwei Richtungen. Zum einen sind wir gerufen, Gottes Wort zu hören und zu befolgen. Zum anderen sind wir wachsam, was die Menschen unserer Zeit brauchen. Laternen sind keine Strahler, die einen Menschen bloßstellen, sondern die ein einladendes, warmes Licht verbreiten. Manchmal braucht es den Strahler, der im Auftrag Gottes Missstände aufdeckt, auch in der Kirche. Aber mindestens genauso wichtig ist das warme Licht, das Menschen einlädt, in den Raum der Kirche einzutreten, die Heimat und Gemeinschaft schenken will. Die Kirche soll offen sein für alle Menschen, sagt Papst Franziskus. Es bleibt unsere Aufgabe, eine solche Kirche zu gestalten.
Wir sehen in Kirche und Welt so viele Probleme und Herausforderungen, und es gibt sie tatsächlich. Heute will ich im Hinblick auf die Kirche auf die vielen Lichter und das Gute hinweisen, das es gibt, und das einen großen Schatz darstellt. Wir dürfen uns auch nicht nur schlechtreden. Meine Erfahrung als Bischof und die meiner in der Leitung Verantwortlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ist: Viele Menschen wollen nicht nur Licht sein, sondern sie sind es tatsächlich. An diesem Tag drücke ich meine Dankbarkeit dafür aus. Trauen wir dem Licht, das uns in Jesus geschenkt ist, trauen wir uns, auch im Kleinen dieses Licht weiter zu schenken.